Wissenschaftlicher Kongress zur Rolle des Übersetzers in Wien. | Experte im Gespräch über Aufgaben und Probleme des Berufs
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Wien. "Hier hat das Badengehen im Sommer Kultur. Im Englischen haben wir keine Wörter für Strandbad, Seebad, Strombad, Waldbad, Badeort oder Baderaum, sondern es gibt nur ,Pool oder ,Beach", sagt Brett Fitzpatrick, ein in Großbritannien geborener, in Wien ansässiger Übersetzer.
Dass eine gute Übersetzung kulturelle Unterschiede überbrücken muss, ist Thema des bis Samstag Abend in Wien laufenden Fachkongresses "Lost in Translation", bei dem auch der Übersetzer selbst zum Forschungsobjekt wird. "Man muss kein Sprachwissenschafter sein, um ein guter Übersetzer zu sein. Aber was man braucht, ist ein theoretisches Wissen darüber, wie Kommunikation funktioniert, sowie über Kulturen und kulturelle Unterschiede", sagt Klaus Kaindl, Übersetzungswissenschafter und Leiter des Kongresses für Forscher und Berufsvertreter.
Übersetzen ist weit mehr, als Wörter von Sprache zu Sprache zu schieben. Es ist auch das Erklären von Zusammenhängen und Hintergründen für ein bestimmtes Publikum. Das macht den Beruf so schwierig, weil der Übersetzer wissen muss, was er voraussetzen kann: Was weiß ein Engländer über Apfelstrudel?
Ohne die richtige Technik geht es natürlich auch nicht. Ein Beispiel: Was tun, wenn es ein Wort in der Übersetzungssprache gar nicht gibt? Laut Kaindl haben Übersetzer mehrere Möglichkeiten. Sie führen ein neues Wort ein. Oder sie bringen eine wortwörtliche Übersetzung. Das Wort "Wolkenkratzer" etwa kommt eins zu eins vom englischen "Skyscraper". Eine mögliche Strategie ist auch das simple Weglassen von Worten. So sind Übersetzungen manchmal um ein Drittel kürzer als der Originaltext.
Ohne Dolmetscher gäbe es keine internationalen Konferenzen, keine diplomatischen Beziehungen, keine Staatstreffen. Doch ihre Wichtigkeit steht im krassen Gegensatz zu ihrer Sichtbarkeit. "Wer kennt den Übersetzer der Bücher, die er liest? Niemand. Die Gesellschaft nimmt sie kaum wahr, höchstens wenn ein Fehler passiert", sagt Kaindl.
Kulturelle Fehler sind mitunter schwerwiegender als grammatikalische. Ein Beispiel: Eine französische und eine deutsche Wirtschaftsdelegation treffen sich zum Essen. Die Deutschen reden ohne Umschweife vom Geschäft. Die Franzosen reden zunächst lieber übers Essen und sind vom Verhalten der Deutschen irritiert. Wenn der Dolmetscher die Situation nicht auflöst, könnten die Verhandlungen scheitern. "Erklären von kulturell bedingtem Verhalten ist das eigentliche Geschäft des Übersetzers", so Kaindl.
Berufsethik und Macht
"Ohne Übersetzer gäbe es keine Weltliteratur", sagt er. Übersetzen ist Macht. Ein übersetztes Buch hat nicht der Autor, sondern der Übersetzer geschrieben. Berufsethik ist daher ein Muss. Der Übersetzer ist nicht nur dem Autor, sondern auch dem Auftraggeber, dem Leser und nicht zuletzt sich selbst verantwortlich. Jeder hat seine Erwartungen. Vollkommene Neutralität darf man allerdings nicht erwarten. "Es gibt da viele Metaphern. Der Übersetzer soll wie eine Glasscheibe sein, durch die man durchsieht, ohne sie zu bemerken. Das geht nicht. Verstehen ist kein neutraler Akt."
Übersetzer sind keine Wissenschafter, daher gibt es auch keinen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit. Es ist laut Kaindl eher eine praktische Tätigkeit, die wissenschaftliche Reflexion benötigt, um sie professionell auszuüben: "Ein Architekt ist auch kein Wissenschafter, aber er braucht viel theoretisches Wissen, um ein Haus zu bauen. Genauso ist es auch beim Übersetzen, das dem Spruch zufolge ja auch das zweitälteste Gewerbe der Welt ist." Der erste Platz in dieser Kategorie beweist, dass Alter wohl nicht immer verpflichtende Voraussetzung für Prestige ist.