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Die Bilder aus Japan sind erschütternd, sie stellen die Diskussion um die Atomenergie auf eine völlig neue Basis. Das Ende der AKW-Ära zeichnet sich in Deutschland unweigerlich ab. Das ist gut. Ob andere Industrienationen folgen, ist zweifelhaft. Beeindruckend sind die Disziplin und die Ruhe, mit der die Japaner angesichts des Erdbebens, des Tsunamis und der Atomkatastrophe agieren. Hierin unterscheiden sie sich grundlegend von den deutschen Atomkraftgegnern, deren Hysterie den Eindruck vermittelt, als sei nicht das Land in Fernost vom GAU bedroht, sondern Deutschland.
Die Politik prüft ihre Optionen. Kanzlerin Merkel denkt über eine Laufzeitverlängerung der AKWs nach. Wissend, dass die schwarz-gelbe Koalition in Sachen Atomausstieg Wortbruch begangen hat, die Grünen legen sich den Ball genüßlich auf dem Elfmeterpunkt zurecht, um das Leder ins Tor zu schießen und die Sozialdemokraten schaufeln eifriger denn je am Grab der Atomindustrie - schließlich befindet sich Deutschland in einem Superwahljahr.
Deutsche Befindlichkeiten bewegen sich immer in Extremen. Das ist bei der Anti-Atomkraftbeegung nicht anders und hat seine Ursachen in einer eingeschränkten Selbstwahrnehmung. Das mag historisch-psychologische Ursachen haben. Deutschland hat sich zu einem Land der Notausgänge, der Warnhinweise, der geprüften Sicherheit, der Gefahrenabwehr und der Katastrophenübungen entwickelt. Die Perfektionierung der Gesellschaft bis in die feinsten Äderchen hinein hat eine Rundumsicherheits-Mentalität erzeugt, die als allgemeinverbindlich und vorbildhaft in die Welt hinausgetragen wird. Ist sie aber nicht. Das Leben an sich ist Risiko und das Schicksal singt nicht nach dem deutschem Taktstock.
Es sei nur an die Terrorwarnungen zu Jahreswende 2010/11 erinnert. Höchste Warnstufen, Urlaubssperren bei den Sicherheitsbehörden, Panzerwagen auf den Flughafen-Rollfeldern, das Land verkroch sich hinter Sicherheitsnormen. Minister warnten und entwarnten. Hochexplosiv war nur die Debatte - nicht die Situation. Erinnert sei auch an das "Winterchaos" 2010/2011 in Deutschland. Jede Flocke war Anlass, die Chaosschraube ein wenig weiter anzuziehen. "Nichts ging mehr": Blitzeis, Schnee, Eisregen - Untergangsszenarien angeblich biblischen Ausmaßes überzogen das Land. Niemand kam auf die Idee, den Menschen zu erklären, dass Winter ist und in solch einer Jahreszeit auch schon mal Schnee fällt. Das passte nicht ins deutsche Sicherheitsdenken.
Um es noch einmal zu betonen. Es geht nicht darum, dem Atomstrom das Wort zu reden. Ein Ende der AKW-Ära ist überfällig. Es geht um das Wie. Wie überwindet man die dezeitige Atompolitik? Wenn sich etwas Positives aus der Katastrophe von Japan ableiten lässt, dann, dass kein Atomkraftwerk mehr verantwortungsbewusst geführt werden kann - und ein Ende dieser Technik geboten ist. Dazu bedarf es allerdings keiner Panik, sondern Ruhe und Gelassenheit.
(erschienen in der WZ Online)