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Gratis Öffis: Ob der grüne Vorschlag realistisch ist, spielt im Wahlkampf keine Rolle - eine Analyse.
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Der offizielle Wahlkampfauftakt der Wiener Grünen war erfolgreich - zumindest was die Erregung von Aufmerksamkeit betrifft: Ein Jahr lang gratis Öffis anzubieten und eine 35-Stunden-Woche für alle Mitarbeiter der Stadt Wien anzukündigen, um damit 7000 zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen, erscheint zwar sehr illusorisch, bringt die Grünen aber einmal mehr ins Gespräch. Und stößt den roten Koalitionspartner vor den Kopf. Nämlich offensichtlich so sehr, dass sich Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) nicht einmal dazu äußerte. Zumal dieser den Medien fast gleichzeitig (und nicht ganz so erfolgreich) die Zwischenbilanz über die Corona-Maßnahmen der vergangenen Monate verkaufen wollte - Stichwort Wiener Hilfspaket, Gastro-Gutschein, Taxi Gutschein usw.
Lediglich Öffi-Stadträtin Ulli Sima sprach von einem sehr unrealistischen "Wahlkampfgag" der Grünen. Schließlich würden ein Jahr gratis Öffis nicht "nur" die von Hebein genannten 400 Millionen Euro kosten, sondern längerfristig einen Milliardenaufwand bedeuten, da die Nachfrage steigen würde und ein massiver Ausbau der Kapazitäten nötig wäre.
Auch der FCG-ÖAAB-Fraktionsvorsitzender in der AK-Wien, Fritz Pöltl, rechnete sogleich vor, dass allein der Ausfall von Fahrschein-Erlösen und Jahreskarten rund 580 Millionen Euro kosten würde. Dazu müsste man noch die rund 494 Millionen Euro Zuschüsse rechnen, welche die Wiener Linien vom Steuerzahler für den Betrieb und die Infrastruktur pro Jahr überwiesen bekommen.
Fokus Soziales und Umwelt
Aber um das geht es den Grünen ja gar nicht. Die Hauptsache ist, dass in der Stadt über die Grünen geredet wird. Und es geht darum, dass diese Vorschläge in die Wahlkampf-Schwerpunkte der Grünen einzahlen - die da im Gegensatz zu allen anderen Parteien ganz klar und kompromisslos sind: Soziales, Klima- und Umweltschutz. Schwerpunkte, die auch - nicht nur koalitionsbedingt - im Wählerbecken der SPÖ zu finden sind. Denn um im derzeit auslaufenden blauen, aber auch im türkisen Becken Wählerstimmen zu angeln, scheint die SPÖ in den vergangenen Monaten politisch zu wenig nach rechts geschaut zu haben.
Abgesehen davon dürfte Hebein einen viel besseren Draht zur türkis-grünen Bundesregierung haben als die Roten - nicht zuletzt, weil sie einen aktiven Part in den Regierungsverhandlungen innehatte. So hört man aus internen Kreisen, dass Hebein mitunter bei Unstimmigkeiten zwischen Wiener Stadtregierung und türkis-grüner Bundesregierung vermittelnd eingegriffen haben soll. Nur dass die Wiener ÖVP den Misstrauensantrag der Wiener FPÖ gegen sie unterstützt hat, weil sie an einer Demo in Favoriten teilgenommen hatte, nimmt sie den Türkisen sehr übel.
Die Vorherrschaft über die Themensetzung im Wiener Wahlkampf ist jedenfalls deshalb so wichtig, weil zu Coronazeiten keine Hausbesuche und keine Großveranstaltungen möglich sind - bleiben nur die Medien, die Sozialen Medien und die bevorstehenden Wahlkampfduelle. Letztere werden für Hebein wohl die größte Herausforderung darstellen, schließlich ist es ihr erster Wahlkampf als Spitzenkandidatin bei einer Wiener Gemeinderatswahl.
Defensiver Wahlkampf
Insgesamt wird der Wahlkampf bis jetzt von allen Parteien nach außen hin relativ defensiv geführt, weil jede Partei gute Chancen hat, am Ende mit einem für sie guten Ergebnis dazustehen. Dass die SPÖ als Gewinner hervorgeht, bezweifelt kaum jemand. Die Frage ist nur, wie hoch der rote Vorsprung sein wird. Ist er groß genug zu den Grünen, wäre eine Fortsetzung der Koalition möglich. Werden die Grünen zu stark für die SPÖ, könnte die von Ludwig präferierte SPÖ-ÖVP-Koalition Wirklichkeit werden.