Auf einem Kinderspielplatz in einem Wiener Park klettert ein Bub im Alter von ungefähr sechs bis sieben Jahren auf eine Schaukel. An diesem hochsommerlichen Vormittag ist die Anlage, wo sonst auch andere Kinder herumtollen, still und leer. Der Knabe ist mit dem Schaukeln so beschäftigt, dass er den älteren Herrn nicht bemerkt, der ihn schon längere Zeit beobachtet . . .
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Einige Zeit später erhebt sich der Mann, geht auf das Kind zu und lockt es mit einer Einladung auf ein Eis, mit ihm zu kommen. Dies könnte das klassische Szenario für die Entwicklung eines der verachtenswertesten Angriffe Erwachsener auf die Integrität des kindlichen Körpers und seiner Seele sein: der sexuelle Missbrauch.
Die Übergriffe, deren Dunkelziffer sehr hoch ist, werden oft von den Personen verschwiegen, die davon wissen, wie beispielsweise der Ehefrau in einer Familie, wo der Familienvater seine halbwüchsige Tochter regelmäßig zu sexuellen Handlungen nötigt.
Der Wiener Schauspieler Christian Schratt gründete mit seinem "Vienna Drama Studio" eine Initiative gegen den Kindesmissbrauch. Mit dem Stilmittel des Bühnenspiels, aber auch mit dem Einsatz von Psychologen wird den Kindern und Jugendlichen an Schulen in ganz Österreich begreiflich gemacht, wo die Grenzen zwischen menschlicher Zuneigung und beginnendem sexuellen Missbrauch liegt.
Mit Hilfe psychologischer Betreuung wird den jungen Menschen vor Augen geführt, wann die Handlung eines Erwachsenen beginnt, sich in einen Übergriff zu entwickeln. Den Burschen und Mädchen soll vermittelt werden, dass diese Verhaltensweise Unrecht bedeutet und sie das Recht haben, sich dagegen zu wehren.
Grenzen aufzeigen
"Unser wichtigstes Anliegen ist es Kindern aller Altersgruppen aber auch Jugendlichen klar zu machen, dass sie das Recht haben, über sich selbst zu bestimmen. Damit soll ihnen auch gezeigt, werden, dass nur eine Gesellschaft in der jeder Respekt vor der Selbstbestimmung seines Nächsten hat, eine zu akzeptierende Gesellschaft sein kann," beschreibt Christian Schratt die Ziele seiner Initiative.
In dem Theaterstück "Tätowierung", der 1964 in Traunstein geborenen Autorin Dea Loher, das vom Vienna Drama Studio seit 2001 mittlerweile auch in Rumänien erfolgreich präsentiert wurde, wird die beklemmende Enge einer Familie beschrieben, in der nach außen alles in Ordnung zu sein scheint. Der Vater ist Bäcker, die Mutter arbeitet halbtags in einem Hundesalon und die beiden Töchter gehen noch zur Schule. Der Vater missbraucht regelmäßig seine Tochter Anita, doch in der Familie wird darüber nie offen gesprochen. Die Mutter ignoriert das Geschehen und die jüngere Schwester Lulu ist neidisch auf die Geschenke, mit denen der Vater seine Tochter überschüttet. Das Mädchen muss mit ihrer Angst und ihrer Scham alleine fertig werden.
Eines Tages lernt sie einen jungen Mann kennen, Paul, dem sie sich anvertraut, als sie schwanger wird. Paul holt Anita aus der Familie heraus, doch der junge Mann zweifelt an seiner Vaterschaft und weigert sich, Lulu, Anitas jüngere Schwester bei sich aufzunehmen. Das Vertrauen zwischen den Partnern ist erschüttert. . .
"Es ist eine wahre Geschichte, die Geschichte von Dea Loher ist ein authentischer Fall, den es in Deutschland gegeben hat," berichtet Christian Schratt, der im Stück den Vater spielt, der seine ältere Tochter missbraucht und mit ihr sogar ein Kind zeugt.
Christian Schratt, der übrigens mit der legendären Katharina Schratt verwandt ist, will mit seinem Projekt den Menschen bewusst machen, dass es falsch ist, über das Thema Missbrauch den Deckmantel des Schweigens zu breiten und wie wichtig es ist, Betroffene mit ihren Problemen nicht alleine zu lassen.
"Nein" sagen lernen
"Mir ist es mit meiner Arbeit ein Anliegen, Kindern in spielerischer Form zu vermitteln, wie wichtig es in diesen Situationen ist, "nein" zu sagen, sich in jeder Form dagegen zu wehren," erklärt der Leiter des Vienna Drama Studios, der auch eigene Erfahrungen an die Kinder und Jugendlichen weitergeben will.
"Die jungen Menschen sollen lernen, wenn sie in eine derartige Situation kommen, wie sie damit umgehen können," beschreibt der Künstler das Ziel seiner Aktivitäten. "Wir werden ab Herbst Seminare und Workshops mit Kindern und Erwachsenen veranstalten, um den Eltern verständlich zu machen, warum Kinder in bestimmten Situationen "nein" sagen müssen."
In Deutschland gibt es die Bundesgemeinschaft Prävention und Prophylaxe, die Übergriffe auf Minderjährige folgendermaßen definiert: Sexueller Missbrauch geschieht dann, wenn eine erwachsene Person ihre Position, die durch Vertrauen, Abhängigkeit und Wissensvorsprung gekennzeichnet ist, gegenüber einem Kind ausnutzt. Der Bursche oder das Mädchen wird für die Bedürfnisse des Erwachsenen nach Macht und sexueller Befriedigung be- und ausgenutzt.
Wissenschaftliche Untersuchungen haben ergeben, dass mittlerweile jedes dritte oder vierte Mädchen und jeder siebente oder achte Bub sexuell missbraucht wird. Nur in zehn Prozent aller angezeigten Fälle wird auch ein Gerichtsverfahren eröffnet.
Informationen: http://www.viennadramastudio.at
Tel: 0676/743-80-20
E-Mail: viedramastudio@hotmail.com