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Das Selbst in Beziehung

Von Eva Stanzl

Wissen

Menschen wollen Beziehung, doch viele können sie nicht gestalten.


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Wien. Immer mehr Menschen, besonders im Beruf Erfolgreiche, legen Formen von Narzissmus an den Tag. Übersteigerte Selbstliebe und inselartige Selbstbezogenheit seien ein Zeichen der Zeit, betonen Forscher im Wissensmagazin "Geo". Zu den Gründen zählen mangelndes Einfühlungsvermögen der Eltern für ihre Kinder und mangelndes Interesse an deren Wesen, oder überhöhte Leistungsansprüche. Aus Loyalitätsdruck entwickeln die Kinder ein "falsches Selbst", das, wie sie meinen, den Erwartungen entspricht. Einfühlungsvermögen für andere wird dabei zurückgedrängt.

Den Bedürfnissen der Kinder Raum lassen.
© © Marco2811 - Fotolia

Die ungelöste Frage des Narzissmus veranlasste den in Wien geborenen US-Psychoanalytiker Heinz Kohut in den 1970er Jahren, eine eigenständige psychoanalytische Tradition zu begründen, die "Psychologie des Selbst". Übersteigerte Selbstliebe müsse ihre Wurzeln in der frühen Kindheit haben, die Freud nicht unter die Lupe genommen hatte, war Kohut überzeugt. Der daraus folgenden Therapie widmet sich seit nunmehr 25 Jahren der Wiener Kreis für Psychoanalyse und Selbstpsychologie. Heute und morgen, Samstag, finden zum zweiten Mal die Wiener Selbstpsychologietage statt, heuer mit dem Schwerpunkt "Pathologische Anpassung".

Doch was bedeutet das genau? Kohut hatte eine spezifische Behandlung für narzisstische Störungen erarbeitet, die sich darauf konzentriert, wie Betroffene ihre Erfahrungen erlebt und verarbeitet haben. "Das Selbst, der Kern des Menschen, auch Persönlichkeit genannt, entsteht und entwickelt sich in Beziehungen zu anderen Menschen", erklärt Andrea Harms, Psychoanalytikerin, und Obfrau des Wiener Kreises für Psychoanalyse und Selbstpsychologie. Aufgabe der Therapeutin sei, zu verstehen, wie Patienten Vergangenes und Gegenwärtiges wahrnahmen und -nehmen, und einen gemeinsamen Raum zu eröffnen, in dem sie alte Verhaltensmuster auflösen können.

Drei Grundbedürfnisse

Kohut beschrieb drei psychische Grundbedürfnisse ab dem Säuglingsalter. Das Bedürfnis, von anderen gespiegelt zu werden, bezeichnet so etwas wie das grundsätzliche Interesse der anderen an einem selbst. Das Bedürfnis, jemanden zu idealisieren, hat mit der Reaktion der anderen zu tun: Immer, wenn ich schreie, reagiert die Mutter. Sie weiß, was zu tun ist, damit es mir besser geht. Das dritte Bedürfnis, "Gleiche unter Gleichen", bezieht sich auf das gute Gefühl, das man hat, wenn man jemanden trifft, der wie man selbst ist - etwa weil er an derselben Stelle lacht. Je besser man sich auf diese Bedürfnisse seines Kindes einstellt, desto größer sind die Chancen, dass es ihm als Erwachsener gut geht.

Andrea Harms: Raum für Lösungen schaffen.
© privat

Immer wieder gibt es Eltern, die diese Chancen verpassen. Harms berichtet von einer Frau, die als Mädchen an unerklärlichen Angstzuständen litt, deren Eltern jedoch nicht darauf eingingen, sondern sie abschmetterten: "Hör auf, du bist ja blöd, so etwas gibt’s doch gar nicht", hieß es. Als Erwachsene bekam sie Panikattacken, immer bevor sie eine Rede halten musste. Sie ging zum Therapeuten, weil sie sich Reden vor Publikum nicht zutraute.

"Wenn Kinder von ihren Eltern immer wieder missverstanden werden, bekommen sie Angst, dass die Beziehung abreißt. Sie stellen eigene Lösungsversuche hinten an und passen sich der Art der Eltern an. Passiert das oft, entstehen neue, angenommene Muster", so Harms. In diesem Fall hatte die Frau die Anschuldigung, "du bist ja blöd" angenommen, und in einen Glauben über sich selbst verwandelt. Der US-Psychologe Bernard Brandchaft nennt dies "pathologische Anpassung".

Solche Angepasstheit kann in Extremfällen zu narzisstischem Verhalten führen. Doch selbst Menschen, die scheinbar auffällige Selbstbewunderung zeigen, sind laut Harms nicht "beziehungsunfähig". Vielmehr bekommen sie Angst vor Beziehungen, sobald sie erkennen, dass der richtige Weg vor ihnen liegt, sie aber dafür alles ändern müssten.

Beziehungsunfähigkeit

"Das Wort wird landläufig auch für Menschen verwendet, die mehrere gescheiterte Beziehungen hinter sich haben. Doch das sind Menschen, die sehr beziehungsbedürftig sind, aber nie gelernt haben, eine Beziehung zu gestalten", sagt Harms. Schon allein, dass jemand sich mit anderen Menschen trifft, oder sich in einen Arbeitsprozess integriert, zeige Beziehungsfähigkeit. "So richtig beziehungsunfähig ist kaum jemand", so Harms. Selbst mehrere Male Geschiedene haben also Grund zur Hoffnung.