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Das Wiener Rathaus ist seit seiner Eröffnung im Jahr 1883 der Schauplatz großer Ereignisse: Vom dirigierenden Johann Strauß über den "Life-Ball" bis zum Christkindlmarkt.
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Wien muss Metropole werden, sprach der Kaiser anno 1857 und verfügte das Niederreißen der Stadtmauern, die Eingemeindung der Vorstädte und den Bau der Ringstraße. Kaum hatte er diese Botschaft verkündet, ging das Gerangel um die Bauplätze los. Mit den Niederlagen gegen Italien (und später gegen Deutschland) kehrte der Parlamentarismus nach Österreich zurück und verkehrte die Machtverhältnisse in Stadt und Land. Der Gemeinderat durfte wieder gewählt werden. Die Bürger sollten Steuern zahlen. Mitreden wollten sie aber auch.
Es wäre nicht Wien, wenn nicht die einzelnen Bauprojekte in einen heftigen Wettbewerb miteinander getreten wären. Die Schneewittchen-Frage galt auch für die Ringstraße: Was würde das schönste Gebäude in der ganzen Stadt werden? Die diversen Bauwerke stritten um die Ränge im Aufmerksamkeitswettbewerb; alle architektonischen Mittel - Lage, Eingang, Höhe, Stil, Material, Farbe oder skulpturaler Zierrat - wurden zur Profilierung eingesetzt und prägen bis heute die Besonderheiten. Das Parlament glänzt durch eine weite elegante Rampe, überdies symbolisieren seine starken Eingangssäulen Bedeutung, und die vergoldete Pallas Athene verstärkt die Würde ein Stück mehr.
Im Vergleich mit dem Parlament stehen Burgtheater und Oper deutlich zurück, sie sitzen quasi an der Gehsteigkante des Rings und dürfen die Besucher direkt auf der Straße abholen. Das unauffälligste Geschwister in der Reihe der Repräsentationsbauten am Ring ist die Universität, die wegen der Ausrichtung des Eingangs relativ versteckt wirkt.
Der beste Bauplatz
Den prächtigsten aller Bauplätze im Bauboom der Ringstraßenzeit haben sich allerdings Bürgermeister und Gemeinderäte organisiert. Dabei hatten diese keineswegs das Sagen, sie durften nur bei der Vergabe der Plätze mitreden. Umso mehr wirkt es wie ein Wunder, dass es Bürgermeister Cajetan Felder 1869/1870 gelang, den Kaiser von einem Bauplatzwechsel zu überzeugen. Nicht auf dem Feld vis-a-vis vom Stadtpark, wo einige Jahre ein bereits ausgehobenes, tiefes "Kommunalloch" auf die Füllung wartete, sollte das Rathaus erstehen, sondern auf dem riesigen Parade- und Exerzierplatz der Josefstädter Glacis. Felders Urteil über die "Schandpartie des damaligen Wien" war mehr als deutlich: "Bei trockener Witterung eine Sandwüste, bei nassem Wetter ein Sumpf oder ein gefrorener Teich." Hier sollte das Rathaus entstehen, groß, weitläufig und mächtig. Mit großem Geschick und allen ihm zur Verfügung stehenden Tricks arbeitete Felder daran, seinen Lebenstraum zu realisieren.
Ob der Kaiser wirklich wusste, was er tat? Parlament, Rathaus, Burgtheater, Universität und im Hintergrund der Justizpalast sollten das geballte Zentrum der Moderne bilden. Aber warum gab er das Filetstück dem Rathaus? Mit der riesigen Grundfläche hat er jedenfalls der Stadt reichlich viel Spielplatz zur Selbstinszenierung zur Verfügung gestellt. Und Felder hat nicht gezögert, die Chance zu nutzen, indem er ein Areal entstehen ließ, das sich in der Kombination von Plätzen, Parks und Bauwerk wie ein Schloss ausnahm. In Sichtweite der Hofburg pflanzte sich ein neues Schönbrunn auf.
Das bürgerliche Wien meldete in aller Deutlichkeit: Wir sind da! Wir sind das Bauvolk der kommenden Welt! Im Mittelalter sollte der gotische Stil Himmel und Erde verbinden, aber hier hatte er wohl anderes im Sinn. Das liberale Bürgertum maskierte sich mit Kirchenkunst, um seinen Machtanspruch zu stellen. Dombaumeister Friedrich Schmidt brachte das Kunststück zuwege, säkularisierte Religion, mittelalterlichen Bürgersinn, Renaissance-Elemente und modernen Funktionalismus in einem Bau zu vereinen.
Auch im Inneren hielten sich die Rathausbauer Felder/ Schmidt an das feudale Erbe, um aufzutrumpfen. Die Raumplanung bezeugt noch heute, was das Bürgertum vom Adel als Lektion gelernt hatte: Nicht nur auf Fleiß und Industrie, sondern auch auf Repräsentation kommt es an. Hinter der breiten Prachtfassade der Vorderfront lagen Säle in verschiedenster Größe, gedacht zum Feiern, Ehren, Tagen, Tanzen. Der Festsaal galt mit seiner Länge von 71 Metern lange Zeit als der größte Saal Europas. Johann Strauß und Karl Michael Ziehrer dirigierten hier am ersten "Ball der Stadt Wien". Die kleineren Säle samt Buffets, die sich bis auf die Nord- und Südseite zogen, waren mit Kassettendecken, Lustern und Ledertapeten nicht minder preziös in der Ausstattung. Es passt schon, dass bis heute die zu Stein gewordenen Gründerväter des Rathauses, Cajetan Felder und Friedrich Schmidt, am Ende der ehrfurchtsgebietenden Treppe zur Belle Etage die Besucher empfangen.
Es sind beinahe 130 Jahre seit der Eröffnung des Rathauses 1883 vergangen, aber in bestimmter Hinsicht scheint es erst jetzt zu seiner Höchstform zu finden. Und zwar durchaus im Sinne seiner Erfinder Felder und Schmidt, deren Erbe die Stadt heute systematisch zum Stadtmarketing nutzt.
Öffentliche Nutzung
In den 1920er und 1930er Jahren gab es hier an die hundert Veranstaltungen im Jahr, in den siebziger Jahren waren es etwa 700, 1999 waren es 1600. Heute ist die Zahl auf 1300 gesunken, weil aufwendige technische und logistische Vor- und Nachbereitungen immer mehr Zeit verschlingen. Mehr als 300.000 Menschen strömen jährlich ins Rathaus.
Es erstaunt, wie vielfältig die Nutzungsmöglichkeiten sind, zu welchen Zwecken das Rathaus als Veranstaltungs- und Austragungsort herangezogen kann, wie der Grad der Auslastung immer wieder gesteigert wird, wie neue Räume für den Eventbetrieb erschlossen werden: Der "Eistraum" arbeitet sich in den Rathauspark hinein, die westlich gelegene Stadtinformation wird für Veranstaltungszwecke genutzt usw.
Das Rathaus ist zur Eventmaschine geworden. Der Festsaal, wohl das Herzstück des Hauses, wird traditionsgemäß für Bälle verwendet, er dient wie ehemals als ideale Bühne für Ehrungen, darüber hinaus nutzen ihn die "Wiener Vorlesungen" regelmäßig als Auditorium. Er ist beliebt als Ausstellungs- und Kongressort und Platz für Bildungsmessen (Gesundheitstage etc.), auch wenn die "Buchwoche" in den größeren Messe-Komplex übersiedelt ist. Große Schachturniere fanden im Rathaus genauso ihren Platz wie ein Bankett anlässlich der Fußball-Europameisterschaft.
Es ist kurios, dass die sogenannte Volkshalle, ebenerdig an der Vorderfront gelegen, über eine bescheidene Rolle im Eventbetrieb nicht hinauskommt. Als einziger Saal hat sie einen direkten Zugang zum Rathausplatz. Das Volk hatte, vielleicht wegen des Steinbodens, die Volkshalle nie wirklich in Besitz genommen, nur im Winter dient sie beim Christkindlmarkt als Bastelstube.
Ganz anders der Arkadenhof, der die Phantasie der Veranstalter im Laufe der Geschichte immer wieder beschäftigt hat. In einer Festschrift wurde gar von der Anmutung eines venezianischen Dogenpalastes gesprochen. Musikveranstaltungen im Arkadenhof am Beginn der 1920er Jahre legten die Grundfeste zu den späteren Wiener Festwochen. Max Reinhardt führte im Rathaushof anno 1929 Büchners "Dantons Tod" auf. Helmut Zilk war offensichtlich durch Friedensreich Hundertwasser inspiriert und hat einen Teil des Hofes in einen Park umgewandelt. Der andere Teil kann heute mittels Schiebedach bei Schlechtwetter überdacht werden und zieht zwischen Frühjahr und Herbst jede Menge Menschen zu Feiern, Festen oder Kinderrallyes in das von der Rathauswache gut gehütete Innere des Baus.
Die Feiern zum 1. Mai sind eine Erinnerung daran, dass der Rathausplatz in der politischen Geschichte der Stadt immer eine prominente Rolle gespielt hat, schon in der Lueger-Zeit, natürlich im Roten Wien, im Austrofaschismus, im Nationalsozialismus oder in den Gründungstagen der Zweiten Republik.
In den Wirtschaftswunderjahren verkam der Rathausplatz zu Wiens größtem innerstädtischen Freiluftparkplatz. Bürgermeister Felix Slavik stellte das nach und nach ab, war aber ohne rechten Plan. Ein schlichter, leerer Platz, in Italien selbstverständlich, war für Wien nicht denkbar. Der Horror vacui ging damals wie heute um. Ein Architekturwettbewerb brachte wenig mehr als die Erkenntnis, dass hier die Errichtung fester Bauten nicht angesagt war.
Event und Vergnügen
Mit Leopold Gratz begann dann eine neue Ära: Der Christkindlmarkt von 1975 war ein Erfolg und setzte eine erste Markierung der Weiterentwicklung zum Vergnügungs- und Eventzentrum, mit Zirkus und Wien-Marathon, mit Sommerkino und Festwocheneröffnung, mit Eislaufplatz und Radrennen ums Rathaus. Der Platz wird fast ganzjährig bespielt. Die Tage, an denen der Platz einfach als Freifläche begangen werden kann, sind rar geworden. Zum Höhepunkt dieser Theatralisierung des Rathauses baut sich mehr und mehr der "Life-Ball" auf, der nach und nach alle Spielflächen im Rathaus und um es herum mit bizarrem Pomp erschließt und als TV-Spektakel über Wien hinaus wirkt. Es ist erstaunlich, wie Felders kühne Vision dem Stadtmarketing von heute in die Hände arbeitet.
Nicht nur in Wien setzt sich dieser Trend durch. Ein Städtevergleich wäre durchaus interessant, um die Vielfalt einer zeittypischen Symptomatik zu erkunden: die Politik tritt hinter der quirligen Fassade des Stadtmarketings immer weniger in Erscheinung, und ein Veranstaltungsbetrieb drängt in der öffentlichen Wahrnehmung die Funktion des Rathauses als politisches und administratives Zentrum zurück.
Das Stadtmarketing ist längst nicht mehr der Wurmfortsatz eines budgetär streng aufgeteilten Verwaltungs- und Planungsapparats, sondern betätigt sich als Ideologiefabrik, die Wohlgefallen, Zustimmung, Popularität produzieren soll. Die Politik spielt gern den Zeremonienmeister, wenn das Credo der offenen, leichtlebigen, vergnügten, sozialen Stadt verkündet wird. Die historische Masse der Rathäuser ist gut knetbar für die Erlebnisgesellschaft des 21. Jahrhunderts.
Alfred Pfoser, geb. 1952, ist Leiter der Druckschriftensammlung der Wienbibliothek im Rathaus.