Der Stasi-Unterlagenbehörde mit ihren rund 3.000 Mitarbeitern stehen trotz der allgegenwärtigen Geldknappheit weiter gute Zeiten bevor. Dies nicht nur, weil die Übergabe der "Rosenholz"-Dateien vom US-Geheimdienst CIA zur nahezu kompletten Enttarnung des Westagentennetzes führen soll. Auch für die 15 Männer und Frauen im bayerischen Zirndorf, die seit 1995 dort eine mühevolle Kleinarbeit verrichten, brechen andere Zeiten an. Gegenwärtig knobeln sie an einem Riesen-Puzzle, das die Staatssicherheit im Herbst 1989 hinterlassen hat.
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Als das Ende der DDR nahte, versuchten die hauptamtlichen Mitarbeiter des Mielke-Ministeriums die Unterlagen über die Inoffiziellen Mitarbeiter (IM) und die "operativen Maßnahmen" gegen Regimegegner zu vernichten. Als die Reißwölfe angesichts der Aktenfülle versagten, zerrissen die Mitarbeiter die Dokumente von Hand in kleine Teile und füllten sie in über 16 000 Säcke. Diese wurden im Januar 1990 gefunden. In jedem Sack liegen schätzungsweise 2.500 A4-Seiten.
In Zirnsdorf wird versucht die Schnipsel mit der Hand zu Seiten zusammen zu fügen. Der Inhalt von 250 Säcken, rund 5.000 Seiten, konnte bisher aufwändig rekonstruiert werden. Manchmal dauerte es Monate, ehe eine Akte zusammen gestellt werden konnte. Nach dieser Methode würde es rund 400 Jahre dauern, bis auch das letzte Blatt seine zweifelhaften Geheimnisse preisgäbe.
Das soll sich nun ändern. Die Stasi-Unterlagenbehörde vergab an das Fraunhofer-Institut und die Lufthansa Sytems Group den Auftrag zur Entwicklung eines Computerprogrammes, das 600 Millionen Teilchen digital erfassen und virtuell wieder zusammen setzen kann. Bei diesem Verfahren werden die Papierfetzen auf einem Fließband nach Farbe, Text, Linierung, Schriftbild und Struktur maschinell analysiert. Die Schnipsel werden in Folien eingeschweißt, von elektronischen Scannern fotografiert und von Hochleistungsrechnern nach zu einander passenden Teilen durchsucht. Durch Vergleich der Merkmale kann der Computer die Schriftstücke zusammen fügen. So soll es möglich werden, jährlich rund 100 Millionen Schnipsel zu ordnen. In fünf Jahren könnte die Arbeit beendet sein.
Unklar ist die Finanzierung. Die Kosten für das Projekt sollen unter den bisher geschätzten 60 Millionen Euro liegen, die jährlichen Kosten werden mit einem einstelligen Millionenbetrag angegeben. Da der Jahresetat der Behörde bei über 120 Millionen Euro liegt, wird wahrscheinlich der Steuerzahler erneut zur Kasse gebeten werden. Das Fraunhofer-Institut stellt immerhin in Aussicht, dass das neue Computersystem später auch für andere Zwecke genutzt werden könnte.