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Auf der politischen Bühne ist weit mehr los als in der Politik. Die Akteure müssen das Sommerloch überspielen.
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Große Heerführer lassen sich von ihrem Generalstab täglich informieren, wo die Armeen stehen. In Österreichs Politik ist dabei eine außergewöhnliche Reaktionsgeschwindigkeit nötig. Da bis Herbst wegen der zwei Landtagswahlen keine Entscheidungen fallen werden, kann täglich dreimal alles anders sein.
Wo steht Christoph Leitl mit seinem Wirtschaftskammer-Bataillon? Falsch gefragt. "Unterstützung findet der ÖVPler nicht nur in der SPÖ, wo sich Bundeskanzler Werner Faymann heute auf die Seite von Leitl stellte." Das meldete die APA schon im Mai, doch stimmte das sogar noch am Samstag beim SPÖ-Parteitag und hat vermutlich die ORF-"Pressestunde" mit Leitl am Sonntag überdauert: Faymann steht bei ihm, bitte merken, denn beide wollen die Finanztransaktionssteuer.
ÖVP-Klubobmann Karlheinz Kopf und Finanzstaatssekretär Reinhold Lopatka wollen die Transaktionssteuer aber nicht, Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner auch nicht. Sie stehen mit ihren Einheiten nicht bei Wirtschaftskammer-Präsident Leitl und auch nicht bei Kanzler Faymann. Wifo-Chef Karl Aiginger hingegen schon, wobei seine Warnung vor einem "Kaputtsparen" sogar etwas von Kapitalistenfresserei enthält.
So trägt jeder das Seine bei, und sogar in Finanzminister Josef Prölls Statement, man dürfe "den Aufschwung nicht abwürgen", lässt sich vieles hineinprojizieren. Dennoch erhärtet sich der Eindruck: Pröll steht nicht, sondern sitzt, nämlich auf Nadeln. Er will mit der Macht des Finanzministers zwar nicht den Aufschwung abwürgen, aber das Budget retten. Wer sich davor fürchtet, kann sich bei Aiginger beschweren.
Leitl jedoch - abgesehen davon dass er für den Brenner-Basistunnel ist, was Verkehrsministerin Doris Bures nicht so blanko zu sagen wagt - ist im politischen Koordinatensystem als Springer und Stürmer kaum noch einzuholen. Er kommt so flink im Themenkatalog herum, dass geradezu immer irgendwer neben oder hinter ihm steht oder - so geschehen im Konflikt zwischen Ärztenkammer und Gewerbe-Krankenkasse - beim Heurigen sitzt.
Mit seiner Taktik, die Armeen der Wirtschaftskammer mit jenen der rivalisierenden Industriellenvereinigung (IV) zu verbinden und für die Gesamtschule zu marschieren, vereinigte er die bisher größte Schnittmenge auf seiner Seite. Unterrichtsministerin Claudia Schmied ist "sehr erfreut" über die Vorstöße der Wissenschaftsministerin Beatrix Karl, diese freut sich über Leitl und legt noch eins drauf: "Gymnasium für alle", wogegen niemand so recht etwas sagen kann, wenn WKO und IV das Bildungsding schon abgesegnet haben. In ihrem Lager ist die SPÖ.
Wo ist eigentlich die ÖVP? Ihr Ort ist ein zeitlicher. Sie lebt im Umbruch der Ideen und großen Wendemanöver auf offenem Feld. Bis Oktober kommt mehr davon. Zum Beispiel Spitälerzusammenlegungen (Leitl) und finanzielle Demontage übler Staatsmanager (Leitl). Wem schon schwindlig wird, der hat den Trost, dass in aller Bewegung auch auf Statik Bedacht genommen wird. Wann endlich kommt die Transparenzdatenbank für alle Sozialleistungen? Sobald die Länder zugestimmt haben. Also bitte Geduld, auch bei jenen, die auf Mindestsicherung warten. Und was ist mit Aigingers Vorschlag eines "Zukunftspakets" von Ländern und Sozialpartnern zur Budgetkonsolidierung? Erst müsse die Verwaltungsreformgruppe ihre Arbeit abschließen, sagt Staatssekretärs Andreas Schieder. Ja dann . . .
Der Autor ist Sprecher der "Initiative Qualität im Journalismus"; zuvor "Wirtschaftsblatt", "Presse" und "Salzburger Nachrichten".