Innere und äußere Einflüsse können die Verpackung unseres Erbguts epigenetisch verändern und für Folgewirkungen sorgen.
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Das Aussehen von der Mutter, die Intelligenz vom Vater - oder doch umgekehrt? Was Kinder vererbt bekommen, ist nicht vorhersehbar. Fest steht aber, dass jedes Kind die Erbinformation beider Elternteile in sich trägt. Welche Konsequenzen sich daraus für unser äußeres Erscheinungsbild, unsere gesundheitliche Entwicklung und unsere Persönlichkeit ergeben, hängt eben von der Vermischung und Aufteilung dieses Erbguts ab. Die Forschungen verdeutlichen allerdings immer mehr, dass die Gene nicht - wie lange Zeit gedacht - unser Schicksal sind. Denn sie sind veränderbar - und sogar beeinflussbar.
Möglich macht dies die Epigenetik. Sie ist ein ganz besonderes Werkzeug aus der Trickkiste unseres Lebens und ihre Vorgänge wurden bereits im 19. Jahrhundert vom französischen Botaniker und Zoologen Jean-Baptiste de Lamarck beschrieben. Er erkannte anhand von Untersuchungen an Fossilien, dass Arten nicht konstant, sondern laufenden Veränderungen unterworfen sind. Lamarck ging davon aus, dass sich ein Individuum im Laufe seines Lebens an bestimmte Umweltbedingungen anpasst und dass es diese Anpassungen auch an seine Nachkommen vererbt. Damit hatte er nicht so ganz unrecht. Es scheint in der Evolution nicht nur der Zufall ein Generator zu sein.
Das noch relativ junge Forschungsfeld der Epigenetik widmet sich genau jenen Veränderungen an den Genen, die durch äußere und innere Einflüsse entstehen. "Man sieht jetzt, dass es offensichtlich in der Architektur des Genoms eine Möglichkeit gibt, dass wir auch während unseres Lebens in den Keimzellen etwas verschieben - eine Art Adaption an die Umwelt machen", erklärt der Hormonforscher und Theologe Johannes Huber im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Dabei verändert sich allerdings nicht die Erbinformation selbst, sondern die Verpackung.
Generationenübergreifend
Die DNA des Menschen gleicht einer Perlenschnur aus den vier Basen Adenin, Guanin, Cytosin und Thymin, skizziert Huber. Setzen sich darauf Moleküle wie Methyl- oder Acetylreste, so ändert sich die elektrische Spannung. Methylreste lassen die DNA kollabieren, womit sie nicht mehr abgelesen werden kann. Sie stellen quasi das Blocksignal für die Transkription dar. "Acetylreste wiederum lassen die DNA auseinandergehen und die Transkriptionsmaschine kann drüberfahren", schildert der Mediziner. Die winzigen Anhängsel fungieren also wie Schalter, die das Gen an- oder abschalten.
Die Architektur dieser Hardware kann durch verschiedenste Einflüsse verändert werden. Das beginnt bei der Ernährung und endet beim Mobbing. Die Epigenetik hat also im Laufe unseres Lebens überall ihre Hand im Spiel.
Besonders großes Erstaunen hat in den letzten Jahren die Tatsache hervorgerufen, dass epigenetische Prägungen nicht nur den betreffenden Menschen verändern, sondern sogar an die Nachkommen weitergegeben werden können. "Was dein Vater vor deiner Zeugung gegessen hat, beeinflusst deine Gesundheit", lässt sich jene Studie betiteln, die erst letzte Woche im Fachblatt "Cell Metabolism" erschienen ist und einmal mehr den Generationensprung verdeutlicht. Dabei haben Forscher um Romain Barrès von der Universität von Kopenhagen in Spermazellen von 13 schlanken und zehn stark übergewichtigen Männern verschiedene epigenetische Marker entdeckt, die den Appetit der nächsten Generation beeinflussen können. "Die Bedeutung dieser Unterschiede muss noch näher untersucht werden, aber es besteht die Evidenz, dass Sperma die Information über das Gewicht des Mannes weiterträgt", heißt es im Fachblatt.
Bekannt war bereits, dass sich die Ernährung der Schwangeren auf das Essverhalten des Kindes auswirken kann. Erstmals wurde jetzt das Augenmerk auf die Väter gelegt. Insgesamt identifizierten die Forscher an 300 Genen, die unter anderem mit dem Essverhalten in Verbindung stehen, epigenetische Veränderungen. Die Experten raten daher Männern mit Kinderwunsch, auf einen gesunden Lebensstil zu setzen, um diesen möglichen Einfluss schon im Vorfeld abzuwenden.
Schon einer der ersten publizierten Berichte betraf Weinbauern, bei denen aufgrund des Einsatzes von Pestiziden in den Keimdrüsen epigenetische Veränderungen nachgewiesen wurden. Zeugten diese Söhne, dann war auch bei ihnen das Problem in den Keimdrüsen nachweisbar.
Epigenetische Veränderungen scheinen aber noch weitreichender zu sein. Historische Aufzeichnungen aus Schweden deuten darauf hin, dass die Enkel von Männern, die vor ihrer Pubertät eine Hungersnot durchlebt hatten, nicht so häufig an Herzerkrankungen oder Diabetes leiden wie die Enkel von Männern, die reichlich zu essen hatten.
Epigenetik und Evolution
Auch traumatische Erfahrungen noch vor der Schwangerschaft haben, so Studien, Einfluss auf den Nachwuchs. Mitte dieses Jahres hatten Forscher die Gene von 32 jüdischen Holocaust-Überlebenden untersucht. Auch hatten die Wissenschafter das Erbgut ihrer Kinder begutachtet, die bekanntermaßen ein erhöhtes Risiko für Stresserkrankungen haben. Die Daten wurden dann mit jüdischen Familien verglichen, die während des Holocausts außerhalb von Europa gelebt hatten. Untersucht wurde ein Gen, das bestimmt, wie wirkungsvoll der Körper auf Stresshormone reagieren kann und damit das gesamte Stresshormonsystem steuert. Die Forschungsergebnisse zeigten generationsübergreifende Effekte.
Stellt die Epigenetik damit auch einen maßgeblichen Teil der Evolution dar? Hier schränkt Huber ein: "Es geht nicht bis zum Jüngsten Gericht - es sei denn, der Druck auf das Genom wird verstärkt." Bei Mäusen weiß man, dass manche epigenetischen Prägungen sich in der fünften oder sechsten Generation wieder zurückbilden. Um vom Menschen gesicherte Daten zu bekommen, bräuchte man allerdings ein paar hundert Jahre. Die Epigenetik stelle vor allem eine Kurzzeitadaptionsmöglichkeit dar, wenn akut eine Anpassung nötig ist.
Diese Ladungsveränderung der DNA kann sich negativ und positiv auswirken. "Emotionen, Eigenschaften - das alles ist epigenetisch. Und wahrscheinlich auch die Frage, ob man an einen Gott glaubt oder nicht", erklärt der Theologe, der drei wesentliche Prägephasen im Leben eines Menschen nennt: die Zeit im Uterus der Mutter, die Spanne vom ersten bis zum dritten Lebensjahr und die Pubertät.
Bis zur medizinischen Nutzung dieser Erkenntnisse ist es aber vermutlich noch ein weiter Weg. Grundlage wäre die Dechiffrierung des epigenetischen Codes, was bei 24.000 Genen mit jeweils tausenden von Basen ein Mammutprojekt darstellt. Dennoch sind mittlerweile einige Stoffe bekannt, die fehlerhafte Methylierungen wieder rückgängig machen können: Dazu zählen der grüne Tee, das im Rotwein enthaltene Resveratrol und Buttersäure.