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Starke Wechselwirkung zwischen Teilchen, die Materie entstehen lässt, erstmals beobachtet. | Physiker haben die Ursuppe nachgekocht. | Wien. Die Antwort auf die Frage "nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest" ist nicht 42. Sondern sie liegt unter anderem in ein paar Millionstel Sekunden kurz nach dem Urknall.
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In seinem Science-Fiction-Klassiker "Per Anhalter durch die Galaxis" füttert der britische Autor Douglas Adams einen Supercomputer mit seiner flapsigen Frage. Heraus kommt die korrekte, jedoch sinnlos erscheinende Antwort. Wenn sie das Ziel hatten, dem Universum denn doch mehr Bedeutung als "42" abzuringen, müssen die Forscher am Europäischen Kernforschungszentrum Cern nahe Genf ihre Fragestellungen wohl weitaus präziser angelegt haben. Denn sie wollen wissen, nach welchen Mechanismen das Schloss zum Universum funktionierte, als es vor 13,7 Milliarden Jahren innerhalb von ein paar Millionstel Sekunden aufsprang.
In diesem nahezu unvorstellbar kurzen Zeitraum nach dem Urknall gab es keine Atome, schon gar keine Sterne oder Galaxien. Sondern es entstand die Ursuppe, aus der unsere bekannte Materie hervorging. Danach wurden aus den Quarks und Gluonen - den Zutaten dieser Suppe - Atome. Später konnten daraus die Sterne, Monde und Planeten entstehen, unter ihnen die Erde.
Die Cern-Physiker haben die Ursuppe im Teichenbeschleuniger Large Hadron Collider (LHC) nun erstmals nachgekocht. Dabei ist es ihnen auch erstmals gelungen, die "starke Wechselwirkung" zu beobachten, ohne die Materie niemals hätte entstehen können. Ihre Ergebnisse präsentierten die Forscher am Donnerstag Abend vor Fachpublikum in Genf. Das Experiment läuft seit rund drei Wochen und endet vorerst am Montag.
Die Crux liegt in der Beschleunigung von Blei-Ionen - das sind Bleiatome, deren Elektronen entfernt wurden. Wenn Elektronen von Atomen entfernt werden, bleiben elektrisch negativ geladene Ionen übrig. Schwerionen sind Ionen von schweren chemischen Elementen - wie Blei oder Gold (siehe Teilchen-Lexikon unten) .
"Mit negativ geladenen Blei-Ionen können Kollisionen mit extrem hohen Energiedichten erzeugt werden, die einem Zustand entsprechen, wie er in den ersten Millionstel-Sekunden nach dem Urknall geherrscht hat", erklärt die am Cern tätige Dozentin Claudia-Elisabeth Wulz vom Institut für Hochenergiephysik der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.
Quarks in der Ursuppe
Die Quarks der Ursuppe bilden die grundlegenden Bausteine der Protonen und Neutronen in Atomkernen. Die Gluonen sind hingegen der "Kleber", der die Quarks normalerweise zusammenhält: Durch den Austausch von Gluonen entsteht jene anziehende Kernkraft, die alle Teilchen in sich bindet. "Es ist, als würde eine Person in einem Ruderboot stehen und einen Bumerang werfen: Wenn der Bumerang zurückkommt und die Person ihn fängt, erhält das Boot eine Kraft und bewegt sich", erklärt Wulz.
Nach dem Urknall waren Quarks und Gluonen jedoch freie Teilchen - "als würde der Bumerang nicht zurückkommen, weil er nicht mehr durch eine Kraft gebunden ist." Dieser Zustand namens Quark-Gluon-Plasma sei nun am LHC reproduziert worden.
Im Zuge der dafür nötigen Blei-Ionen-Kollision entsteht kurzzeitig ein "Feuerball" - ein extrem heißes, dichtes Volumen mit hoher Energie auf kleinem Raum, in dem die Blei-Ionen "schmelzen", wodurch Plasma entsteht. Das Plasma kühlt anschließend wieder ab, indem viele Teilchen erzeugt werden (siehe großes Foto). Um zu prüfen, ob der hergestellte Zustand tatsächlich jener der Ursuppe ist, werden die Teilchen vermessen.
"Eine klares Zeichen für die Erzeugung des Quark-Gluon-Plasmas ist das Jet Quenching", sagt Wulz. Ein Jet ist eine Ansammlung von hochenergetischen Teilchen auf kleinem Raum - ähnlich einem Wasserstrahl. Jets entstehen, wenn die Grundbausteine der Materie - die Quarks und Gluonen - nach der Kollision vom Kollisionspunkt in entgegengesetzte Richtungen wegfliegen.
Essenzielle Wechselwirkung
Würden nur Protonen im Gegensatz zu Blei-Ionen kollidiere, dann würden Jet-Paare mit entstehen annähernd gleichen Energien. Die Jets würden, durch nichts aufgehalten, wegfliegen. Wenn die Jets aber in Schwerionenkollisionen entstehen, werden sie an den freien Quarks und Gluonen des Plasmas gestreut. Auf dem Weg durch diese verlieren sie Energie. Ein Jet kann seine gesamte Energie durch die Streuung verlieren. Die Energieverteilung der verschiedenen Jets wird somit asymmetrisch. Zwischen dem Plasma und den Jets entsteht dadurch starke Wechselwirkung, ohne die keine Materie entstehen kann.
"Diese Wechselwirkung kann man nun erstmals genauer studieren", betont Wulz. Die Forscher hoffen, noch mehr über den frühen Aufbau des Kosmos zu lernen, denn die starke Wechelwirkung hat binnen Millionstel-Sekunden den Aufbau der Atomkerne bestimmt. Am LHC werden drei Experimente dieser Art durchgeführt: Alice, Atlas und CMS. Die Cern-Mitgliedsstaaten, darunter Österreich, haben den Bau der Experimente mit rund 880 Millionen Euro finanziert. Rund 7500 Wissenschafter werten weltweit die Daten aus.
Kleines Lexikon der Teilchen
Atome: Bestandteile der Materie. Ein Atom besteht aus dem Atomkern und den um ihn kreisenden Elektronen.
Protonen, Neutronen: Bestandteile der Atomkerne. Ein Wasserstoffkern besteht aus nur einem Proton. Ein Blei-Kern besteht aus 82 Protonen und 124 bis 126 Neutronen.
Quarks und Gluonen: Elementare Bestandteile der Protonen und Neutronen. Quarks werden durch Austausch von Gluonen zusammengehalten, so dass ein Proton oder Neutron entsteht.
Ionen, Schwerionen: Wenn man Elektronen von Atomen entfernt, bleiben elektrisch negativ geladene Ionen übrig. Schwerionen sind Ionen von schweren chemischen Elementen, wie zum Beispiel Blei oder Gold.
Starke Wechselwirkung: Kraft, die die Quarks im Proton oder Neutron aneinander bindet. Man kann sie durch den Austausch von Gluonen zwischen den Quarks beschreiben. Die starke Wechselwirkung bindet auch die Protonen in den Atomkernen aneinander. Wenn nur elektrische Kräfte herrschen würden, müssten die Protonen sich gegenseitig abstoßen, da sie gleiche positive Ladungen tragen.
Hadronen: Teilchen, die aus Quarks zusammengesetzt sind. Protonen und Neutronen gehören zu den Hadronen.
Quark-Gluon-Plasma: Ein flüssigkeitsähnlicher Zustand aus fast freien Quarks und Gluonen, der nur bei extrem hohen Energiedichten bzw. Temperaturen entsteht. Normalerweise sind Quarks und Gluonen in Hadronen gefangen.