)
Harte Kritik an Gewerkschaften, Lob für Betriebsräte. | Begrüßt temporäre staatliche Hilfen für Unternehmen. | "Wiener Zeitung": Die Speditionsbranche ist von der aktuellen Wirtschaftskrise offensichtlich besonders heftig betroffen? | Heidegunde Senger-Weiss: Das ist zweifellos richtig. Ich würde sogar sagen, dass unsere Branche ein Gradmesser für die Entwicklung der Gesamtwirtschaft ist. Schließlich transportieren wir das, was verkauft und gekauft wird, sowohl im Inland als auch im Ausland.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 15 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Ist die nunmehrige Wirtschaftskrise tatsächlich so viel dramatischer als frühere Rezessionen?
Die heimische Speditionsbranche hatte mit dem EU-Beitritt Österreichs eine dramatische Situation zu bewältigen, weil uns damals mit einem Schlag unser gesamtes Verzollungsgeschäft und damit ein Drittel der Wertschöpfung verloren gegangen ist. Das war dramatisch, hat aber nur unsere Branche betroffen, während die gesamte restliche Wirtschaft geboomt hat. Jetzt geht es der gesamten Wirtschaft schlecht. Wenn ich die Geschichte unseres Unternehmens betrachte, dann hat es da natürlich noch viel dramatischere Zeiten gegeben: den Zerfall der Monarchie, zwei Weltkriege, die Weltwirtschaftskrise in den dreißiger Jahren. Aber für unsere Zeit, ist das zweifellos die mit Abstand tiefste Krise.
Können Sie den aktuellen mengenmäßigen Rückgang für Ihre Branche beziffern?
Der Mengenrückgang liegt bei etwa 15 bis 25 Prozent. Und das ist dramatisch.
Wie geht ein Unternehmen nach Jahren des starken Wachstums mit einer solchen Situation um?
Die gesamte Wirtschaft ist ja eigentlich auf Wachstum aufgebaut. Auch die Mitarbeiter erwarten, dass es jedes Jahr eine Lohnerhöhung gibt. Mit Schrumpfung haben wir wenig Erfahrung. Daher müssen wir erst lernen, mit diesen neuen Rahmenbedingungen umzugehen. Man darf das Wort Nulllohnrunde ja nicht einmal in den Mund nehmen, ohne der Sozialdestruktion bezichtigt zu werden. Aber wenn die Wirtschaft schrumpft und wenn es keine Inflation gibt, sondern eher die Gefahr einer Deflation besteht, wenn es den Unternehmen nicht gut geht, dann sollten solche Themen eigentlich durchaus diskussionswürdig sein.
Ist das als Kritik einer Unternehmerin an mangelndem Problembewusstsein der Gewerkschaften zu verstehen?
Ich möchte zwischen den Mitarbeitern und Betriebsräten in den Unternehmen, die das Geschehen ja hautnah miterleben, und den Gewerkschaftsfunktionären unterscheiden. Das ist durchaus als Kritik an diesen Gewerkschaftsfunktionären zu verstehen. Andererseits müssen sich auch die ja erst an die Situation gewöhnen. Wir sind ja erst seit ein paar Monaten mit diesen neuen Rahmenbedingungen konfrontiert.
Aber Sie meinen, dass die Gewerkschaften in Zeiten, in denen es praktisch keine Inflation gibt und die Unternehmen teils dramatische Umsatz- und Ertragseinbrüche zu verkraften haben, größeres Verständnis dafür zeigen sollten, dass es keine nennenswerten Lohnerhöhungen geben kann?
Ich war zwar nicht im Verhandlungskomitee, aber der Kollektivvertragsabschluss für unsere Branche war äußerst schwierig. Aber ich habe gewisses Verständnis dafür, dass ein solcher Umgewöhnungsprozess einige Zeit dauert. Auch weil die Krise beim Großteil der Bevölkerung noch gar nicht wirklich angekommen ist.
Wie reagiert man als Aufsichtsrat und Eigentümer eines großen Unternehmens in einer solchen Situation?
Den Gürtel enger zu schnallen, ist in allen Bereichen angebracht. Das gilt für die Eigentümerinteressen, etwa die Dividende betreffend, bis zu den Investitionen. Es geht darum, dass man sich jede Kostenposition zwei- und dreimal anschaut, dass man alle Abläufe genau durchforstet. Als Unternehmen müssen wir da anders agieren als der Staat, wo dauernd von der Verwaltungsreform geredet, aber kaum etwas getan wird. In der Privatwirtschaft muss im Gegensatz dazu rasch gehandelt werden, um die Krise zu überstehen und daraus vielleicht sogar gestärkt hervorzugehen.
Der Staat als nicht eben sehr effizientes Gebilde gewinnt in der Krise allerdings auf unterschiedlichste Weise größeren Einfluss auf das Wirtschaftsleben.
Deshalb bin der Überzeugung, dass dieser Einfluss nur temporär, in Form von Überbrückungshilfen, sein sollte. Ich bin beispielsweise durchaus der Meinung, dass es notwendig war, den Finanzsektor zu stützen.
Aber mittlerweile haben sich die staatlichen Unterstützungen auf zahlreiche andere Branchen ausgeweitet.
Darüber kann man unterschiedlicher Meinung sein. Man muss sich schon die Frage stellen, wie lange es sinnvoll ist, Unternehmen zu stützen, deren Lebensfähigkeit fraglich ist. Denn an sich sind Strukturbereinigungsprozesse ja gesund. Alles beginnt irgendwann, wächst, erreicht seinen Höhepunkt, beginnt seinen Abschwung und irgendwann ist es dann vorbei. So ist das Leben. Und wenn ein Unternehmen sich nicht rechtzeitig den neuen Gegebenheiten anpasst, dann muss es sterben. Manche Giganten, die sich zu lange auf den Lorbeeren der Vergangenheit ausgeruht haben, ich denke da etwa an General Motors, müssen eben das Schicksal der Dinosaurier erleiden. Daher war es richtig, dass über General Motors das sogenannte Chapter-Eleven-Verfahren eröffnet wurde.
Faktum ist, dass über Kredite, Garantien und Beteiligungen der Staatseinfluss auf bisher privatwirtschaftliche Unternehmen steigt.
Man muss natürlich immer das gesamte Umfeld betrachten. Wenn es sich um eine temporäre Überbrückungshilfe handelt, die ein Unternehmen rettet und die dortigen Arbeitsplätze sichert, dann ist das sicherlich zu begrüßen. Es sollte aber nicht dauerhaft zu mehr Staatseinfluss führen, weil der Staat kein guter Verwalter von Unternehmen ist. Das zeigt ja unter anderem das Beispiel der verstaatlichten Industrie in Österreich. Dort hat die Entstaatlichung den einzelnen Unternehmen wirklich sehr gut getan. Es sollte daher alles unternommen werden, damit die jetzigen Maßnahmen nicht auf Dauer zu mehr staatlichem Einfluss - etwa in Form von Postenbesetzung nach politischen Vorgaben - führen. Ob beispielsweise die ÖBB so besonders effizient arbeiten, sei dahingestellt.
Die ÖBB haben in den vergangenen Jahren mit dem Geld der Republik in Österreich Speditionen gekauft und machen jetzt den privaten Unternehmen wie Ihrem auch auf der Straße Konkurrenz.
Die ÖBB sind ein Riesenkonzern, der in den letzten Jahren viele Unternehmen gekauft hat. Ich maße mir nicht an, die Kostenrechnung der ÖBB zu beurteilen, aber die Speditionsbranche muss mit äußerst knappen Margen arbeiten. Umsatzrenditen von bloß zwei bis drei Prozent verlangen, dass man mit äußerst schlanken Strukturen agiert, um rentabel zu arbeiten. Wir haben zwar gelernt, mit solcher staatsnaher Konkurrenz zu leben, aber es ist für uns ohne Zweifel eine große Herausforderung. Denken sie nur an die Postgesellschaften, die noch immer das Briefmonopol haben.
Nicht mehr lange.
Aber derzeit haben sie es noch. Wenn man die Bilanz der Deutschen Post analysiert, dann stellt man fest, dass in den letzten Jahren 200 oder 300 Speditions- und Paketbeförderungsunternehmen gekauft wurden, aber nach wie vor hauptsächlich am Briefmonopol verdient wird. Transportdienstleistungen sind naturgemäß "mobil". Wir haben einerseits mit Konkurrenten zu kämpfen, die etwa in Osteuropa beheimatet sind und mit ganz anderen Kostenstrukturen agieren. Aber das sind zumindest privatwirtschaftliche Unternehmen, und wenn es Sinn macht, können wir auch in diesen Märkten aktiv werden. Aber zusätzlich müssen wir mit Konkurrenten kämpfen, die, entweder vom Steuerzahler oder durch Monopoleinkünfte, quersubventioniert werden.
Viele der Unternehmen der unterschiedlichsten Branchen haben in den vergangenen Jahren kräftig expandiert. War der Optimismus der Unternehmer und Manager zu groß?
Ich bin nicht verwundert. Ich komme aus Vorarlberg und bin vielleicht besonders konservativ. Wir waren gerade in der Finanzierungspolitik immer sehr bedacht darauf, keine Schritte zu setzen, die nicht auch dann, wenn sie schiefgehen, zu verkraften sind. Wir haben allzu große Unternehmensübernahmen nicht nur aus finanziellen Gründen immer abgelehnt. Die Finanzierungen wären in der Vergangenheit ja leicht zu haben gewesen. Aber solche Übernahmen oder Fusionen brauchen unglaublich viel Managementkapazität, wenn man sie erfolgreich durchziehen will. Dass jetzt vielerorts redimensioniert wird, hat auch damit zu tun, dass viele Übernahmen nicht rentabel waren. Die Wirtschaftskrise, so schlimm sie ist und so sehr sie uns alle noch beuteln wird, ist eine notwendige Korrektur. Was jetzt passiert, ist eine Gesundung der Situation nach der Überhitzung.
Um zum Ausgangspunkt unseres Gesprächs und Ihrer Feststellung, dass die Logistikbranche der Gradmesser für das Wirtschaftsgeschehen ist, zurückzukehren: Wie lange wir die Wirtschaftskrise noch dauern?
Die vergangenen Monate waren von einem Abbau der vollen Lager gekennzeichnet und einem damit einhergehenden dramatischen Rückgang der beförderten Volumina. Seit März spüren wir, dass sich dieser massive Rückgang langsam ein bisschen einbremst. Das heißt aber noch nicht, dass sich bereits wieder irgendein Wachstum zeigt. Aber man kann zumindest davon ausgehen, dass langsam der Boden erreicht ist. Und wann wird es wieder aufwärts gehen? Ich persönlich bin eher pessimistisch. Ich glaube nicht, dass es im Jahr 2010 einen nachhaltigen Aufschwung geben wird. Ich glaube, da werden wir zumindest bis zum Jahr 2011 warten müssen.
Zur Person
Heidegunde Senger-Weiss wurde 1941 in Wien geboren und studierte nach der Matura bis 1963 an der damaligen Hochschule für Welthandel. Nach Absolvierung eines Praxisjahres in New York trat sie in das familieneigene Speditionsunternehmen Gebrüder Weiss (GW) ein. 1968 übernahm sie nach dem überraschenden Tod ihres Vaters gemeinsam mit ihrem Mann die Geschäftsführung des Unternehmens. Die Gebrüder Weiss Holding AG (GW Holding) verfügt einschließlich Tochtergesellschaften heute über 135 Niederlassungen in Europa, den USA und Asien, beschäftigt rund 4500 Mitarbeiter und erwirtschaftete zuletzt einen Umsatz von annähernd einer Milliarde Euro. 2005 zogen sich Heidegunde und Paul Senger-Weiss - wie schon länger geplant - in den Aufsichtsrat zurück.