Programm ermöglicht Jugendlichen, über den eigenen Tellerrand zu blicken.
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Senec/Wien. "Das war ein Problem, als die Ungarn zu uns gekommen sind", sagt Sonja Pustak. "Können Sie sich das vorstellen, in einem Ort wie Köflach, mit 10.000 Einwohnern, wo vielleicht zwei Kinder in der ganzen Schule einen Migrationshintergrund haben. Wo es eine einzige Kebab-Bude gibt", erzählt sie. Gemeinsam mit ihrer Englisch-Klasse hat die Lehrerin an der "Aces-Academy" teilgenommen, einem Programm für zentral- und mitteleuropäische Schulen. Durch eine gemeinsame Projektarbeit zweier oder mehrerer Schulen und mehrtägigen Schüleraustauschen sollen Jugendliche im Alter zwischen 12 und 17 Jahren andere Kulturen kennenlernen und Vorurteile abbauen.
Nicht nur die Schüler, auch ihre Eltern profitieren davon: "Zunächst gab es bei uns in Köflach kaum Familien, die freiwillig ungarische oder kosovarische Schüler bei sich aufnehmen wollten", erzählt Pustak. Viel Überzeugungsarbeit sei nötig gewesen; am Ende hätten sich die Familien aber rührend um die Austauschkinder gekümmert. "Das sind ja eigentlich auch ganz liebe Menschen", sagt der zwölfjährige Franz. Er hat gemeinsam mit seinen österreichischen Kameraden und den Kindern der kosovarischen und ungarischen Partnerschule an einem Projekt über kulturelle Identität gearbeitet.
Insgesamt 15 Länder nehmen jährlich an dem Projekt teil, darunter Österreich, Albanien, Mazedonien und Rumänien. Schulen bewerben sich mit einer Projektidee zu einem vorgegebenen Thema, finden Partnerschulen in anderen Ländern, tauschen sich aus, arbeiten zusammen. Am Ende des Zyklus steht dann das große Abschlusstreffen, bei dem die besten Schülerprojekte gekürt werden. Finanziert wird das Programm von der österreichischen Erste-Stiftung.
"Medienkompetenz" war das Thema dieses Projektzyklus; die viertägige Abschlussveranstaltung fand diese Woche im slovakischen Senec statt. Jugendliche aus mehr als 100 Schulen präsentierten dabei ihre Projektarbeiten - in den letzten Monaten haben sie Filme, Zeitungen und Websites gestaltet, gebloggt und gebastelt. Der Stolz ist den meisten Jugendlichen anzusehen.
Das erste Mal im Ausland
"Wir haben gelernt, kritischer mit den Medien umzugehen", erzählt ein Mädchen aus Serbien. "Aber das Beste war, Leute aus anderen Ländern kennenzulernen." Viele der Gruppen mussten eine mehr als zehnstündige Anreise in Kauf nehmen. "Das ist es mir aber wert", sagt Ilie aus Mazedonien.
Für manche der Jugendlichen ist es die erste Reise in ein anderes Land. "Einige meiner Schüler kommen aus ärmeren Familien", erzählt Gabor Kleisz, Lehrer aus Ungarn. Für sie ist es aufregend, zu verreisen. Das sei auch einer der Gründe, erzählt Jovana, warum sie wieder bei dem Programm mitmachen wolle; "so oft, wie mich die Lehrer lassen". Vielleicht, sagt die Mazedonierin, könne sie die Kontakte auch in ihrem späteren Berufsleben nutzen.
So viel Begeisterung vermisst Knut Neumayer, Programmdirektor der Erste-Stiftung, bei den österreichischen Schulen manchmal. 2005 rief er die Idee gemeinsam mit dem "Interkulturellen Zentrum" in Wien und Bildungsministerien verschiedener osteuropäischer Länder ins Leben; seit 2007 findet das Programm jährlich statt. "Aus Österreich kommen leider die wenigsten Teilnehmer", erzählt Neumayer. "Manchmal habe ich auch den Eindruck, bei den österreichischen Schulen ist weniger Feuer dahinter."
Ein Problem, das Egon Kordik vom österreichischen Unterrichtsministerium nicht den Lehrern unterschieben will: "Wir haben viele engagierte Lehrkräfte Gerade für die Jungen unter ihnen sind solche Projekte eine gute Gelegenheit, aufzuzeigen." Dass die geringe Teilnahme österreichischer Schulen an einer Überbelastung der Lehrer liegt, glaubt Kordik nicht. Traditionell sind die Schulen hierzulande Richtung Westeuropa ausgerichtet, egal, ob es um direkte Zusammenarbeit oder Sprachreisen geht. "Trotz der geschichtlichen Verbindung mit ist das für viele Österreicher ein unbekanntes Gebiet, das oft mit seltsamen Vorstellungen verbunden ist", sagt Neumayer.
So herrsche anfangs oft Verwunderung, erzählt eine Österreicherin aus dem Organisationsteam, wenn Schüler aus Rumänien das neueste "Macbook" unter dem Arm tragen, oder perfekt Englisch sprechen. Dann ist da noch die Sache mit dem Stehlen. Die Vorstellung, dass Menschen aus Osteuropa gerne einmal Gegenstände entwenden, scheint in den Köpfen so mancher Österreicher noch immer präsent zu sein. "Bei unserem interkulturellen Abend mit den Gästen aus dem Kosovo und Ungarn hat einer meiner Schüler seine Geldbörse plötzlich nicht mehr gefunden", erzählt Sonja Pustak. Einige Eltern hätten Anspielungen gemacht, dass wohl einer der Gäste die Geldtasche entwendet hätte. Dabei hatte der Besitzer des verloren Geglaubten einfach vergessen, dass er seine Geldbörse an einem anderen Ort verstaut hatte.
Durch die Teilnahme an dem Programm, berichten viele Lehrer, hätten sich viele Vorurteile abgebaut, bei Schülern und Eltern. "Gemeinsam an einem Projekt zu arbeiten, das schweißt eben zusammen", sagt Jovana.