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Das Sanktions-Dilemma

Von Gerhard Lechner

Politik

Die EU will nach der erzwungenen Flugzeuglandung Härte gegen Präsident Alexander Lukaschenko zeigen. Auch schmerzhafte Wirtschaftssanktionen sind geplant, etwa gegen die Kali-Industrie des Landes. Doch diese könnten auch erhebliche Nachteile haben.


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Alexander Lukaschenko hat sich Zeit gelassen. Trotz des Wirbels, den die erzwungene Landung des Ryanair-Fliegers in Minsk am Sonntag ausgelöst hat, schwieg der sonst so wortgewaltige Präsident von Belarus erstaunlich lange - und überließ es seinen Behörden, ihr umstrittenes Vorgehen zu erklären. Am gestrigen Mittwoch hat der Alleinherrscher von Minsk dann aber sein Schweigen gebrochen. Er wies alle Vorwürfe, die im Zuge der Verhaftung von Regimekritiker Roman Protassewitsch auf ihn niedergeprasselt sind, zurück. Es sei völlig rechtmäßig und im Einklang mit dem Völkerrecht vorgegangen worden, versicherte Lukaschenko.

Ziel sei der Schutz von Menschen gewesen: Die Informationen, dass sich ein Sprengsatz an Bord des Flugzeugs befinde, habe man von der Schweiz bekommen. Belarus habe aus Sicherheitsgründen gehandelt, weil das Flugzeug über das Atomkraftwerk des Landes geflogen sei. Und überhaupt: "Dass die Maschine mit einem Kampfjet vom Typ MiG-29 zur Landung gezwungen wurde, ist eine absolute Lüge!"

 

Tichanowskaja fordert Konsequenz

Sonderlich glaubwürdig dürften diese Erklärungen nicht sein. Schließlich haben die Behörden in Minsk auch schon von einer Drohung der Hamas berichtet, die umgehend dementiert hat. Man braucht auch viel Phantasie, um anzunehmen, dass die Verhaftung Protassewitschs purer Zufall war. Der Westen ist jedenfalls entschlossen, den Grenzüberschreitungen des weißrussischen Autokraten mit harten Maßnahmen entgegenzutreten. Die EU hat Minsk mit weiteren Sanktionen belegt, verhängte Start- und Landeverbote für weißrussische Fluggesellschaften. Lettland und Tschechien stellten am Mittwoch den Flugverkehr mit Belarus komplett ein.

Dennoch gehen diese Maßnahmen der weißrussischen Oppositionspolitikerin Swetlana Tichanowskaja nicht weit genug. Sie kritisierte die bisherige Haltung der EU gegenüber Lukaschenko. Deren Ansatz, abzuwarten und den Druck auf den Diktator nur langsam zu erhöhen, habe nur zu mehr Unterdrückung in Minsk geführt. Mit dem jüngsten Vorfall habe Lukaschenko eine Linie überschritten und sei "eine Bedrohung für den internationalen Frieden und die Sicherheit" geworden. "Meine Bitte ist, sehen Sie von allen internationalen Investitionen in Belarus ab", sagte Tichanowskaja in ihrer Rede vor dem Auswärtigen Ausschuss des EU-Parlaments. Produkte aus Weißrussland, etwa Holzprodukte, sollten nicht mehr unterstützt werden.

Zweitgrößter Handelspartner EU

Ob eine solche Strategie erfolgversprechend ist, ist freilich äußerst fraglich. Schließlich bringt eine harte Boykottpolitik auch zahlreiche Nachteile mit sich. Das gilt selbst für die Start- und Landeverbote: Die könnten nach Einschätzung vieler oppositionsnaher Beobachter kontraproduktiv sein. Die NGO "Reporter ohne Grenzen" gibt zu bedenken, dass man mit solchen Maßnahmen nicht nur Lukaschenko, sondern auch Journalisten und Angehörige der Zivilgesellschaft isolieren würde. Immerhin seien Flüge eine der wenigen Möglichkeiten, aus Weißrussland ausreisen zu können - die Landgrenze zu Polen ist derzeit wegen Corona geschlossen.

Und was harte Wirtschaftsmaßnahmen betrifft, tut sich ein ähnliches Dilemma auf. Zwar wären strenge Sanktionen wie etwa gegen die ölverarbeitende Industrie potenziell wirksam. Sie brächten aber auch Härten für die Bevölkerung mit sich. Auch jene Maßnahmen gegen die belarussische Kali-Industrie, wie sie die EU jetzt plant, würden das Regime spürbar treffen. Die Kali-Industrie ist für die Devisenbeschaffung in Belarus wichtig, Brüssel will die Sanktionen noch vor dem Sommer in Kraft setzen. Die EU ist nach Russland immer noch der zweitgrößte Handelspartner von Belarus. Im vergangenen Jahr verkaufte das Land in der EU Waren für rund 5,5 Milliarden US-Dollar. Aus Österreich sind - auch abseits des Mobilfunkanbieters A1 - zahlreiche Firmen in Belarus engagiert, etwa der Spanplattenhersteller Kronospan.

 

Auch Bevölkerung betroffen

Zumindest bis zum Beginn der Proteste im Vorjahr hatten die heimischen Firmen über ihre weißrussischen Partner kaum Grund zur Klage: Es gibt im Land viele gut ausgebildete junge Menschen, und ausländische Firmen können im wirtschaftlich sonst restriktiven Belarus oft recht frei schalten und walten - sofern sie sich an die Vorgaben der Staatsmacht halten. Harte Maßnahmen werden so zum zweischneidigen Schwert: Sie treffen nämlich nicht nur Vertreter des Systems, sondern auch die Bevölkerung, die ihre Arbeitsplätze verlieren würde.

Keine selbstlose Hilfe

Dem lange populären Lukaschenko könnte es so glaubwürdig gelingen, die EU für die großteils hausgemachten Wirtschaftsprobleme verantwortlich zu machen. Die weißrussischen Ölprodukte könnte er notfalls auch über Russland verkaufen.

Ohnehin ist kaum vorstellbar, dass Moskau seinem Alliierten im Fall der Fälle nicht unter die Arme greift. Die Hilfe des Kremls dürfte freilich nicht völlig selbstlos sein: Russland könnte Lukaschenko als Gegenleistung dazu drängen, das Bündnis mit Russland zu vertiefen - etwa indem er russische Militärstützpunkte in Belarus zulässt. Und ein weiteres Abgleiten Weißrusslands in die Arme Russlands ist genau das, was westliche Geostrategen vermeiden wollen.