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Das Scheitern von Monnets Salamitaktik-Methode

Von Thomas Seifert

Politik

Analyse: Die kleinen Trippelschritte, mit denen ein geeintes Europa geschaffen wurde, sind für die Krisenbewältigung ungenügend.


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Wien. Europa wurde in Salamitaktik geschaffen: Der französische Wegbereiter der europäischen Einigung, Jean Monnet, schwor darauf, durch kleine Schritte "eine Dynamik von nachhaltiger Bedeutung" zu erzeugen. In der Erklärung des französischen Außenministers Robert Schuman vom 9. Mai 1950, in der der Franzose die Schaffung der Europäischen Gemeinschaft vorschlug, finden sich ebenfalls Anklänge dieser Monnet-Methode: "Europa lässt sich nicht mit einem Schlage herstellen und auch nicht durch eine einfache Zusammenfassung. Es wird durch konkrete Tatsachen entstehen, die zunächst eine Solidarität der Tat schaffen."

In winzig kleinen Trippelschritten ging man ans epochale Einigungswerk des Kontinents.

Doch was für den Bau des europäischen Hauses recht war, ist nun bei der Bewältigung der Griechenland- und Euro-Krise alles andere als billig. Und zwar im doppelten Wortsinn: Die Unentschlossenheit der Politiker und die stetige Unsicherheit auf den Finanzmärkten hat Europas Steuerzahler wohl Milliarden gekostet.

Die Griechenlandkrise ist nicht zuletzt deswegen zu einer Dauerkrise geworden, weil es von Anfang an europäischem Zusammenhalt und einer klaren Strategie gefehlt hat. Und der ständig beschworene Ausnahmezustand zermürbt die europäischen Wähler.

Die ständige Prokrastination der Problemlösung in der Eurokrise hat bei den Bürgern das Gefühl erzeugt, dass die politischen Machteliten jegliche Lösungskompetenz vermissen lassen. Der Bürgerschaft präsentiert sich eine Generation von orientierungslos, kurzatmig und zänkisch gewordenen Politikern, die ums Geld streiten, sich im Dickicht des europäischen Institutionengeflechts verheddern und in den komplexen Prozessen der "Brussels Bubble" eingeschlossen sind. Von Grexit zu Brexit, von der Diskussion des Rauswurfs der Griechen bis hin zum Austritt der Briten: Wie sollen die Bürger da nicht zu Euroskeptikern oder gar Gegnern werden?

Der frühere EU-Kommissar Franz Fischler warnte erst unlängst in einem "Wiener Zeitung"-Interview vor dem Mantra, nach dem die Europäische Union noch aus jeder Krise gestärkt hervorgegangen sei: "Diese simple Schlussfolgerung hat aber keine Substanz. Denn nur weil etwas in der Vergangenheit stets so war, heißt nicht, dass das auch in Zukunft so sein muss." Ein Verdribbeln im Game of Chicken zwischen der griechischen Regierung und der Troika hätte verheerende Folgen für Griechenland - und möglicherweise auch für die Eurozone.

Paradoxerweise nützen die derzeitigen Wirren Deutschland: Die Leistungsbilanzüberschüsse des Landes liegen bei weltrekordverdächtigen 200 Milliarden Euro. In der Krise wurde der Eurokurs durch Griechen-Angstmache gedrückt und die Geldschleuse bei der EZB in Frankfurt geöffnet - ein Grund zur Freude für die deutsche Exportindustrie.

Die Reaktion Europas auf den Bank-Run in Zypern im März 2013 und den drohenden Bankencrash in Griechenland sowie die immer noch unvollendete Bankenunion legen Anlegern in der Eurozone nahe, ein Konto bei der größten Too-big-too-fail-Bank in Deutschland zu eröffnen - man kann ja schließlich nie wissen. Und wer auf Nummer sicher gehen will, kauft wohl am besten deutsche Bundesanleihen - auch wenn die Rendite bei gerade einmal 0,66 Prozent liegt. Auch vom Krisengewinnler des Kontinents ist kein Ende der Salamitaktik und kein großer Wurf zu erwarten.