Süd- und Nordkorea provozieren einander erneut - zuletzt ließ der nordkoreanische Diktator Kim Jong-un mit harschen Drohungen aufhorchen. Steckt dahinter mehr als die üblichen Provokationen?
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wien/Pjöngjang/Seoul. Handelt es sich bei den jüngsten Drohungen aus Nordkorea um die üblichen Provokationen oder könnte die Lage dieses Mal eskalieren? Es ist eine Frage, die Beobachtern bei jedem weiteren Zwischenfall im seit Jahrzehnten schwelenden Konflikt zwischen Süd- und Nordkorea auf der Zunge liegt. So auch bei den jetzigen Spannungen auf der koreanischen Halbinsel.
Am Freitag versetzte der nordkoreanische Machthaber Kim Jong-un die Grenztruppen in volle Gefechtsbereitschaft. Zudem drohte er dem Süden mit Militäraktionen, sollte dieser seinem Ultimatum - der Einstellung der Propagandaoffensive des Südens gegen den Norden - bis Samstagnachmittag nicht Folge leisten. Ähnliche Drohungen hat der Norden bereits mehrfach ausgestoßen. So erklärte Kim Jong-un 2013, dass sich sein Land im "Kriegszustand" mit Südkorea befinde. In Seoul nimmt man die derzeitigen Äußerungen trotzdem ernst: Südkorea warnte seinen Nachbarn vor weiteren Provokationen und kündigte an, auf jede Art von Angriff "resolut" zu reagieren.
"In gewissem Sinne sehen wir eine Wiederholung des gleichen unseligen Spiels mit dem Feuer, wie es seit Jahrzehnten auf der koreanischen Halbinsel aufgeführt wird. Gleichzeitig gibt es aber auch Unterschiede", sagt Rüdiger Frank im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Der Nordkorea-Experte und Professor am Institut für Ostasienwissenschaften an der Universität Wien sieht die unklare innenpolitische Situation in Nordkorea als einen möglichen Hintergrund für die Eskalation. Denn die Machtkonsolidierung seit der Führungsübernahme Kim Jong-uns 2011 sei noch nicht abgeschlossen - das würden auch die häufigen Personalwechsel in der obersten Führung und die Hinrichtungen hoher Funktionäre zeigen. "Die Zwischenfälle sind deshalb eine willkommene Ablenkung und Gelegenheit, Härte und Führungskräfte zu zeigen", sagt Frank.
Das gelte zum Teil auch für Südkorea, wo das Militär seit Jahren von bestimmten politischen Gruppen für seine zu nachgiebige Haltung gegenüber dem Norden kritisiert werde.
Die Symbolik von 2015
Als weiteren Grund für die derzeitige Heftigkeit der gegenwärtigen Auseinandersetzungen sieht Frank die besondere Symbolik des Jahres 2015, dem siebzigsten Jahr nach der Befreiung Koreas von der japanischen Kolonialherrschaft: "Diese Befreiung war schon immer die ideologische Basis des Führungsanspruches der Familie Kim in Nordkorea und auch Grundlage eines gewissen Überlegenheitsdenkens gegenüber dem Süden, wo Kollaborateure hohe und höchste politische Ämter innehatten." Symbolische Schritte seien deshalb an der Tagesordnung, wie zuletzt etwa die Einführung einer eigenen nordkoreanischen Zeitzone. Diese Schritte würden Südkorea unter Zugzwang setzen, argumentiert Frank. "Beim Thema Nationalismus möchte man keineswegs dem Norden das Feld überlassen."
Ihren Ausgang nahmen die jüngsten Spannungen vor rund zwei Wochen, als zwei südkoreanische Soldaten an der Grenze zu Nordkorea durch Landminen schwer verletzt wurden. Südkorea verlangte für den Zwischenfall eine Entschuldigung Nordkoreas - doch Pjöngjang wies jede Verantwortung von sich. Als Reaktion darauf startete Südkorea am 10. August Propaganda-Aktionen gegen den Norden. Lautsprecher, die an elf Stellen in der demilitarisierten Zone zu Nordkorea installiert sind, begannen den Norden mit Propaganda-Botschaften zu beschallen, worauf Nordkorea am Donnerstag einen der Lautsprecher beschoss. Der Süden erwiderte das Feuer - Drohungen aus Pjöngjang folgten. Eine Entspannung der Lage ist nicht in Sicht.
Eingreifen von außen nötig
Für eine Lösung der Situation plädiert Frank für ein Eingreifen von außen: "Speziell die USA und China, die zwei Mächte, die für sich einen Führungsanspruch in der Region reklamieren, müssten handeln." Denn ansonsten sei die Eskalation vorprogrammiert: "Süd- und Nordkorea haben rote Linien tief in den Sand gezogen. Wenn eine Seite diese überschreitet, werden sie handeln müssen", so Frank.
Probleme bei diplomatischen Initiativen bereitet aber die Unberechenbarkeit der nordkoreanischen Führung. Nur wenige Informationen dringen aus dem abgeriegelten Land an die Außenwelt. "Wir wissen einfach nicht genug über Nordkorea", sagt Norbert Eschborn, Leiter des Auslandsbüros Korea der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in Seoul. Derzeit gelte es nach übereinstimmenden Expertenangaben aber zumindest als gesichert, dass es in Nordkorea mehrere konkurrierende Machtzentren gebe. Eines davon - wenn nicht das wichtigste - sei das Militär. Dieses würde keine Chance verpassen, seine Bedeutung zu unterstreichen, so Eschborn.
Das jüngste Säbelrassen zwischen dem Norden und Süden führt Eschborn auf die jährlichen, derzeit stattfinden Militärmanöver der USA und Südkorea zurück: "Derartige Eskalationen gibt es jedes Mal, wenn diese Manöver stattfinden. Bei meinem letzten Nordkorea-Besuch Anfang Mai sprach ich mit einem Mitarbeiter des Zentralkomitees. Er meinte - oder gab es zumindest vor -, Nordkorea könne nicht beurteilen, ob es sich bei den Manövern nur um Militärübungen oder Vorbereitungen für einen Invasionskrieg handeln würde", so Eschborn. Es käme zu einer pawlowschen Reaktion: Der Norden würde sich von dem Manöver bedroht fühlen, worauf er den Süden provozieren und bedrohen würde. Südkorea würde dann auf die gleiche Weise reagieren, so Eschborn. Seiner Einschätzung nach könnte die Lage nach dem Ende der Manöver am 28. August wieder deeskalieren. Bis dahin könnte es noch zu Zwischenfällen kommen - mit einer Eskalation rechnet aber nicht: "Ich glaube, dass es so wie immer ablaufen wird."
Der jüngste Konflikt mit dem Norden könnte, nach Ansicht von Eschborn, der südkoreanischen Regierung zudem nicht ungelegen kommen: "Die südkoreanische Regierung ist in der Bevölkerung nicht besonders populär - ihre Zustimmungsrate liegt bei knapp über 30 Prozent. Sie kann nun beim Schutz gegen nordkoreanische Aggressionen - einem Pflichtfeld der südkoreanischen Politik - Führungsstärke zeigen", so Eschborn.
Technisch gesehen befinden sich Süd- und Nordkorea noch immer im Krieg. Der Koreakrieg von 1950 bis 1953 endete nicht mit einem Friedensvertrag, sondern nur einem Waffenstillstand. Die demilitarisierte Zone, ein von unzähligen Minen durchzogener Landstrich, ist eine Hinterlassenschaft des Koreakriegs. Auch Stacheldrähte trennen dort die beiden verfeindeten koreanischen Staaten voneinander.
Für den Kriegsfall sind beide Länder hochgerüstet: Nordkorea verfügt über eine 1,2 Millionen Mann starke Armee, Nuklearwaffen und strategische Raketen. Südkorea unterhält eine Hightech-Armee bestehend aus 650.000 Soldaten. Zusätzlich sind 28.000 US-Soldaten in Südkorea stationiert. Der sogenannten Sonnenscheinpolitik, die Ende der 1990er Jahre vom damaligen südkoreanischen Präsidenten Kim Dae-jung eingeleitet wurde und zur Befriedigung der Halbinsel führen sollte, war kein langfristiger Erfolg beschienen.
Keine Anspannung in Seoul
In Seoul selbst würden die jüngsten Ereignisse für keine größere Anspannung sorgen, sagt Eschborn. 2013, als Kim Jong-un den Kriegszustand erklärte, sei die Situation angespannter gewesen - trotzdem sei auch damals niemand in die Bunker geflüchtet. Diese Lockerheit der Südkoreaner sei für viele Ausländer immer wieder überraschend.
"Die Südkoreaner sind es gewohnt, unter einer gewissen Bedrohung zu leben. Die nordkoreanischen Geschütze, die nördlich der Grenze in großer Zahl eingegraben seien sollen, könnten Seoul theoretisch ja jeden Tag treffen."