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Der Gipfel von Thessaloniki am 19. und 20. Juni wird schon in seinem Vorfeld von der Debatte um die künftige europäische Verfassung überschattet - der Konvent will den Staats- und Regierungschefs seinen Entwurf dazu vorlegen. Ebenso drängend ist aber ein weiteres Gipfelthema: Europa will die Asyl- und Zuwanderungspolitik seiner Mitglieder auf eine einheitliche Grundlage bringen.
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Im Prinzip sind sich die Europäer über die Ausgangslage einig: Anschwellende Migrationsströme, damit zusammen hängend Missbrauch von Asylverfahren und wachsender Unmut in der Bevölkerung ließen sie schon 1999 im finnischen Tampere zu dem Schluss kommen, dass solchen Herausforderungen nur mit einem gemeinsamen europäischen Asylsystem beizukommen sei.
Der Weg dahin ist mühsam, musste die EU-Kommission in einem im März veröffentlichten Bericht einräumen: Die bisher erreichten Fortschritte seien mit geringer "praktischer Wirksamkeit der Harmonisierung" und einem "sehr niedrigen Niveau der Normen, auf die man sich einigte", erkauft worden. Verantwortlich dafür macht die Kommission einerseits die Notwendigkeit von einstimmigen Beschlüssen, andererseits die "Schwierigkeiten der Mitgliedsstaaten, sich von ihren nationalen Agenden zu lösen".
Deutschland bremst
Ein gutes Beispiel dafür ist die Richtlinie über die Familienzusammenführung, über die im Februar Einigung erzielt wurde. Preis des Kompromisses für das erste Gemeinschaftsgesetz zur legalen Einwanderung war die Möglichkeit, auf nationaler Ebene schärfere Vorschriften zu erlassen. Deutschland habe die Möglichkeit"das Nachzugsalter von Kindern auf zwölf Jahre begrenzen", freute sich der deutsche Innenminister Otto Schily.
Als Erfolg kann der Deutsche auch einen weiteren Punkt verbuchen, der bereits länger legal in der EU lebende Ausländer betrifft. In Tampere hatten die Staatschefs noch gefordert, der Status solcher "Drittstaatenangehöriger" müsste jenem der EU-Bewohner angeglichen werden, vor allem in Fragen des Wohnsitzes, des Zugangs zu Bildung und zum Arbeitsmarkt, ob als Angestellter oder als Selbständiger. Die darüber Anfang Juni getroffene Einigung der Innenminister lässt aber Österreich und Deutschland in Arbeitsmarktfragen Raum für nationale Beschränkungen - etwa durch Arbeitsmarktprüfung und Quotenregelung, wie Innenminister Ernst Strasser rasch klar stellte.
Deutschland blockiert auch in der Frage des so genannten "subsidiären Schutzes". Dieser betrifft die nicht politischen Flüchtlinge, die aufgrund Rasse, Geschlecht, sexueller Orientierung oder ethnischer Zugehörigkeit nicht-staatliche Verfolgung erleiden müssen. Die Kommission strebt hier eine weitgehende Gleichstellung mit den politisch Verfolgten an, besonders was Aufenthaltsgenehmigungen, Ausstellung von Reisedokumenten oder Arbeitserlaubnisse betrifft. In Deutschland werden solche Flüchtlinge zwar nicht zurück geschickt, haben aber geringere Ansprüche auf Sozialleistungen und beim Zugang zum Arbeitsmarkt. Schily will es auch dabei belassen. Seine Blockadepolitik wird vor allem auf innenpolitische Gründe zurückgeführt - noch immer hat Deutschland kein neues Zuwanderungsgesetz, nachdem das von der rot-grünen Regierung beschlossene von den Verfassungsrichtern gekippt wurde.
Umstrittene Asylzentren
Ein weiterer Unruhestifter in Asylfragen ist Großbritannien. Zuletzt hatte Innenminister David Blunkett mit dem Vorschlag für Aufsehen gesorgt, Asylverfahren in "Transitzentren" außerhalb der EU abwickeln zu lassen, namentlich in der Türkei und in Nordafrika. Dieser Vorstoß rief nicht nur umgehend Menschenrechtsexperten auf den Plan, die mit solchen Anhaltelagern die Genfer Flüchtlingskonvention ausgehöhlt sehen. Auch die EU-Kommission selbst hat solche Bedenken und wirft gleichzeitig die Frage auf, ob Asylwerber, die bereits in die EU eingereist sind, in solche Zentren zurückgeschickt werden können. Das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR), mit dem die EU in Asylfragen dezidiert zusammen arbeiten will, ist jedenfalls strikt für eine Lösung innerhalb der EU-Grenzen. Abgesehen von rechtlichen Fragen gäbe es noch etliche technische und finanzielle Probleme zu klären. Jedenfalls soll auch darüber beim bevorstehenden Gipfel gesprochen werden.
Teure Grenzkontrollen
Einig sind sich die EU-Mitglieder eigentlich nur darüber, dass verschärfte Kontrollen an den Außengrenzen der Gemeinschaft nötig sind. Dazu dienen etwa Fahndungssysteme an den Schengengrenzen oder das Visa-Informationssystem (VIS), das verhindern soll, dass sich Flüchtlinge in mehreren Staaten um Asyl bemühen. Selbst hier ist aber nicht alles eitel Wonne, denn der Kommission stehen für die Verwirklichung nur 80 Mill. Euro zur Verfügung, 140 Mill. Euro würden benötigt. Finanzielle Gründe behindern auch die Bildung eines angestrebten "Grenzschutzkorps".
Der Direktor des Zentrums für Flüchtlingsstudien an der Universität Oxford, Stephen Castles, kritisiert die "Besessenheit", mit der die Union ihre Grenzen schützen will. Möglicherweise habe gerade sie zur wachsenden "Flüchtlingsindustrie" geführt. Auch die in Tampere und später in Sevilla vorgesehene Zusammenarbeit mit Drittstaaten, um Flüchtlingsströme quasi am Ort ihres Entstehens einzudämmen, habe sich bisher vor allem in Vereinbarungen über Abschiebeverfahren und Grenzkontrollen erschöpft. Ähnliche Kritik an solchem "polizeilichen" Herangehen übte auch Österreichs Caritas-Präsident Franz Küberl beim Treffen der europäischen Caritas-Direktoren im Mai.
Zuwanderung notwendig
Die Absichtserklärungen der diversen Gipfel und der Kommission gehen in eine andere Richtung: Sie sehen nämlich eine Vielzahl von verschiedenen Maßnahmen vor, um der illegalen Immigration Herr zu werden. Dazu gehört, dass "mehr für die Integration der bereits in der EU ansässigen Einwanderer getan und künftige Zuwanderung besser vorbereitet werden muss", so ein Kommissionsbericht von Anfang Juni. Eine "richtig gesteuerte Zuwanderung" sei nämlich notwendig, um die künftigen Bedürfnisse des europäischen Arbeitsmarktes zu decken. Die Kommission verweist auf die alternde und rückläufige Bevölkerung in den Mitgliedsstaaten.
Auch Oxford-Professor Castles spricht von ökonomischen Notwendigkeiten. Allerdings würde die wirtschaftliche Entwicklung nicht nur die offiziell "erwünschten" Fachkräfte anlocken, wie etwa Computer-Experten aus Indien, von denen Deutschland träumte. Europa brauche vielmehr zunehmend auch schlecht ausgebildete "Hilfskräfte" und müsse daher Wege finden, potenzielle Einwanderer auf legale Weise zu "rekrutieren" - sonst kommen sie illegal.