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"Nun liegt also mein erster Film hinter mir, den ich nicht in der Heimat drehte. Immerhin tat ich das noch mit offizieller Erlaubnis der sowjetischen Filmbehörden, was mich seinerzeit nicht sonderlich wunderte, da ich den Film ja für mein Land und wegen meines Landes machte . . . Dies schien allen klar zu sein, obwohl die weiteren Ereignisse dann noch einmal demonstrierten, wie verhängnisvoll fremd meine Absichten und Filme der sowjetischen Filmadministration blieben." Dies schrieb Andrej Tarkowskij 1984. Da war sein Film "Nostalghia", der im Jänner desselben Jahres in die Kinos gekommen war, bereits euphorisch von der Kritik und geradezu kultisch vom Publikum aufgenommen worden. Und da lebte der Russe, nach der Zwischenstation Berlin-West, in Paris und hatte knapp zwei Jahre zuvor sein jüngstes Projekt in Italien gedreht, im Exil.
Der am 4. April 1932 geborene Regisseur, Sohn des Lyrikers und Übersetzers Arseni Tarkowskij, wächst in der südöstlich von Moskau gelegenen Künstlerdatschensiedlung Peredelkino auf (dort leben auch der Dichter Boris Pasternak, der LiteraturwissenschafterMichail Bachtin und der Autor Isaak Babel). "Die Tarkowskis", so der heute im deutschen Exil lebende, aus Leningrad/St. Petersburg gebürtige Autor Oleg Jurjew, "entstammten nicht einfach dem Adel, ihre Vorfahren sollen Schamchals, dass heißt Fürsten oder gar Könige des kaukasischen Volkes der Kumiken gewesen sein, die auf der Burg Tarki (in Dagestan) residierten." Aber schon lange vor Arseni Tarkowskij (1907-1989), dessen Gedichte nicht gedruckt wurden, war die Familie russifiziert.
Grüblerisch dunkel
Kurz nach der Geburt von Andrejs jüngerer Schwester Marina verlässt der Vater die Familie. 1951 nimmt Andrej in Moskau ein Sprachenstudium auf, bricht es ohne Abschluss ab, schließt sich ein Jahr lang als Arbeiter einer Forschungsgruppe an, die am Kurejka, einem Seitenfluss des Jennisej in Sibirien, Gold sucht.
1954 wird Tarkowskij an der Moskauer Filmhochschule inskribiert, analysiert die Filme des in Spanien geborenen, später nach Mexiko ausgewanderten Luis Buñuel und jene des ihm viel verwandteren, grüblerisch dunklen schwedischen Existenzialisten Ingmar Bergman (der ihn seinerseits später zu den größten Regisseuren des 20. Jahrhunderts zählen wird). 1960 macht er den Abschluss mit dem biographisch inspirierten Film "Die Straßenwalze und die Geige", der ob seiner poetischen Aspekte für damalige Sowjetverhältnisse in hohem Maße ungewöhnlich ist und für Aufsehen sorgt.
Im Jahr darauf wird ihm die Regie an einem steckengebliebenen Projekt der großen staatlichen Produktionsfirma Mosfilm übertragen, "Iwans Kindheit". Tarkowskij dreht nach neuem, eigenem Skript im Sommer 1961 den Film über den Bub Iwan, der sich im Zweiten Weltkrieg als fast überlebensgroßer Held erweist, am Ende umkommt, doch sich für die Gemeinschaft aufgeopfert hat. Als Michail Romm, Andrej Tarkowskijs Lehrer an der Filmhochschule in Moskau, ein halbes Jahr später ausgewählten Mitgliedern des Filmverbands der Sowjetunion den fertigen Streifen, den ersten abendfüllenden Spielfilm seines Schülers vorstellte, soll er die Vorführung mit den Worten eingeleitet haben: "Freunde, heute werdet ihr etwas Ungewöhnliches sehen. Etwas, das es bisher auf unserer Leinwand noch nicht gab."
Denn was auf dem Papier nach Propaganda und Lob aufs am Ende siegreiche sozialistische Kollektiv klingt, in der Erzählung Wladimir Bogomolows, auf der der Film basiert, mit plumpen Händen zu greifen, das wird bei Tarkowskij zu einer Traumgespinstmontage aus Poesie, Panzern, Einsamkeit, Melancholie, Zerstörung, Leidenschaft, verlorener Kindheit und, besonders bemerkenswert, Individualität. Auslandspreise regnen auf Tarkowskij nieder, so der "Goldene Löwe" der Filmfestspiele von Venedig.
Märtyrer der Kunst
Doch mit dem folgenden Film, den Tarkowskij wie alle anderen Filme, die er bis zu seinem Krebstod am 29. Dezember 1986 realisierte, selbst schrieb, mit "Andrej Rubljow" über einen mittelalterlichen Ikonen- und Freskenmaler, der durch ein von Tataren verheertes Russland wandert und ganz der Kunst in kunstfernen Zeiten dient, beginnt sein Ringen mit der sowjetischen Filmbürokratie. Diese Zeit trägt wesentlich zum fast ikonischen Märtyrerstatus Tarkowskijs bei.
Die erste Idee für diesen Film, in dem er schon das Prinzip ungewöhnlich langsamer, erhaben stiller, sorgsam komponierter Bilder praktiziert, hatte er 1961, gedreht wurde 1964/65. 1967 für die Filmfestspiele in Cannes nominiert, muss er ihn auf Druck von oben zurückziehen. Erst 1973 ist "Andrej Rubljow" ohne Einschränkung in der Sowjetunion zu sehen.
Ähnlich mühselig sind seine Kämpfe bei "Solaris" (1971/72), "Der Spiegel" (1973/74) und dem endzeitlich düsteren "Stalker" (1978/79). Denn Tarkowskijs rigoroser Anspruch, seine Subjektivität, sein Bildermystizismus, sein Glaube an die Kunst als Religion kollidierten heftig mit den ideologischen Vorgaben des Sowjetimperiums. Deutlich wird dies, als er bei einer Debatte über "Der Spiegel" kategorisch sagt: "Da der Film immer eine Kunstform ist, braucht er nicht in höherem Maße verständlich zu sein als es die übrigen Künste sind. In der Popularität eines Filmes bei den Massen vermag ich keinen Sinn zu entdecken." Eine deutlichere Zurückweisung von Politpropaganda und kommunistischer Massenkunst ist nicht denkbar.
Der schlanke, später hagere, im persönlichen Umgang, wie sich Freunde und Bekannte erinnern, nicht immer ganz leichte Tarkowskij mit dem zerfurchten Gesicht knüpft an den russischen Mystizismus und Slawismus des 19. Jahrhunderts an, an Geniekult und Künstlerpropheten, an Symbolismus und Romantik - noch kurz vor seinem Tod schreibt er ein Drehbuch namens "Hoffmanniana" über den deutschen Romantiker E. T. A. Hoffmann. Und er kombiniert dies mit tiefer Religiosität. Seine Filmbilder sind bedeutungsschwer, stehen völlig quer zu Unterhaltungsware. Was der Petersburger Andrej Belyi in "Der Sinn der Kunst. Symbolismus" einst verkündet hatte - "Die Kunst hat überhaupt keinen besonderen Sinn außer dem religiösen; in den Grenzen der Ästhetik haben wir es nur mit der Form zu tun" -, das hätte Tarkowskij Wort für Wort akzeptiert.
Einen anderen russischen Lyriker und Philosophen, Wjatscheslaw Iwanow (1866-1949), der zum Katholizismus konvertierte, zitiert Tarkowskij selbst: "Das Symbol ist nur dann ein wirkliches Symbol, wenn es in seiner Bedeutung unerschöpflich und grenzenlos ist. Wenn es eine dunkle, erratische und magische Sprache spricht. Wenn es etwas Unausdeutbares lediglich antippt und suggeriert, etwas, das dem natürlichen Wort inadäquat ist. Das Symbol ist vielgesichtig, vieldeutig und in seiner letzten Tiefe stets dunkel."
Dass Tarkowskijs sieben Filme, die innerhalb von 25 Jahren entstanden, eben dies sind, dunkel, magisch, erratisch, vieldeutig, steht außer Frage. Doch noch mit seinem letzten und vielleicht schwerblütigsten, den Ingmar Bergmans langjähriger Kameramann Sven Nykvist fotografierte, mit "Offret" ("Opfer"), auf der schwedischen Insel Gotland inszeniert, einem Kammerspiel mit wenigen Figuren vor dem Hintergrund einer ökologischen Endzeitkatastrophe, trifft er im Westen bloß liegende Nerven und akute Zeitstimmungen. So schreibt der Kritiker der französischen linksliberalen Tageszeitung "Libération" über Tarkowskijs Film, den dieser, da bereits schwer krank, nicht mehr persönlich in Cannes vorführen kann, euphorisch: "Mit Offret‘ hat Tarkowskij das Festival in ein Licht getaucht, das umso strahlender ist, als es die Wolke von Tschernobyl streift."
Das Insistieren auf dem Kunst-Wollen und dem Prinzip des Kunst-Machens zeichnet Tarkowskij aus, ironisches Spiel ist ihm fremd. Seine Filme, bis auf "Nostalghia" und "Opfer" befremdlicherweise nur in nicht ganz farbtreuen DVD-Editionen erhältlich, sind strikt durchkomponiert. Tiefsinnig denkt dieser Regisseur über das Grundwesen der Kinematographie nach, über das, was filmische Zeit, Rhythmus, Fühlen und Fließen ausmacht. Und welche Rolle Stillstand hat, Ruhe und an religiöse Grunderfahrungen grenzende Meditation: wenn etwa in "Nostalghia" im Wasserbecken der Therme von Bagno Vignoni Lichter als Totentribut feierlich hin- und hergetragen werden.
"In meinem Film", so Tarkowskij über das Bilderfaszinosum seiner morbiden Nature Morte, "gibt es Kameraeinstellungen mit bis zu achtzehn Lichtveränderungen; lange Kamerafahrten, die von der Realität in die Erinnerung führen, von dort in einen Traum und zurück in die Realität."
Ungewohntes Pathos
Seine hochreligiöse, antiwestliche und antikapitalistische - was die ökonomischen Grundlagen des Filmemachens im Westen anging -, seine proslawische, vor allem aber seine kunstpriesterliche, romantische Attitüde des Lebens in permanenter geistiger Krise wird ob des ungewohnten Pathos teils bis heute attackiert. Wogegen Tarkowskij anschrieb: "Für mich", meint er, "ist eine geistige Krise‘ immer ein Zeichen von Gesundheit. Denn meiner Meinung nach bedeutet sie einen Versuch, zu sich selbst zu finden, einen neuen Glauben zu erlangen. In den Zustand einer geistigen Krise gerät jeder, der sich geistigen Problemen stellt. Wie sollte das auch anders sein? Schließlich dürstet die Seele nach Harmonie, während das Leben voller Disharmonien ist. In diesem Widerspruch liegt das Stimulans für Bewegung, zugleich aber auch die Quelle unseres Schmerzes und unserer Hoffnung. Er ist eine Bestätigung unserer geistigen Tiefe, unserer spirituellen Möglichkeiten."
Alexander Sokurow, ein russischer Filmregisseur ("Faust"), der mit Tarkowskij bekannt war und einen Bericht über eine merkwürdige Stadtführung hinterließ, die er dem Moskauer Tarkowskij in Leningrad zuteil werden ließ (Tarkowskij folgte einfach seinen eigenen Blicken), fragte, was er war: "Ein Gott? Ein Genie? Ein Revolutionär?" Und gab darauf selber die schlichte Antwort: "Ein russischer Mensch." Auf Andrej Tarkowskijs Grabstein auf dem Russischen Friedhof Sainte Genéviève du Bois in Paris sind die Worte eingemeißelt: "Der Mann, der die Engel gesehen hat".
Alexander Kluy, Journalist, Kritiker, Autor, lebt in München. Zahlreiche Veröffentlichungen zu literatur-, kunst- und kulturhistorischen Themen.