Zum Hauptinhalt springen

Das Spitalswesen und seine multiplen Grunderkrankungen

Von Simon Rosner

Politik

Die Pandemie hat die Lage verschlechtert, doch die Hauptursachen aktueller Probleme liegen woanders. Ein Überblick.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 1 Jahr in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Würde das heimische Spitalswesen eine Ärztin aufsuchen, wäre sein Gesundheitsproblem nicht mit einem simplen Rezept aus der Welt zu schaffen. Zu mehreren Grunderkrankungen ist zuletzt eine akute hinzugekommen: Covid.

Von den aktuell 33.000 Betten in Länder- und Gemeindespitälern waren im Mai 2.775 gesperrt. Diese Zahlen nannte am Freitag Reinhard Waldhör, der Vorsitzende der GÖD-Gesundheitsgewerkschaft. Er forderte von Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grünen) einen Spitalsgipfel.

Die Pandemie machte länger bestehende Probleme sichtbar, diente zugleich auch als deren Beschleuniger. Die hohe Arbeitsbelastung jener Zeit wirkte negativ auf die Personalressourcen. Die Gewerkschaft nannte 2.200 offene Stellen in der Pflege sowie 700 bei Ärztinnen und Ärzten. Doch der akute Arbeitskräftemangel ist nicht die einzige Ursache.

Der Bedarf an medizinischen und pflegerischen Personal ist aus mehreren Gründen nicht konstant. Die Bevölkerung wächst, und sie altert auch. Vor 20 Jahren gab es 300.000 Personen über 80 Jahre, im Vorjahr waren es schon mehr als eine halbe Million. Mit zunehmendem Alter steigt nicht nur die Wahrscheinlichkeit, ein Spitalsbett zu benötigen, auch die Behandlung ist meist komplexer. Der therapeutische Aufwand bei multimorbiden Patienten ist ungleich höher, weil andere Grunderkrankungen mitbedacht werden müssen. Ein Krankenhausleiter spricht gegenüber der "Wiener Zeitung" von einer "Dreidimensionalität" in der Behandlung.

Die Kehrseite des medizinischen Fortschritts

Auch der stete medizinische Fortschritt verlangt mehr Ressourcen. In der Reparaturmedizin hat es, wie ein Arzt berichtet, "eine Explosion" gegeben. Wo bei Krebspatienten früher aus zehn Standardtherapien gewählt werden konnte, stehen heute hunderte Optionen zur Verfügung. Aus dem solitären Onkologen sind interdisziplinär aufgestellte Tumorboards geworden. Die Behandlung wird besser, der Aufwand dafür steigt aber geradezu exponentiell.

Eine Rolle spielt auch die geänderte Arbeitszeitregelung aufgrund einer EU-Richtlinie aus 2003. Diese wurde lange nicht beachtet, aufgrund eines Vertragsverletzungsverfahrens dann 2015 rasch umgesetzt - ohne aber begleitende Maßnahmen vorbereitet zu haben. Dienstpläne mussten umgeschrieben werden, die maximale Arbeitszeit sank zwar, die Arbeitsverdichtung stieg massiv.

Gänzlich unbemerkt sind all diese Entwicklungen nicht geblieben, die öffentliche Aufmerksamkeit ist heute aber ungleich höher. Es sind auch (kleinere) Reformen passiert, die dazu beitrugen, dass die Zahl der medizinischen Leistungen der Spitäler nach einem Peak im Jahr 2015 zurückgegangen sind. Zudem können heute gewisse Leistungen auch ambulant durchgeführt werden.

Doch die scharfen Kompetenz-Schnittstellen zwischen den Spitälern und dem niedergelassenen Bereich, für den die Krankenkassen zuständig sind, tragen dazu bei, dass Effizienzpotenziale liegen gelassen werden. Eine nicht ausreichende kassenärztliche Versorgung begünstigt zudem, dass auch jene Patienten ins Spital gehen, die dort nicht unbedingt versorgt werden müssten. Andererseits ist die Hochleistungsmedizin der Krankenanstalten für viele Patienten auf der Suche nach bestmöglicher Behandlung auch sehr attraktiv. Die Ärztekammer will daher wieder über Ambulanzgebühren diskutieren - was Minister Rauch strikt ablehnt.