Einst war das Sparbuch ein Blick in eine verheißungsvolle Zukunft. Doch es hat sich ausgespart. Ein Nachruf auf das Lieblingsbuch der Österreicher.
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Es war tief in den 1990er Jahren. Auf der Kinderzimmertür klebten Toni Polster und Anton Pfeffer. Im Fernsehen baute McGyver aus Kleiderbügeln Waffen. Durch die Ortskerne schoben sich Autokolonnen. Und beim Fleischhacker gab es um sechs Schilling ein Leberkässemmerl. Der Rest vom Taschengeld wanderte in die Spardose. Die heilige Spardose. Ein gelber Plastikzylinder mit einer Biene drauf. Ein Schatz. Unter Entbehrungen vom Mund abgespart. Münzen einwerfen. Prüfend schütteln. Nur hie und da ein Leberkässemmerl abzweigen.
Gegen Ende Oktober war sie oft so voll, dass sich die Groscherl im Schlitz spießten. Doch am 31. wurde sie verlässlich geleert. Da war Weltspartag. Und der war fast so schön wie Maibaumaufstellen und Erdbeerland gleichzeitig. Nach dem Frühstück ging es mit Papa zur Bank. Die Spardose in den gewaschenen Kinderhänden. Der Bankbeamte sperrte sie unten mit einem Metallschlüssel auf, lobte den fleißigen Sparer, händigte einen Stoffpapagei oder ein Lineal aus. Danach gab es Würstel für die Kinder und für den Papa ein Bier. Und leer war sie, die Spardose.
Das Geld wurde - so hieß es - auf ein Sparbuch gelegt. Die Ersparnisse all der Jahre lagerten dort. Sparbücher waren Mysterien. Manchmal erhaschte man einen Blick darauf, wenn Mama sie im Wohnzimmerkasten versperrte. Wenn Papa sie in die Innentasche seines Sakkos steckte. Kleine gelbe Büchlein in Schutzfolie.
Wenn ein Baby zur Welt kam, bekam es ein Sparbuch
Das Sparbuch war ein Blick in die Zukunft. Ein Blick in eine Zeit, in der man erwachsen sein wird. In der man sich ein Moped, ein Haus, einen Fernseher kaufen wird. Es stand für den Start in ein selbstbestimmtes Leben. Der Verlust des Sparbuchs war die schlimmste vorstellbare Katastrophe. Dann wäre alles umsonst gewesen. Dann stände man vor dem Nichts. Bei null. Dann müsste man von vorne beginnen, wieder den ersten Groschen in die Spardose stecken.
Die 1990er Jahre waren die große Zeit des Sparens. Jeder hatte ein Sparbuch. Kam ein Baby zur Welt, gingen die Eltern auf die Bank und legten ein Sparbuch an. Die Finanz-Pädagogik war einfach und klar: Spare dein Geld. Wer spart, ist brav. Wer nicht spart, ist böse. Mehr gab es in Sachen Geld nicht zu vermitteln. Dieses simple Credo bläute man den Kindern ein, wo immer es ging. Auch die Banken spielten mit. Sie gierten nach den jungen Sparern. Weltspartag, Sparbuch, Spardose, Sparschwein, Sparkasse, Sparefroh - Sparen war immer und überall.
Das ist vorbei. Sparen war vorgestern. Die Menschen legen ihr Geld lieber in Aktien, Hedgefonds, Edelmetalle an. Oder sie kaufen sich Wohnungen und Häuser. Denn die Idee des Sparbuchs ist obsolet geworden. Das Geld wird durch Zinsen und Zinseszinsen am Sparbuch nicht mehr mehr. Ganz im Gegenteil. Wer spart, verliert sogar Geld. Seit Jahren liegen die Zinsen unter der Inflationsrate. Vermögen auf täglich fälligen Sparbüchern schrumpften in den vergangenen zehn Jahren um rund 15 Prozent. Das Sparbuch frisst Geld. Zwar horten die Österreicher immer noch Milliarden. Es ist jedoch die eiserne Reserve, die am Sparbuch liegt. Als Anlageform hat es ausgedient.
Wo soll Onkel Dagobert ohne Geldspeicher baden?
Das Sparbuch in der Nachttischlade stellt sich in eine Reihe mit Festnetztelefon, Faxgerät, Röhrenfernseher. Ein Relikt vergangener Tage. Auch ohne Zinstief wäre es verschwunden. Zumindest in haptischer Form. Wenn Sparbuch, dann Online-Sparbuch. Das Sparbuch hat sich wegdigitalisiert, wie auch die Bankfiliale oder das Geld selbst. Es steckt in Form einer Plastikkarte in der Hosentasche. Oder die neuen Turnschuhe werden gleich im Internet via E-Banking gekauft.
Das ist praktisch. Die Spardose hatte aber einen wesentlichen Vorteil: Man hörte, wenn sie leer war. Sparen ist wie sammeln. Man will sehen, was man hat. Ein digitaler Schatz ist langweilig. Wo soll Onkel Dagobert ohne Geldspeicher baden?
Vielleicht wäre sparen aber auch ohne Zinstief und Digitalisierung aus der Mode gekommen. Denn die Mütter und Väter, die ihren Kindern in den 70er, 80er und 90er Jahren sparen ohne Ende einschärften, war die erste Generation nach den Weltkriegen, die auch etwas zum Sparen hatte. Sie kannte das Elend noch aus ihren eigenen Kindertagen. Den neuen Wohlstand galt es risikoarm zu verwalten - am guten alten Sparbuch.
Auch heuer laden die Banken am Donnerstag zum Weltspartag. Doch der Feiertag der Sparer hat seinen Glanz verloren. Aus reiner Gewohnheit wird er begangen. Nur noch vereinzelt werden Spardosen geleert, Sparbücher befüllt werden. Würstel und Bier sind verschwunden. Am Tag danach wird auf den Friedhöfen der Toten gedacht. Auch das Sparbuch ist von uns gegangen. Ruhe in Frieden.