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Das Spiel mit den Rollen

Von Christian Hoffmann

Reflexionen
Ulf Thalhammer, Alex Stoiber, Helga Eberherr, Agnes Schneider
© Pessenlehner

Wenn eine Frau und ein Mann miteinander tanzen, dann sind Rollen nach traditionellen Regeln verteilt. Ganz anders verhält es sich, wenn Tanzpaare aus jeweils zwei Männern oder zwei Frauen bestehen, wie das bei Turnieren der Equality-Szene der Fall ist. Dort sind die konventionellen Rollen außer Kraft gesetzt.


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Ulf Thalhammer lacht. Er strahlt über das ganze Gesicht. "Es macht einfach Spaß", sagt er. "Wir nehmen etwas Bestehendes her und verändern es dann." Der Leiter des Service Centers der Executive Academy an der Wiener Wirtschaftsuniversität weiß, wovon er spricht. Gemeinsam mit seinem Partner und Arbeitskollegen Alex Stoiber kann er als Turniertänzer immerhin einen zweiten Platz bei einer Weltmeisterschaft der Herrn über zehn Tänze sowie eine Goldmedaille in den Männerbewerben der Eurogames vorweisen, einer Großveranstaltung der "European Gay & Lesbian Sport Federation".

Auch Agnes Schneider, von Beruf Bankmanagerin, und die Soziologin Helga Eberherr, die erst seit ungefähr einem Jahr miteinander Turniere tanzen, kennen den Reiz der immer wieder neu verteilten Rollen. " Ich kann mich bei dieser Art des Tanzens ganz anders ausleben", sagt Agnes Schneider, die auf Jahrzehnte Erfahrung im herkömmlichen Turniertanzen zurückblicken kann. Und Helga Eberherr ergänzt: "Es ist die Lust daran, aus festgelegten Rollen herauszutreten."

Equality-Turniere, bei denen gleichgeschlechtliche Tanzpaare an den Start gehen, gibt es in Europa seit etwas mehr als einem Jahrzehnt. In Wien ist es der Vienna Dance Contest, der alljährlich im Herbst stattfindet. Die tänzerischen Grundtechnik haben die Akteure zumeist in der Welt gelernt, die sie Mainstream nennen. Alex Stoiber zum Beispiel hat wie Ulf Thalhammer viele Jahre mit einer Partnerin herkömmliche Turniere getanzt. Fußarbeit, Haltung, Balance - die Basis haben sie sich dort in vielen Trainingsstunden erarbeitet. Um diese Kenntnisse dann in der Equality-Welt, in der die Rollen im Paar ständig wechseln, auf neue Art anzuwenden. "Ich starte zum Beispiel in eine Figurenfolge in der Rolle des Geführten und komme dann in der des Führenden heraus", erklärt Alex Stoiber. Was natürlich, wie sich jeder denken kann, vom tänzerischen Können her alles andere als trivial ist.

Jenseits der Klischees

Bei dieser Art des Tanzens entsteht etwas Eigenes, betont Helga Eberherr, die Soziologin. Es gehe, sagt sie, keineswegs um eine Kopie der männlich-weiblichen Tradition, weil die Konstruktion der überlieferten Rollen von Mann und Frau überflüssig wird. Entscheidend werde vielmehr die Kommunikation zwischen Partnern, die an jeder Stelle der Choreographie neu erarbeitet werden muss. Wer initiiert die nächste Figur? Wer gibt die Richtung vor, in die die Bewegung geht und aus der sich alles andere ergibt? Wobei aber, wie Agnes Schneider einwirft, das Wesentliche beim Tanzen als Paar erhalten bleibt, nämlich das, was sie "das Spiel miteinander" nennt. Das "Touching-Gefühl", wie es Helga Eberherr formuliert.

Karin Arikan, eine Tanzsporttrainerin, die auch Equality-Paare unterrichtet, sieht das ähnlich. "Im herkömmlichen Turniertanzen", erklärt sie, "werden bewusst die Klischees von männlichen und weiblichen Rollen herausgearbeitet." Deswegen erfordert ihrer Meinung nach die Arbeit mit Equality-Paaren vom Trainer neue Ansätze. "Jenseits dieser Klischees", fährt sie fort, "geht es dann viel mehr darum, die Persönlichkeit des Tänzers oder der Tänzerin zu unterstreichen."

In den lateinamerikanischen Tänzen zum Beispiel bringt sie, die in ihrer aktiven Zeit dreifache Staatsmeisterin in dieser Disziplin war (damals noch unter dem Namen Karin Figar), den Damen der Mainstream-Paare bei, die Arme effektvoll am Körper zu führen, um ihre Weiblichkeit zu betonen. Für einen Mann, der denselben Part tanzt, sei das völlig unergiebig, für den müsse man eine andere Führung der Arme finden. Ebenso wie Figuren, bei denen das Kleidchen der Dame kokett schwingt oder bei denen in Standardtänzen die Dame schmachtend im Arm des Herrn zu liegen scheint. Mit alledem fängt man nichts an, vor allem, wenn zwei Männer miteinander tanzen. "Da ist man gezwungen, die Technik weiterzuentwickeln." Karin Arikan lächelt fein: "Aber man muss man ja nicht unbedingt an den alten Klischees von Männlich und Weiblich festhalten. Die treffen ja auch im wirklichen Leben nicht mehr zu, oder?"

Die Akteure sind ganz auf derselben Linie. Ulf Thalhammer und Alex Stoiber legen Wert darauf, sich beide auf der Tanzfläche als Männer zu präsentieren. Manche bekannten Figuren, bei denen das nicht gelingt, müssen daher gestrichen werden. "Es gibt Positionen, in denen werde ich nie so gut aussehen, wie eine Dame", sagt Ulf Thalhammer. Und es gibt Abläufe, zum Beispiel in der Samba, wie Alex Stoiber ergänzt, in denen es ihm einfach nicht gelingt, sich führen zu lassen, in denen ihn irgendein innerer Impuls unwiderstehlich dazu drängt, die Führung zu übernehmen. Auch die sind unbrauchbar.

Den Damen ergeht es nicht anders. "Wenn ich führe", sagt Agnes Schneider, "dann versuche ich auch nicht, als Mann aufzutreten. Dann bin ich einfache eine Frau in einer führenden Rolle." Woraus sich vielerlei Konsequenzen ergeben, die sogar das Outfit betreffen. "In den üblichen High Heels", sagt etwa Agnes Schneider, "ist es schwierig, zu führen. Da ist mein Rückgrat einfach in einer ungünstigen Position."

Zwischen den Welten

Die Herausforderungen, die das Tanzen gleichgeschlechtlicher Paare mit sich bringen, werfen für die Trainerin Karin Arikan auch eine Menge grundsätzlicher Fragen auf. Im Zuge ihrer Ausbildung hat sie Seminare in England absolviert, bei denen viel die Rede von den Ursprüngen verschiedener Tänze war, die mit der modernen Tanztechnik auch bei Paaren des Mainstream allmählich verloren gingen. "Und natürlich", räumt sie ein, "waren die Ursprünge zum Beispiel der Rumba oder des Tango ein Spiel zwischen Mann und Frau. Inzwischen ist das alles aber recht artifiziell geworden. Was vom künstlerischen Standpunkt her natürlich auch wieder besonders reizvoll ist." Ein Aspekt, den sie vielleicht deswegen besonders anziehend findet, weil sie neben dem Tanzsport auch eine Bühnenausbildung für Gesang und Tanz absolviert hat und sich besonders für die künstlerische Gestaltung der Bewegung interessiert.

Eine Herausforderung stellt das Equality-Tanzen aber auch unabhängig von der tänzerischen Technik für die Mainstream-Welt dar. Um bei Turnieren antreten zu können, mussten Ulf Thalhammer und Alex Stoiber zum Beispiel einem Verein angehören. Nun wurden sie zwar von dem Trainerpaar des Tanzsportklubs "UTSK Casino Wien", Irene und Helmut Hanke, von allem Anfang an in ihren Ambitionen unterstützt. Um die beiden aber als Paar in den Klub aufnehmen zu können, war zusätzlich eine Abstimmung in der Vollversammlung notwendig. Die dann - was vielleicht eine Generation davor noch nicht so klar gewesen wäre - einstimmig zugunsten der beiden ausfiel.

"Später dann", erzählt Ulf Thalhammer, "waren manche Trainer begeistert davon, mit uns zu arbeiten, weil diese Arbeit für sie so spannend war." Und beim freien Training auf den Tanzflächen des Klubs haben sich die anderen Paare bald an den Anblick der beiden tanzenden Herrn gewöhnt.

Auch bei den Equality-Turnieren gibt es mittlerweile viele Berührungspunkte zwischen den beiden Welten. Immer mehr Wertungsrichter aus der Mainstream-Szene haben nichts dagegen, gleichgeschlechtliche Paare zu werten, die Musikanlage beim Vienna Dance Contest ist dieselbe, die auch bei anderen großen Turnieren verwendet wird, bedient von derselben Mannschaft, die sich auch sonst um die Musik kümmert.

Außerhalb der Welt des Tanzsports ist es immer noch schwierig, als gleichgeschlechtliches Tanzpaar akzeptiert zu werden, wie Agnes Schneider weiß. Vor Jahren war sie mit ihrer damaligen Partnerin zu einem Show-Auftritt bei einer Tanzveranstaltung einer politischen Partei eingeladen. Und obwohl viele der Anwesenden vom Auftritt der miteinander tanzenden Damen angetan waren, hat sie auch einige "schiefe Blicke" bemerkt. "Nein", sagt sie, "allen war das nicht recht." Aber auch ein Mainstream-Tanzturnier, bei dem Equality-Paare neben den anderen in eigenen Klassen starten, sei derzeit in Österreich nicht möglich, meint sie.

Info & Kontakt

Karin Arikan, Tanzsporttrainerin

karinarikan@yahoo.com

UTSK Casino Wien

Florianigasse 66/6, 1080 Wien

www.casinowien.at

Tanzsportakademie

Irene und Helmut Hanke

www.tanzsportakademie.at

Vienna Dance Contest, 25.9.2010

Haus Muskath

Liesinger Platz 3, 1230 Wien

www.viennadancecontest.at