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Das Schweigen des Hirten geht zu Ende, die Krise der Kirche noch lange nicht

Von Heiner Boberski

Analysen

Roma locuta, causa finita. Dass dieser Satz noch gilt, dass also mit dem Hirtenbrief des Papstes, der am Samstag veröffentlicht werden soll, das letzte Wort gesprochen und das Thema Kindesmissbrauch in katholischen Einrichtungen erledigt ist, darf bezweifelt werden. Das für Irland verfasste Schreiben kann nur eine Etappe in der nun im deutschen Sprachraum geführten Debatte markieren. Selbst wenn die römische Kirche hier zu einer glasklaren Linie findet und es schafft, diese in kurzer Zeit umzusetzen, wird ihre Krise damit nicht zu Ende sein.


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Umfragen in Österreich aus jüngster Zeit zeigen nämlich deutlich, dass sowohl der Glaube an die Botschaft von einem leibhaftigen Gott (nur noch 25 Prozent glauben an ihn), als auch an die Selbstreinigungskraft der Kirche (nur 28 Prozent erwarten, dass die Kirche die Vorfälle in ihrem Umfeld selbst aufklärt) geringer denn je ist. Nur noch 9 Prozent gehen regelmäßig in die Messe, 56 Prozent können sich nicht mehr vorstellen, ihr Kind einer katholischen Einrichtung anzuvertrauen.

Manche Reaktionen mögen übertrieben wirken, wenn man bedenkt, dass Missbrauch sicher nicht nur im kirchlichen Umfeld passiert und auch dort viele der jetzt aufgedeckten Fälle schon Jahrzehnte zurückliegen. Was freilich viel mehr Empörung erzeugt als das Fehlverhalten Einzelner, ist der Umgang einer ständig Moral predigenden Institution mit der Wahrheit, ist die Unkultur des Vertuschens unerwünschter Vorfälle. Man kann davon ausgehen, dass die Kirchenleitung auch viele Probleme, die Priester mit dem Zölibat haben, unter den Tisch kehrt. Der Zölibat ist natürlich ebenso wenig wie die "Sexualisierung seit 1968" schuld am Phänomen Kindesmissbrauch, aber er gehört längst überdacht.

Die christliche Botschaft hätte es in unserer aufgeklärten Zeit schon ohne Kirchenskandale schwer genug, wenn aber die Glaubwürdigkeit der Überbringer dieser Botschaft rasant schwindet, darf sich keiner über die sich häufenden Kirchenaustritte wundern.

Zwar hat die Kirche früher noch viel ärgere Taten gesetzt und trotzdem die schwierigsten Zeiten überstanden, doch da hatte sie auch noch weitaus mehr politische Macht und stand nicht unter solcher medialer Beobachtung wie heute.

Heute reicht es für die Kirche, will sie wenigstens wieder moralische Autorität bekommen, nicht mehr aus, das treffende Jesuswort "Die Wahrheit wird euch frei machen" zu zitieren, sie wird es auch glaubwürdig befolgen müssen. Dass auch für ihre Repräsentanten der Krug nur so lange zum Brunnen geht, bis er bricht, können Gläubige auch als Bestätigung ihrer Lehre sehen. Laut dem Evangelisten Matthäus wird Jesus beim Jüngsten Gericht auch zu etlichen, die sich rühmen, "in seinem Namen" agiert zu haben, sagen: "Ich habe euch nie gekannt; geht weg von mir, ihr Übeltäter."