Google, Facebook und Windows haben nicht nur die Arbeitswelt im Sturm erobert - sie hinterlassen auch tiefe Spuren in den Gehirnen der digitalen Arbeiter.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
"Stimmt es, dass die Arbeit am Computer dumm macht? Sie haben nichts zu befürchten: Computer können einen wahnsinnig machen - aber nicht dumm." Diese Worte schreibt Google einem gewissen Egmont Kakarot-Handtke zu. Was reicht, um diese Information als glaubwürdig zu erachten. Zumindest für ein durchschnittliches, zur computergestützten Arbeit trainiertes Gehirn. Denn je mehr moderne Medien und Technologien unsere Arbeitswelt bestimmen, desto stärker passen wir uns diesen an - und liefern uns ihnen aus.
Die seit Jahrzehnten laufende Digitalisierung der österreichischen Arbeitswelt ist weit fortgeschritten: 98 Prozent der Unternehmen setzen hierzulande bereits Computer ein, jeder zweite Beschäftigte verwendet laut EU-Statistikamt Eurostat einen PC für seine Arbeit. Eine Entwicklung, die aller Voraussicht nach unumkehrbar ist, da sie der österreichischen Wirtschaft im globalen Wettbewerb entscheidende Vorteile verschafft: Effizienz und gewaltige Einsparungsmöglichkeiten. "Österreich ist kein Niedriglohnland, daher müssen wir mit Hochtechnologie und Knowhow unsere Standortvorteile verteidigen - Computer und Internet sind dabei unerlässlich", sagt Wolfgang Resch von der Österreichischen Computer Gesellschaft (OCG). Die Branche für Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) weist regelmäßig auf ihren Beitrag zu Wirtschaftswachstum und Konjunkturentwicklung hin und dokumentiert plausibel, welch erstaunliche Produktivitäts- und Wertschöpfungszuwächse sie selbst in Krisenzeiten aufzuweisen vermag. Die Vorteile, die Österreich als Wirtschaftsstandort aus der fortschreitenden Digitalisierung der Arbeitswelt zieht, liegen auf der Hand.
Schon deutlich weniger klar ist jedoch, was der Einzug von Computer und Internet für den Alltag bedeutet. "In der Computertechnologie ist das berufliche Umfeld ein großer Schwerpunkt", bestätigt Resch die Vorreiterrolle, die der Job in der Digitalisierung sämtlicher Lebensbereiche innehat. Wie sehr diese Technologien aber unsere Tagesabläufe, Arbeitsweisen und unser Verhalten verändern, wird von den meisten Computerarbeitern nicht einmal wahrgenommen. Dabei haben Computer und Internet gerade in diesen Bereichen revolutionäre Umwälzungen verursacht, die selbst in der Psyche der Beschäftigten tiefe Spuren hinterlassen.
Positive und problematische Befunde
Welche Spuren das sind, versuchen Wissenschafter seit einiger Zeit eingehend zu erörtern. Auch an der Johannes Kepler Universität Linz geht man dieser Frage nach - im Rahmen des Forschungsschwerpunktes NeuroIS - Neuro-Information-Systems. Erste Erkenntnisse konnte diese Forschungsrichtung, die im angloamerikanischen Raum bereits größere Aufmerksamkeit erfahren hat, schon liefern. Und die weisen sowohl auf positive als auch auf problematische Entwicklungen hin.
Als erwiesen gilt zunächst, dass sich das menschliche Gehirn durch die regelmäßige intensive Interaktion mit Computer und Internet, wie sie etwa bei der Büroarbeit stattfindet, anpasst. Zum einen bezieht sich das auf die Fähigkeit des Multitasking, der Möglichkeit, die Aufmerksamkeit auf mehrere Aufgaben gleichzeitig zu verteilen. "Am Computer hat man oft mehrere Fenster offen, nebenbei beispielsweise einen Skype-Chat laufen oder nutzt parallel Dienste wie Facebook. Das ständige Wechseln zwischen diesen Anwendungen fördert das Lernen von Multitasking", sagt René Riedl, der als Professor für Wirtschaftsinformatik an der Universität Linz das Forschungsfeld NeuroIS betreut. Mit dieser Fähigkeit kann man natürlich gerade in der Computerarbeit punkten - aber nicht nur: "Multitasking ist etwas, das nicht nur für die IKT-Nutzung relevant ist, sondern sich auch auf andere Kontexte übertragen lässt", meint Riedl. So lässt sich die eigene Aufmerksamkeit beispielsweise in realen Gesprächssituationen in kürzeren Zeitabständen besser auf verschiedene Reize verlagern, sagt der Forscher.
Der durch die Interaktion mit Computer und Internet hervorgerufene Anpassungs- und Lernprozess komme zwar speziell bei Kindern und Jugendlichen zu tragen, da sich das Gehirn in diesem Alter noch deutlich besser formen lasse. Doch auch bei Erwachsenen ist dieser Vorgang zu beobachten, ist Riedl überzeugt. Und selbst bei älteren Semestern kann das Training des Gehirns durch die Computerarbeit Vorteile bringen: "Mit zunehmendem Alter verändert sich das Gehirn - es baut ab. Wenn Menschen im Alter von beispielsweise 60 bis 70 Jahren aber die neuen Technologien intensiv nutzen, kann das den Abbauprozess verlangsamen", sagt Riedl.
So ließ der US-Hirnforscher Gary Small in einer Studie erwachsene Testpersonen im Alter von 55 bis 76 Jahren Google-Recherchen tätigen. Und stellte dabei fest, dass jene Personen, die bereits erfahrener im Umgang mit dem Internet waren, eine deutlich höhere Aktivität in Hirnarealen aufwiesen, die etwa für Schlussfolgerungen und Entscheidungsfindungen zuständig sind. Die simple Erkenntnis dieser Studie lautete, dass Menschen fortgeschrittenen Alters ihr Gehirn zu einer effizienteren Informationsverarbeitung trainieren können.
Revolution des Gedächtnisses
Bei ihren Untersuchungen stießen Hirnforscher allerdings auch rasch auf die Kehrseite der Medaille. "Wenn man sein Multitasking verbessert, kann das auf Kosten der Fähigkeit zur tieferen Konzentration gehen", sagt Riedl und erläutert das folgendermaßen: "Wechselt man permanent zwischen unterschiedlichen Kanälen oder Informationsquellen, kann die Information nur sehr oberflächlich verarbeitet werden. Mit der Zeit entstehen hier Defizite, was in Situationen, in denen eine tiefere Konzentrationsfähigkeit notwendig ist, durchaus Nachteile bringt."
Als noch gravierender könnte sich freilich ein anderer Anpassungsprozess des Gehirns erweisen: die Neuordnung des Erinnerungsvermögens. Die Psychologin Betsy Sparrow fand im Rahmen einer Studie an der Columbia University in New York heraus, dass intensive Google-Nutzung die Informationsablage
im Gehirn massiv beeinflusst. "Unser Gehirn verlässt sich auf das Internet als Erinnerungsspeicher in ähnlicher Form, wie es sich auf das Gedächtnis eines Freundes, eines Familienmitglieds oder eines Kollegen verlässt. Wir erinnern uns weniger an die Information an sich, sondern daran, wo wir diese Information finden können", zitierte das US-Magazin "Science" die Wissenschafterin. Es steht somit zu befürchten, dass Menschen in zunehmendem Maße auf das Internet als externes Gedächtnis angewiesen sind - auf Kosten ihres biologischen Erinnerungsvermögens.
Neben ausgeprägten Multitaskingfähigkeiten, Konzentrationsschwierigkeiten und Erinnerungslücken charakterisieren den durchschnittlichen modernen Beschäftigten auch eine weitere Eigenschaft: die Vorliebe für die virtuelle Kommunikation. "Im Bereich der Sozial- und Arbeitspsychologie gibt es viel Forschung zu diesem Thema", berichtet Monique Janneck, Professorin für Elektrotechnik und Informatik an der Fachhochschule Lübeck. "Die Kommunikation am Arbeitsplatz verändert sich allein schon dadurch enorm, dass viel mehr schriftsprachlich abläuft als gesprochen wird", weiß die Psychologin, die seit Jahren zur Mensch-Computer-Interaktion forscht. Durch die Globalisierung der Wirtschaft und die Internationalisierung vieler Arbeitsbereiche wird nicht zuletzt aus Kostengründen ein beträchtlicher Teil der Kommunikation in den virtuellen Raum verlagert. "Generell nimmt der persönliche Kontakt durch neue Medien ab. Man arbeitet nicht mehr so viel mit Kollegen und Partnern vor Ort zusammen, sondern ist verteilt über Regionen und Städte. Durch die neuen Techniken ist es möglich geworden, dass man auch mit Menschen zusammenarbeitet, die sie nicht kennen. Und man kann sehr effizient computervermittelt zusammenarbeiten", ist Janneck überzeugt.
Doch neben dieser räumlich bedingten Virtualisierung der Kommunikation ist zugleich zu beobachten, dass selbst der Informationsaustausch an ein und demselben Standort zunehmend auf den Computer und ins Internet verlagert wird. "Es gibt den Trend, dass Leute, die nur ins Büro nebenan gehen müssten, eher per E-Mail kommunizieren. Weil es bequemer ist", sagt die Psychologin. Ein Trend, dessen Auswirkungen nicht zu unterschätzen sind. "Man hat erkannt, dass Beschäftigte am Bildschirm zu vereinsamen drohen. Denn ganz ohne persönlichen Kontakt geht es eben nicht", sagt Janneck. In Teilen der Wirtschaft wäre dieses Phänomen bereits erkannt und mit Gegenmaßnahmen beantwortet worden: "Es gibt bereits eine Reihe großer Unternehmen, speziell in der IKT-Branche, die E-Mail-freie Tage eingeführt haben. Das bedeutet, dass man beispielsweise einmal in der Woche nicht elektronisch kommuniziert", berichtet die Wissenschafterin.
Einbußen beim Empathievermögen
Ein Erkenntnisprozess, der gar nicht schnell genug gehen kann. Denn neben der Vereinsamung sind es elementare menschliche Kommunikationstechniken, die drohen, auf der Strecke zu bleiben. "Immer mehr menschliche Interaktion findet im Internet statt, virtuelle Welten ersetzen die direkte menschliche Interaktion. Das führt auch dazu, dass man immer weniger in der Lage ist, bei Gesprächspartnern Emotionen durch Gesichtsausdrücke oder die Körpersprache zu erkennen ", betont Riedl, der diese Fähigkeiten als wesentlichen Bestandteil des menschlichen Empathievermögens bezeichnet. Eine Fähigkeit, die in Gesprächssituationen wiederum als Grundlage in der Vertrauensbildung gilt. Riedl befürchtet: "Haben wir diese für Face-to-Face-Situationen typischen Informationen nicht, fällt es uns schwerer, die Vertrauenswürdigkeit anderer Menschen einzuschätzen."
Natürlich ist zu erwarten, dass sich das menschliche Gehirn auch im Bereich der Kommunikation an die verändernden Bedingungen und Umstände zur Kommunikation anpasst. Doch das könnte mehr Zeit in Anspruch nehmen, als uns die Technik zugesteht: "Unser Gehirn lernt rasch, was die Anpassung an neue Gegebenheiten fördert ", sagt Riedl, relativiert jedoch umgehend: "Wir tragen in der modernen Welt trotz aller Anpassungen immer noch ein Steinzeitgehirn durch die Gegend, das auf Face-to-Face-Interaktion ausgerichtet ist."
So könnte man mit Egmont Kakarot-Handtke sagen, dass die Arbeit mit dem Computer zwar vielleicht nicht zwangsläufig dümmer machen muss. Aber klüger wohl auch nicht.
Artikel erschienen am 14. September 2012 in: "Wiener Zeitung", Beilage "Wiener Journal", S. 14-19