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Schüssel verlangt wegen des EuGH Änderung im EUPrimärrecht. | Gericht überprüft nicht die "Verhältnismäßigkeit der Konsequenzen." | Scharfe Kritik an "Zick-Zack-Kurs" Gusenbauers.
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"Wiener Zeitung": Was war für Sie persönlich 2005 Ihr größter Erfolg und was Ihre größte Enttäuschung?
Wolfgang Schüssel: Wir sind mit unseren Wirtschaftsreformen Vorbild für Deutschland geworden. Wir haben eine große Fülle an sachpolitischen Reformen umsetzen können. Sicherheitsreformen, Zusammenlegung von Polizei und Gendarmerie, Fremdenrecht, Asylrecht, verschärftes Staatsbürgerschaftsrecht. Der Erfolg zeigt sich in der gestiegenen Aufklärungsrate und der gesunkenen Kriminalitätsrate. Wir haben die Bundesheerreform, Verkürzung des Wehrdienstes und des Zivildienstes über die Bühne gebracht. Wir haben sehr, sehr erfolgreiche Gegengeschäfte für den Eurofighter unter Dach und Fach. Bis zur Stunde haben wir ein Drittel der geplanten Kompensationsgeschäfte von 10 Milliarden Euro bereits herinnen.
Heißt das eigentlich, Österreich müsste diese Geschäfte rückabwickeln oder Schadenersatz leisten, wenn es vom Eurofighter-Vertrag zurücktritt?
Diese Frage müsste an die gestellt werden, die sich allenfalls einen solchen Schritt vornehmen. Ein Rücktritt ist ja ein ziemlich absurder Gedanke. Wir profitieren in einem unglaublichen Ausmaß. Allein der Einstieg bei Airbus macht eine Milliarde Euro aus.
Dazu kommt die verfassungs- und neutralitätspolitische Notwendigkeit, den Luftraum zu überwachen. Ich fühle mich in der Tradition eines Kreisky, auch eines Sinowatz, Vranitzky und Klima, dass man, sei es gelegen oder ungelegen, Österreich schützen muss, zu Land und in der Luft mit allen verfügbaren Mittel und so gut wir das eben können.
Und enttäuscht waren Sie nie?
Mich hat der Verlust des steirischen Landeshauptmannes sehr betroffen gemacht, das wäre nicht notwendig gewesen. Für meine Partei gilt der Auftrag, im nächsten Jahr wieder die Mehrheit zurückzuholen.
Die steirische ÖVP hat versagt?
Das ist kein Vorwurf an die Waltraud Klasnic, sondern das ist ein Vorwurf an die Gesamtgruppe. Eine Wahl ist nur dann gewinnbar, wenn man geschlossen auftritt. Wer das nicht befolgt, der bekommt die Rechnung präsentiert.
Zur sozialen Bilanz: Der Bundespräsident hat gerade das Abnehmen der sozialen Symmetrie kritisiert.
Österreich liegt mit seiner Sozialquote über dem Schnitt der Europäischen Union. In meiner Amtszeit ist diese um ein Prozent gestiegen. Wir erhöhen die Renten um 2,5 Prozent; bei Rot-Grün in Deutschland gab es sieben Jahre null Pensionserhöhung. Wir werden die kleinsten Renten, die Ausgleichszulagenrenten, um 4 Prozent erhöhen. Die soziale Symmetrie stimmt genauso wie auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit.
Und was sagen Sie dem Bundespräsidenten zu solchen Vorwürfen?
Ich habe mit ihm einen sehr offenen und vertrauensvollen Dialog. Aber er hat mich eigentlich auf dieses Thema nie angesprochen.
Wie glücklich waren Sie denn über manche Meldungen über das Privatleben des Finanzministers?
Privatleben ist Privatleben.
Hat er das selbst immer so gehandhabt?
Nobody is perfect. Ich freue mich, dass er privat in der Ehe angelangt ist.
Das hat aber mit der politischen Bewertung nichts zu tun. Alleine den Quantensprung in der Verstaatlichten-Politik - das hat noch kein Finanzminister vor ihm zusammengebracht. Er hat die Verstaatlichte mit einem Schuldenstand von 6,5 Milliarden Euro aus der sozialdemokratischen Ära übernommen. Heute ist die ÖIAG praktisch schuldenfrei. Es gab sehr viele erfolgreiche Privatisierungen. Die verbliebenen Beteiligungen sind mehr wert, als 2000 die ganze Verstaatlichte wert war.
Aber es lässt sich offenbar schlecht erklären. Die Oberösterreichische Volkspartei hat ja wegen eines Privatisierungsvorganges die Wahlen verloren . . .
Das stimmt ja nicht. Erstens haben sie die Wahlen gewonnen; sie haben zugelegt, was immer wieder übersehen wird. Zweitens muss man die Dinge beim Namen nennen. Damals haben ein Herr Erich Haider, die SPÖ Oberösterreich und Teile der Bundes-SPÖ eine hemmungslose Propagandawalze zum Schaden der Betriebe, zum Schaden der Arbeitnehmer und des Industriestandortes gestartet. Nichts von diesen Horrorgeschichten ist übrig geblieben. Die VOEST ist heute reicher denn je, hat mehr Arbeitsplätze denn je, zahlt mehr Steuern denn je, investiert mehr denn je.
Daher sollten die gleichen Medien, die damals den Herren Haider und auch Gusenbauer eine Plattform geboten haben, das jetzt auch genau als das nehmen, was es ist. Nämlich Gräuelmärchen, die sich als Schall und Rauch herausgestellt haben.
Sie sagen "auch Gusenbauer"?
Ich sehe einen echten Zick-Zack-Kurs des SPÖ-Vorsitzenden. Zuerst ist er für das Nulldefizit, will es schon in die Verfassung hineinschreiben, nachher möchte er das Defizit um jeden Preis ausgeweitet wissen. Erst ist er strikt gegen die Steuerentlastung um drei Milliarden, und plötzlich will er eine weitere Steuerentlastung um weitere drei Milliarden und sagt nicht, wie man es finanzieren soll. Zuerst sagt er, der Mittelstand muss gefördert werden, dann schlägt er selber vor, dass der Mittelstand durch die Anhebung der Höchstbeitragsgrundlage in der Kranken- und Pensionsversicherung mit über einer Milliarde belastet wird. In der Europapolitik war er 1994 ein glühender Europäer. Jetzt ist er bei jeder Europakritik an Personen oder Institutionen in der Wortwahl nicht mehr zu überbieten.
Dieser Zickzackkurs wird nicht honoriert. Über diese Art von Politik darf man nicht vornehm hinweggehen.
Der Finanzminister, aber auch Sie selber haben immer wieder von einem über den Konjunkturzyklus ausgeglichenen Budget gesprochen. Nun prophezeien uns die Experten für 2006 eine Zacke nach oben in der Konjunkturentwicklung, aber 2007 soll es wieder nach unten gehen. Eigentlich müssten wir daher 2006 einen Budgetüberschuss haben.
Mit einem guten Jahr können Sie vier sehr langsame Jahre nahe am Nullwachstum in anderen Ländern oder ein Minus wie in Italien nicht korrigieren. 2005 und 2006 steigt das Defizit leicht an, auch durch die Steuerreform, die ja im Unternehmensteil nächstes Jahr konkret greifen wird.
Unter den innenpolitischen Vorhaben scheint das Beamtendienstrecht das haarigste zu sein. Ist das wirklich noch machbar angesichts der Widerstände der Gewerkschaft?
Das ist auch nicht das haarigste Thema. Das ist eines von vielen Themen. Der Beamtenstaatssekretär arbeitet seit Monaten mit den Gewerkschaften an einem modernen Modell, wobei wir ja jetzt schon in der Praxis nur noch in ganz wenigen Bereichen pragmatisieren. Das Thema ist eigentlich nur noch historisch. Das wirkliche Benefit der Pragmatisierung war ja nicht der Kündigungsschutz, sondern die Beamtenpension, und die ist weg. Ganz gleich, ob jemand pragmatisiert ist oder nicht, für die Pension zählt das nicht. Da gibt es nur noch die für alle gleichen Ansprüche.
Der Verfassungsgerichtshof sieht das offenbar anders. Er hat jetzt bei Frühpensionen spezifische Privilegien . . .
. . . Ich rede von neu erworbenen Ansprüchen. Ab 1. Jänner 2005 gibt es keine Beamtenpensionen mehr für die Zukunft. Das ist ein ganz wichtiger Durchbruch.
Ihr Vizekanzler wünscht sich, dass man mit einem Verfassungsgesetz das Urteil des VfGH aufhebt, das die in Frühpension gehenden Beamten vor den Ruhensbestimmungen schützt.
Dieses Urteil ist aus meiner Sicht nicht argumentierbar. Ich weigere mich, es zu verteidigen. Denn das ist ein nicht gewolltes Ergebnis. Wir wollten für alle gleiche Pensionsbestimmungen. Wer in die Frühpension geht, der muss dann wenigstens die Großzügigkeit aufbringen, dass er dann nicht auch noch den Arbeitsmarkt zusätzlich belastet, weil sonst zahlen wir ja doppelt. Er nimmt dann quasi einem Jungen eine Einnahme oder einen Arbeitsplatz, und zugleich muss ein Solidaritätszuschuss zu dieser teuren Frühpension geleistet werden. Gerade vom Gleichheitsgrundsatz her ist das nicht argumentierbar. Auf der anderen Seite hat es die öffentliche Meinung immer, auch durchaus verständlich, kritisiert, wenn per Verfassungsgesetz ein Urteil des VfGH korrigiert wird. Ich bin da jetzt auch etwas ratlos, wie man das lösen kann. Ich halte mich daran.
Hier geht es aber um ein gravierenderes Problem als Taxikonzessionen.
Es hat jede Anlassgesetzgebung gute Gründe für sich und gute Gründe gegen sich. Ich glaube, dass man das nicht leichtfertig machen sollte. Ich bin aber auch nicht dazu da, dass ich dieses Urteil jetzt rehabilitiere.
Die Pensionsreform war, zumindest gemessen am öffentlichen Widerstand, das schwierigste Stück Ihrer bisherigen Amtszeit. Da ist es doch sehr enttäuschend, wenn die Statistik zeigt, dass das durchschnittliche Pensionsantrittsalter wieder gesunken ist.
Das ist ein statistischer Nachholprozess, sagt die Pensionsversicherung, weil aus zwei Jahren bestimmte Anträge nachhängen.
Sie dürfen diese Pensionsreform aber nicht kurzfristig sehen. Denn die kurzfristigen Wirkungen sind ja weitgehend abgemildert worden. Das war der Preis dafür, dass wir einen weitgehenden Konsens erzielt haben.
Der Vizekanzler will arbeitslose Ausländer wieder in ihre Heimat zurückzusenden. Sie auch?
Also so sicher nicht. Das wäre auch rechtlich nicht tragbar. Wenn jemand einen Aufenthalts- und Arbeitstitel hat, kann er nicht deshalb, weil er kurzfristig gekündigt wird, beide Titel plötzlich verlieren. Er hat ja auch in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt.
Was mich aber persönlich sehr stört, sind Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs, dass ein Ausländer, der nach einer Straftat drei Jahre unbedingt in Haft gesessen ist, da bleiben und arbeiten darf.
Ein Nicht-EU-Bürger?
Ein Nicht-EU-Bürger. Dass der weiter hier bleiben und arbeiten darf, das sehe ich überhaupt nicht ein.
Das sind Fehlentwicklungen, die muss man wirklich in Ruhe besprechen. Wir sollten einige Dinge, die mit der schlechten Europastimmung zusammenhängen, auch einmal aussprechen. Hier schafft eine Institution, nämlich der Europäische Gerichtshof, weit über die gemeinschaftlichen Rechtsbestandteile hinaus Europarecht, das von keiner demokratischen Institution so abgesegnet worden ist.
Was meinen Sie da konkret?
Da gibt es eine ganze Reihe solcher Urteile, wie etwa jenes über Frauen in der deutschen Bundeswehr. Verteidigungspolitik war aber nie Gemeinschaftsrecht. Wie kommt bitte so ein Erkenntnis zustande? Oder die Frage Uni-Zugang in Österreich. Wie kommt diese Institution dazu, nationale Kompetenzen zu unterwandern und damit auch die Ausbildung unserer eigenen Mediziner zu gefährden? Wie kommt ein Gerichtshof dazu, den Schweden zu verbieten, dass sie ihre Ferienhäuser wie seit Jahrhunderten mit Teer abdichten?
Über diese Fragen sollte man wirklich reden, auch über die Rückwirkung von EuGH-Urteilen. Es gibt bisher keinerlei aufschiebende Wirkung von Urteilen, keinerlei Überprüfung der Verhältnismäßigkeit der Konsequenzen eines Urteils.
Wenn wir das europäische Projekt am Leben halten wollen, wenn wir Europa neuen Schwung geben wollen - und das ist unsere Absicht in der Präsidentschaft - dann muss man über diese Fragen reden.
Eine solche Reform wäre aber auch eine massive Änderung der EU-Verfassung.
Das muss nicht unbedingt die Verfassung sein. Es kann auch ein präzis definiertes Primärrecht sein.
Dessen Änderung muss aber auch durch die nationalen Parlamente erfolgen.
Ja.
In der EU wird von der Notwendigkeit einer eigenen Steuerquelle gesprochen. Im Frühjahr haben Sie da noch dezidiert eine Steuer auf Finanztransaktionen angesprochen. Das haben Sie nicht mehr wiederholt.
Ich habe immer schon mehrere Möglichkeiten genannt und immer hinzugefügt: Es gibt ein Vorschlagsmonopol der Kommission. Was wir tun können, ist, Vorschläge zu machen, dass die EU wieder eine stärkere Eigenmittelfinanzierung hat. Die war einst über 50 Prozent und liegt jetzt durch das Sinken der Zölle unter 10 Prozent. Das ist nicht gescheit. Damit haben Sie genau dieses Hauen und Stechen, wo jeder gegen den anderen antritt und nur noch die Frage zählt, wer gewinnt und wenn ja, in welchem Ranking. Das ist nicht in Ordnung. Das macht auf die Dauer Budgetverhandlungen unmöglich. Diesmal haben wir es gerade noch geschafft; künftig wird das nicht mehr möglich sein mit diesem Modell, das aus den nationalen Budgets europäische Abgaben herausschneidet.
Konkrete Vorschläge machen Sie keine mehr?
Man muss die Finanztransaktionen prüfen und Steuerlöcher, die nicht wirklich argumentierbar sind: Schiffstransporte, Flugzeuge sind im Energieverbrauch nicht besteuert, der kleine Autofahrer muss aber Mineralölsteuer zahlen, das ist unlogisch.
Die Kommission soll aus diesem Bündel von Möglichkeiten etwas aussuchen. Einen gewissen Teil wird man immer aus den nationalen Budgets nehmen müssen, aber das sollte jedenfalls nicht weiter steigen. Zusätzlich könnte damit auch das Europäische Parlament eine echte Aufgabe bekommen. Jedes Parlament der Welt hat Budgethoheit. Warum sollten die Europaparlamentarier nicht auch für die Einnahmenseite verantwortlich sein?