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Das schwarz-grüne Gedankenspiel hat noch nicht viele Anhänger

Von Georg Friesenbichler

Analysen

"Ich sehe eine große Unsicherheit und großes Schwanken." Mag sein, dass Winfried Kretschmann in dieser Beurteilung der SPD vor allem die Sozialdemokraten in Baden-Württemberg vor Augen hat, mit denen er als erster grüner Ministerpräsident in einem deutschen Bundesland in einer Koalition sitzt. Immerhin ist die Spitze der Landes-SPD für den Weiterbau des Bahnhofsprojekts "Stuttgart 21", während Teile ihrer Basis ebenso wie die Grünen als Ganzes dagegen sind. Nur ein ungeliebter Kompromiss, der die Grünen noch viele Sympathien kosten könnte, hat das Zustandekommen der Koalition ermöglicht.


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Kretschmann, der vielen in dem konservativ geprägten Bundesland ohnehin als verkappter Christdemokrat vorkommt, war denn auch der erste Grünen-Politiker, der die Fixierung auf die SPD als Koalitionspartner in Frage stellte. Nach der Atomwende sei auch eine Koalition mit der CDU möglich geworden, postulierte er in einem Interview. "Die Verlängerung der AKW-Laufzeiten hat unüberbrückbare Gräben aufgerissen, die werden nun wieder eingeebnet", meinte Kretschmann. Grünen-Chef Cem Özdemir war vorsichtiger, wollte aber ebenfalls eine schwarz-grüne Koalition nach den Wahlen 2013 nicht völlig ausschließen.

Solchen Bündnissen war in Deutschland bisher allerdings meist nur eine kurze Lebensdauer beschieden. Wenn sie erfolgreich waren, dann auf kommunaler Ebene, wie in Frankfurt am Main. Auf Landesebene scheiterte das erste derartige Experiment im November 2010 im Stadtstaat Hamburg, wo die Grünen die Koalition platzen ließen. Mittlerweile stellt dort wieder die SPD den Landeschef.

Diese Erfahrung trägt wohl dazu bei, dass Schwarz-Grün weiterhin nicht viele Freunde hat, wie die Reaktionen auf Kretschmanns Vorstoß zeigen. CDU-Generalsekretär Herrmann Gröhe findet die "Koalitionsgedankenspielchen" derzeit so "unnötig wie einen Kropf". CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach betonte, dass es nicht nur um Energiepolitik gehe - bei den Themen Terrorbekämpfung, Zuwanderung und Intergration gebe es "zum Teil fundamentale" Unterschiede zwischen den beiden Parteien und damit "zu geringe Schnittmengen für eine tragfähige Koalition", meinte Bosbach.

Die meisten Gemeinsamkeiten gebe es nach wie vor mit der SPD, betonte ebenso der Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin. Und er berücksichtigt auch taktisches Kalkül: "Mit der SPD lägen wir auf Augenhöhe - bei der CDU wären wir Juniorpartner." Laut Umfragen liegen die Grünen teilweise vor der SPD.

Zwar wollen manche Beobachter in der Atomwende von Kanzlerin Angela Merkel durchaus ein Signal an die Grünen sehen. Akut wird die Frage einer schwarz-grünen Koalition aber erst dann, wenn sich die FDP nicht von ihrem Tief erholt und die Union mit ihrem jetzigen Partner keine Mehrheit mehr stellen kann.

Siehe auch:In Stuttgart wird wieder am Bahnhof gebaut - und wieder protestiert