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Das Sticherl für mehr Freiheit?

Von Martina Madner

Politik

Noch sind zu wenig Menschen gegen Covid-19 geimpft - aber soll es nun für die, die es bereits sind, weniger Beschränkungen geben?


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Eigentlich ist es noch zu früh für die Diskussion: In Österreich haben gerade einmal 189.926 Personen die erste Dosis eines Covid-19-Impfstoffs erhalten, das sind 2,13 Prozent der Bevölkerung. Da aber mit laufend mehr verfügbarem Impfstoff immer mehr Personen immunisiert sein werden, dürfte sich die Frage stellen, ob für alle, also Geimpfte, jene mit Antikörpern und jene ohne Impfung, weiterhin die gleichen Kontaktbeschränkungen, Schutzvorkehrungen und Zugangsbeschränkungen gelten sollen.

Oder anders gefragt: Sollten jene, die sich für das Sticherl gegen eine Covid-19-Ansteckung entscheiden, alle Freiheiten früher zurückerhalten als jene, die sich dagegen entscheiden?

Keine Sonderregelungen für Geimpfte in Deutschland

In Deutschland beantwortete der Ethikrat diese Frage zum aktuellen Zeitpunkt und für die nahe Zukunft mit einem Nein. Der Deutsche Ethikrat hat sich gegen staatliche Sonderregeln für Corona-Geimpfte ausgesprochen. Alena Buyx, die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, nennt die Unsicherheit, ob man auch nach einer Impfung weiterhin andere anstecken könne, als Hauptgrund für die Empfehlung an die Politik im Moment keine Sonderregelungen für Immunisierte zu ermöglichen. Solange nicht alle Menschen die Chance auf eine Impfung hätten, würden solche Sonderregelungen auch als ungerecht empfunden, ergänzte Sigrid Graumann, Sprecherin der AG Pandemie des Ethikrates: "Wir müssen noch eine geraume Zeit mit Kontaktbeschränkungen leben."

Wobei der stellvertretende Vorsitzende dieses politisch verantwortlichen beratenden Gremiums, Volker Lipp, darauf hinweist, dass private Unternehmen davon abweichende Regelungen treffen könnten, sofern bestimmte Aktivitäten grundsätzlich rechtlich wieder erlaubt sind. Auch die besonders strikten Besuchsbeschränkungen in Pflege- und Altenheimen sollten laut Ethikrat gelockert werden, sobald die meisten Bewohnerinnen und Bewohner geimpft sind. Eine arbeitsrechtliche Impfpflicht ist für den Ethikrat in Deutschland allerdings nicht vorstellbar.

In Österreich gibt es für die Covid-19-Schutzimpfung keine "Impfpflicht", schon gar keinen Zwang, auch bei anderen Impfungen nicht: "Niemand wird von der Wega mit Hunden zum Arzt verbracht werden, der einem dort das Sticherl zwangsweise verabreicht", sagt Staatsrechtler Bernd-Christian Funk. Er sagt aber auch, dass "außer Streit steht, dass der Gesetzgeber Impfnachweise oder Tests für bestimmte Bereiche verlangen kann, wenn deren Betrieb generell erlaubt ist."

"Impfpflicht" im Sinne der Verpflichtung zu Solidarität

Private Unternehmen könnten ihren Kunden etwa für Veranstaltungsbesuche, Flugreisen, selbst Friseurbesuche darüber hinausgehende Bedingungen für ein Geschäft "verordnen". "Nur wenn es das virologische Geschehen rechtfertigt und sie beispielsweise vorab Bezahltes wieder zurückerstatten." Das hänge also von Gefahrensituation insgesamt ab, ob Nichtgeimpfte zum betreffenden Zeitpunkt überhaupt eine Gefahr darstellen und andere Mittel - etwa Schutzmasken und Abstand - nicht ebenfalls genügend Schutz bringen.

Auch für die Ausübung bestimmter Berufe dürfen Staat und auch Arbeitgeber der Bevölkerung Bedingungen auferlegen, ein Führerschein ist etwa Pflicht für Lkw-Lenkende. Ob das auch künftig bei einer Covid-19-Impfung so sein kann "und auch soll, vor allem für jene in bestehenden Dienstverhältnissen", hält Funk aber für fraglich.

Die Philosophin Lisz Hirn nennt die Gelbfieberimpfung als Einreisebedingung in manche Länder als Beispiel. "Ich habe dabei zwar das Recht, diese Impfung abzulehnen, es wäre aber absurd, dann nicht die Konsequenz, eben nicht einreisen zu können, nicht tragen zu wollen." Hirn hält solche Beschränkungen "für vertretbar, wenn meine individuelle Freiheit Folgen für ein ganzes Kollektiv haben kann. Meine Freiheit endet an der Grenze, wo ich jene anderer beschränke."

Zugleich sei es problematisch, wenn Impfungen die Voraussetzung für den Zugang zu öffentlichen Einrichtungen wären, etwa Museen. "Eine Bestrafung in Form eines Ausschlusses von öffentlichen Leistungen wäre moralisch bedenklich und übergriffig, weil sie das Tor für weitere Bereiche öffnet." Zum Beispiel ob man nach Risikosportunfällen, Rauchen und anderen Süchten oder Übergewicht die gleiche kostenlose medizinische Behandlung erhält wie alle anderen auch.

Christiane Druml, Vorsitzende der Bioethikkommission, dem österreichischen Pendant zum Deutschen Ethikrat, erklärt, dass es nicht nur um die Freiheit des Einzelnen, sich nicht impfen lassen zu wollen, sondern um die Freiheit aller, wieder zur wirtschaftlichen und sozialen Normalität zurückzukehren, geht. "Individuelle Freiheit ist ohne Verantwortung für andere zu tragen in einer Solidargemeinschaft undenkbar. Es geht nicht nur darum, ob ich persönlich die Folgen der Krankheit in Kauf nehme, sondern darum, wie ich andere belaste." Es gehe auch um die Frage der Fairness, wenn etwa zu viele Impfunwillige mit Covid-19-Erkrankung Intensivbetten belegen, die auch jene nach Hirnblutungen, Herzinfarkten oder Unfällen benötigten.

Bioethikkommission empfiehlt Belohnung für Geimpfte

Je harmloser der Eingriff für Einzelne, je gefährlicher die Krankheit, je größer der Nutzen einer Impfpflicht ist, desto eher erscheint der Bioethikkommission der Eingriff in die körperliche Integrität des Einzelnen gerechtfertigt. Bei Masern mit einem lange bekannten und gut verträglichen Impfstoff sei eine Impfpflicht trotz Eingriffs in die Grundrechte im Sinne der öffentlichen Gesundheit "akzeptabel", sagt Druml. Bei Covid-19-Impfstoffen sei eine allgemeine Verpflichtung noch nicht zu rechtfertigen. Wohl aber empfiehlt die Bioethikkommission "Belohnungen" für Geimpfte, sobald Impfstoffe nachweislich auch Ansteckungen Anderer ausschließen. Das aber gibt die Forschung im Moment noch nicht her.