Streitthema: Steuerliche Expertise als Kompetenz des Rechtsanwalts? | WU-Studium "Wirtschaftsrecht" ermöglicht Karriere als Rechtsanwalt. | Wien. Die derzeitige Wirtschaftskrise führt vielen Rechtsanwälten vor Augen, wie wichtig ein breit aufgestelltes Fachgebiets-Repertoire ist. Wer seinen Fokus bisher vor allem auf Börsengänge und Unternehmenskäufe legte, muss derzeit Auftragsflauten hinnehmen, sind sich große Rechtsanwaltskanzleien einig: Neue Nischen sind gefragt.
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Im Rahmen einer Podiumsdiskussion an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU) setzten sich Vertreter größerer Rechtsanwaltskanzleien mit dem Thema "Steuerliche Expertise als Kompetenz des Rechtsanwalts?" auseinander. Das Ergebnis: Steuerrecht soll in Zukunft mehr in den Vordergrund gerückt werden.
"Wenn nach der Krise die Steuern steigen, um den Staatshaushalt zu sanieren, bedeutet das viel zusätzliche Arbeit für Steuerrechtsexperten", glaubt Claus Staringer von der Rechtsanwaltskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer.
Auch Clemens Schindler, Partner bei Wolf Theiss Rechtsanwälte, ist der Ansicht: "Das Steuerrecht ist einer der wenigen Bereiche, der in den Kanzleien noch ausbaufähig ist. Wir wollen in Zukunft eigene Steuerrechtsmandate."
Innerhalb der Rechtsanwaltskanzleien wurde das Gebiet Steuerrecht bisher nur von wenigen Experten besetzt, für Spezialfälle holte man sich Steuerberater ins Haus. Die Vermutung, dass die bei der Diskussion vertretenen Anwälte durch ihren Fokus auf Steuerrecht den Steuerberatern das Kerngeschäft wegnehmen, teilt Staringer nicht. Er vergleicht das Verhältnis von Steuerberater und Rechtsanwalt mit dem eines praktischen Arztes zum Facharzt. Das Erstellen der Steuererklärung bliebe weiterhin in den Händen der Steuerberatungskanzleien. Überschneidungen gebe es maximal bei Umstrukturierungen und Unternehmenstransaktionen - etwa bei zehn Prozent der Fälle, so Staringer.
"Schuster soll beiseinen Leisten bleiben"
Kritik an diesem Vorhaben kommt von anderen Rechtsanwaltskanzleien: "Ein Schuster soll bei seinen Leisten bleiben", sagt Otto Wächter von Graf & Pitkowitz Rechtsanwälte. "Bei komplexen Steuerthemen kontaktieren wir den Steuerberater, genauso wie dieser zu uns kommt, wenn er juristischen Rat benötigt."
Aus Sicht der Rechtsanwaltskammer "bleibt es jedem Anwalt selbst überlassen, auf welche Bereiche er sich spezialisieren will". "Mit jeder zivilrechtlichen und gesellschaftsrechtlichen Frage sind auch steuerliche Fragen verbunden", sagt Gerhard Benn-Ibler, Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages. Er fügt jedoch kritisch hinzu: "Eine Steuerberatung wird ein Anwalt nur ausüben, wenn er fachlich qualifiziert ist."
Und genau an diesem Punkt scheiden sich die Geister. Dass die steuerliche Expertise des Rechtsanwalts von manchen Kunden, aber auch von Steuerberatern bisher angezweifelt wurde, hat laut Michael Lang, Leiter des Instituts für Österreichisches und Internationales Steuerrecht an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU), einen simplen Grund: Beim Studium an einer rechtswissenschaftlichen Universität spiele das Steuerrecht bis dato eine untergeordnete Rolle. Wer hingegen an der WU Steuerrechtsseminare besuchte, war wiederum nicht berechtigt, den Weg in Richtung eines Rechtsanwaltes einzuschlagen.
Das ist mittlerweile Vergangenheit. Seit 2007 bietet die WU das Masterstudium "Wirtschaftsrecht" an. "Absolventen des Lehrgangs erfüllen die Voraussetzungen für das Ergreifen juristischer Kernberufe", heißt es dazu auf der Instituts-Homepage.
Benn-Ibler heißt diesen Ausbildungsweg für gut, wenn "sichergestellt ist, dass juristische Kernfächer gelehrt und geprüft werden". Laut Auskunft der Rechtsanwaltskammer erfüllt die Wirtschaftsuniversität diese Voraussetzungen.
Dass das Steuerrecht "eine untergeordnete Rolle" beim Studium an einer Rechtsuniversität einnimmt, weist Werner Doralt, Vorstand des Instituts für Finanzrecht an der Universität Wien, von sich. "Die maßgeblichen steuerrechtlichen Grundlagen bekommen Absolventen hauptsächlich an einer juristischen Fakultät vermittelt."