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Das Steuer-Phantom Werner Rydl

Von Peter Muzik

Wirtschaft

Er knöpfte dem Staat 116 Millionen Euro ab. | Vorwurf: Er habe mit Scheinfirmen Vorsteuer erschlichen. | Jetzt drohen bis zu zehn Jahre Haft. | Er hat einen Hang zu spektakulären Inszenierungen - sein Meisterstück ist immer noch als Online-Video auf YouTube verewigt: Im März 2002 verbrannte Werner Rydl am Strand der brasilianischen Stadt Recife genüsslich einen Haufen Banknoten. Als Zeichen des Protests gegen Österreichs Finanzbehörde ließ er vor laufender Kamera 290 Millionen Schilling in Flammen aufgehen.


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Der heute 52-Jährige, der im Mittelpunkt eines der größten Finanzskandale in Österreichs Kriminalgeschichte steht, soll sich in den Neunzigerjahren mit Scheinfirmen und Scheinprodukten um 116,3 Millionen Euro - damals 1,6 Milliarden Schilling - bereichert haben. Sein Akt umfasst mittlerweile rund 250.000 Seiten.

1,6 Mrd. Schilling durch "Steuer-Embargo"

Werner Rydl hat die letzten 14 Jahre in Brasilien verbracht; seit 2005 war er inhaftiert. Kürzlich ist er unfreiwillig und in Handschellen wieder nach Wien zurückgekehrt, wo ihm vermutlich nächstes Jahr der Prozess gemacht wird. Der gebürtige Niederösterreicher, dessen Lieblingssatz "Ich bin kein Betrüger" lautet, will mit der Finanz freilich lediglich "Meinungsverschiedenheiten" ausgetragen haben.

Der gelernte Chemiker aus Pottendorf hatte in Österreich laut eigenem Bekunden schlechte Erfahrungen gemacht: So wurde er Mitte der Achtzigerjahre wegen eines vermeintlichen Versicherungsbetrug zu zehn Monaten Haft verurteilt - angeblich ungerechtfertigt, weil sein Geständnis in der U-Haft erprügelt worden sei. Das schien ihn fortan zu prägen.

Rydl wurde Geschäftsmann und baute aus dem Nichts ein imposantes Firmengeflecht auf - darunter die in Pottendorf, Tattendorf und Wien ansässigen Firmen Fink GmbH, Lamprecht GmbH und Fruchtvertrieb GmbH. Alles in allem soll er Anfang der Neunzigerjahre 15 Unternehmen, bei denen er großteils stiller Gesellschafter war, mit insgesamt 250 Mitarbeitern kontrolliert und zu einem verwirrenden geschäftlichen Netzwerk formiert haben.

Schon 1989 hatte er der Finanzprokuratur hochoffiziell angekündigt, dass er fortan keine Abgaben mehr abführen werde. Was die Behörde offenbar als Meinungsäußerung eines Spinners nicht ernst genommen hat. Nur so ist es zu erklären, dass Rydls Firmen jahrelang nahezu unbehelligt weiterarbeiten durften und er dem Staat einen beträchtlichen Schaden zufügen konnte.

Die Binsenweisheit, dass man als Verkäufer einer Ware laut Umsatzsteuergesetz 20 Prozent vom Käufer zwar mitkassieren darf, diese Abgabe jedoch an die Finanz abführen muss, war ihm egal: Rydl tat das konsequent nicht. Im Laufe der Jahre kam er dank seines "Steuer-Embargos" in den Genuss von 1,6 Milliarden Schilling - in heutiger Währung 116 Millionen Euro.

Scheinfirmen mit teurer Schwindelware?

Der clevere Kaufmann, der sich beispielsweise mit Kosmetika, Baumaschinen oder Paddelbooten befasst hat, stellte eine erstaunliche Kreativität unter Beweis, was ihm später von Medien Spitznamen wie "Robin Hood" oder "Superhirn" einbrachte. Einer seiner Tricks: Über mehrere Scheinfirmen importierte er billige Waren nach Österreich, um diese mit meist gigantischem Preisaufschlag wieder zu exportieren. Dem Finanzamt wurden sodann die Rechnungen vorgelegt, womit er sich die Vorsteuer von 20 Prozent sicherte.

Der Vorwurf: Die Produkte seien - wie die Behörden etliche Jahre später herausfanden - stets nur einen Bruchteil dessen wert gewesen, was in den Fakturen aufschien und wurden oft "nur zum Zwecke des vorsätzlichen Vorsteuerschwindels in den Kreislauf geschickt" (Verwaltungsgerichtshof am 17. Oktober 2001). Die dargestellte Geschäftskette, zu der beispielsweise die Rydl gehörende brasilianische Intertrade Ltd. zählte, habe ebenso wenig den Tatsachen entsprochen wie die wertsteigernden Veredelungen. Kurz: Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Vorsteuer waren nicht gegeben.

Das hat Rydl, den Erfinder des "Handels ohne Mehrwertsteuerabgabe" (ein Ermittler), aber nie gestört: Er drehte seinen Abnehmern etwa Bienenhonig aus Uruguay als Gelée Royal an, deklarierte zersägte Ytong-Steine als Sintersteine und verkaufte billiges Rosenwasser als hochwertiges Parfum. Aber nicht nur (Schein-)Waren vermittelte er, sondern auch Zwischenhändler oder Endabnehmer - in den meisten Fällen war er das ohnedies selbst.

Partner für die angeblichen Supergeschäfte zu finden, war kein Problem - diese hatten wohl keine Ahnung, was gespielt wurde. Die Fink GmbH etwa handelte mit einem klebrigen, honigähnlichen Zeug, das für 172 Schilling pro Kilo importiert und nach einer "Veredelung" zu einem Preis wieder exportiert wurde, der 15.000 Prozent über dem wahren Wert lag.

Vermeintliche Sintersteine, die Rydl zu einem Nettopreis von 360.000 Schilling pro Kiste fakturierte, waren zersägte, mit grauem Lack gestrichene herkömmliche Ytong-Steine, die im Baustoffhandel 26 Schilling pro Quader gekostet hatten. Rydl stellte auch Stäbe aus einer Aluminiumlegierung her, die an einem Ende mit einem Gewinde versehen waren und als "Elektrodenmaterial" zu einem Exportpreis von 10.860 Schilling pro Stück fakturiert wurden. Die Ware funktionierte naturgemäß nicht im Ansatz und war praktisch wertlos.

Schließlich schickte er einmal 681 Liter Parfumöl aus Österreich an eine Firma in Montevideo und wieder zurück, wobei der Literpreis zunächst 113 Schilling betrug, sich jedoch - nachdem die Ware in andere Behälter verpackt wurde - auf 62.000 bis 130.000 Schilling erhöhte.

Ex-Partner pleite, Verwandte in Haft

Obwohl Werner Rydl in wenigen Jahren ein beträchtliches Vermögen angehäuft hatte, gelangte er zur Auffassung, dass es in Österreich "keine sinnvolle gesellschaftliche Entwicklung mehr gibt". Er brachte die entzogenen Steuermillionen im Ausland in Sicherheit, "um den Zugriff der österreichischen Finanz zu verhindern", und setzte sich Mitte 1995 nach Brasilien ab. Durch Heirat wurde er "begeisterter" brasilianischer Staatsbürger. Und lebte fortan mit seiner Angetrauten, die ihm zwei Kinder schenkte, in einem blauen Wohnturm. Ende 1997 brüstete er sich dem "Wirtschaftsblatt" gegenüber, dass er mit fast 150 Handelspartnern im EU-Raum zusammenarbeite. Aber: "Die Finanz weiß bestenfalls über 20 Prozent meiner Geschäfte Bescheid."

Sein starker Abgang aus Österreich - Rydls Unternehmen gingen großteils in Konkurs - wirkte sich auf seine früheren Geschäftspartner oft desaströs aus: Die Finanz verweigerte ihnen die Rückzahlung der vorfinanzierten Umsatzsteuer, weil sie annahm, dass sie mit Rydl unter einer Decke steckten - was rund 70 Ex-Partner in den Ruin trieb oder zumindest schwer schädigte.

Anfang 2002 wurde 17 Personen aus seinem Umfeld der Prozess gemacht, darunter seiner Mutter Erna und Bruder Rainer sowie einstigen Mitarbeitern. Ihre Nichtigkeitsbeschwerden vor dem Obersten Gerichtshof nutzten nichts, sie mussten jahrelange Haftstrafen absitzen oder fassten Geldstrafen zwischen 463.000 und 34,5 Millionen Euro aus. In den Verfahren ging es unter anderem um Abgabenhinterziehung, gewerbsmäßigen schweren Betrug und das Vergehen der Bandenbildung.

Die Urteile erzürnten Rydl dermaßen, dass er, wie eingangs geschildert, 290 Millionen Schilling in Recife verbrannte. Seine "persönliche Protestaktion" richtete sich gegen die "österreichische Finanzmafia mit ihrem Menschen verachtenden Verhalten". Der Neo-Brasilianer faselte in mehreren Videos obendrein über "nazistische Umtriebe in Österreich" und behauptete steif und fest, dass "die "Menschenrechte in diesem Land zum Teil massivst missachtet" würden.

Nach viereinhalb Jahren U-Haft die Auslieferung

2002 war in Österreich die Anklageschrift fertig und Rydl wurde per internationalem Haftbefehl gesucht. Es muss ihm riesigen Spaß bereitet haben, sich mit Postings auf der "Standard"-Homepage zu Wort zu melden und auf einer aggressiven eigenen Webseite seinen "Fall" ausführlich zu behandeln. Doch alsbald geriet er ins Visier der Fahnder des Bundeskriminalamts, die ihn jahrelang beschatteten und herausfanden, dass er nur eine "Scheinehe" führte.

Ende März 2005 - mittlerweile soll in Brasilien gegen ihn eine Anklage wegen Geldwäsche vorgelegen sein - wurde er auf dem Flughafen Brasilia festgenommen und ebendort in ein Gefängnis gesteckt. Rydl schöpfte sämtliche Rechtsmittel aus, um nicht ausgeliefert zu werden - so soll er versucht haben, sich adoptieren zu lassen.

Nach viereinhalb Jahren U-Haft gab der Oberste Gerichtshof in Brasilien grünes Licht für die Auslieferung. Österreichs meistgesuchter Steuerflüchtling landete am 15. September an Bord einer Lufthansa-Maschine und wurde in der Justizanstalt Josefstadt einquartiert. Für "schweren Betrug" drohen ihm bis zu zehn Jahre Haft - zumindest auf dem Papier.

Die schönsten Fluchtparadiese

Um einer Verfolgung durch die Justiz zu entgehen, setzten sich schon viele Österreicher ins Ausland ab. Ein paar Beispiele:

* Harald Loidl und Dietmar Böhmer, Ex-Chefs des pleitegegangenen Wiener Finanzdienstleisters Amis, hauten auf die venezolanische Ferieninsel Isla ab, wurden aber alsbald wieder nach Wien abgeschoben.

* Der Bankier Wolfgang Rieger steuerte eine andere Destination an: Der Chef des in die Pleite geschlitterten gleichnamigen Geldinstituts tauchte 1998 für gut drei Wochen in Südfrankreich unter, ehe er sich stellte.

* Der Ex-FPÖ-Abgeordnete Peter Rosenstingl setzte sich 1998 mit seiner Lebensgefährtin nach Brasilien ab. Er hatte bei missglückten Geschäften mit seinem Bruder mehr als 100 Millionen Schilling in den Sand gesetzt. Alsbald landete er allerdings im Gefängnis von Fortaleza und wurde nach Österreich ausgeliefert.

* Der Vorarlberger Bela Rabelbauer, der mit einer Parteispendenaffäre gestrauchelt war, setzte sich im November 1994 nach Thailand ab. 1996 wurde der "Mann mit dem Koffer" nach Österreich abgeschoben.

* Erwin Tautner, einstiger Chef der Pleitefirma Klimatechnik GmbH (ÖKG), flüchtete gleich zweimal nach Spanien: erstmals 1981 für ein Jahr - 1989 wurde er schließlich dort festgenommen. Die Behörden lehnten eine Auslieferung ab.

1992 starb Tautner, der den klingenden Namen Thomas Marquez Acosta angenommen hatte, bei einem Verkehrsunfall; ein Prozess konnte ihm nie gemacht werden.