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"Das Stigma ist sehr groß"

Von Alexandra Laubner

Politik
© Jenis

Ewald Lochner ist Wiens neuer Koordinator für Psychiatrie, Sucht- und Drogenfragen.


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Wien. Das Themengebiet ist nicht neu für ihn: Ewald Lochner ist seit elf Jahren im Bereich der Sucht- und Drogenkoordination tätig - zuletzt war er kaufmännischer Leiter der Psychosozialen Dienste. Als neuer Sucht- und Drogenkoordinator übernimmt Lochner auch die Koordination für den Bereich Psychiatrie. Der 46-Jährige möchte die Kinder- und Jugendpsychiatrie ausbauen, kündigt zusätzliche Maßnahmen zum Alkoholverbot am Praterstern an und kann sich eine Legalisierung von Cannabis unter bestimmten Voraussetzungen vorstellen.

"Wiener Zeitung": Wie oft wurden Sie in Interviews gefragt, welche Sucht Sie denn hätten?Ewald Lochner: Bis jetzt nur einmal.

Und wie lautete die Antwort?

Was meine Person betrifft, würde ich von keiner Sucht sprechen. Ich bin der Meinung, dass grundsätzlich nicht jedes Verhalten, das man an den Tag legt, eine Sucht darstellt.

Sie haben vor zwei Monaten das Amt übernommen. War es überraschend für Sie, dass nun auch die Psychiatrie zu Ihren Agenden zählt?

Es ist eine logische Konsequenz. Ende 2016 gab es einen einstimmigen Landtagsbeschluss, wo die Rahmenbedingungen festgelegt wurden, wie die Psychiatrie der Zukunft in Wien aussehen soll. Und da war klar, dass es eine Koordinationsfunktion brauchen wird. Fakt ist auch, dass Sucht, in erster Linie Alkohol, eine Auswirkung einer psychiatrischen Krankheit sein kann.

Sie sind für viele Themen zuständig. Welche Prioritäten setzen Sie?

Dass es weniger kranke Menschen im Bereich psychischer Erkrankung gibt. Derzeit erreichen wir nur ein Drittel der Menschen, da das Stigma noch sehr groß ist.

Wie soll eine Entstigmatisierung erfolgen?

Voraussetzung ist, dass es gute Behandlungssysteme gibt, die die Menschen in unterschiedlichen Lebenswelten in Anspruch nehmen können. An dem arbeiten wir derzeit intensiv. Der nächste Schritt wäre dann, den Menschen bewusst zu machen, dass eine psychische Erkrankung eine Erkrankung wie jede andere ist, die man auch behandeln kann.

Wien wird, was die psychiatrische Versorgung betrifft, in drei Großregionen organisiert sein. Wie weit ist das Konzept vorangeschritten?

Was die Erwachsenenpsychiatrie betrifft, ist die Regionalisierung schon gegeben.

...abgesehen vom Krankenhaus Nord...

Das Krankenhaus Nord wird dann noch hinzukommen. Insgesamt wird es zu einer klaren Aufgabenverteilung zwischen dem stationären und dem ambulanten Bereich kommen.

Es wird immer wieder Kritik laut, dass zahlreiche Plätze in der Kinder- und Jugendpsychiatrie fehlen. Was passiert in diesem Bereich?Wir müssen die Kinder- und Jugendpsychiatrie ausbauen, im Bereich der stationären, aber auch im Besonderen in der ambulanten Versorgung. Wir haben mit der Gebietskrankennkasse vereinbart, dass wir nächstes Jahr ein weiteres Ambulatorium im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie eröffnen werden.

Wo wird das sein?

Wir schauen uns gerade verschiedene Standorte an.

Wie viele Plätze entstehen damit?

Pro Jahr werden zwischen 500 und 600 Kinder behandelt werden können.

Wie viele Kinder und Jugendliche können derzeit betreut werden?

Aktuell haben wir in Ambulatorien 500 Plätze. Ab Jänner werden auch im stationären Bereich im Neurologischem Zentrum Rosenhügel zusätzliche Betten geschaffen, wie auch im Krankenhaus Nord, das im nächsten Jahr in Betrieb gehen soll. Eine ganz kurzfristige Lösung ist, dass 15 Betten im Krankenhaus Hietzing bereitgestellt wurden. Das ist eine Überbrückung, bis der Umbau am Rosenhügel fertig ist.

Nach jahrelangen Diskussionen, bei der sich die SPÖ immer dagegen ausgesprochen hat, hat der neue Bürgermeister Michael Ludwig Ende April ein Alkoholverbot am Praterstern verkündet. Was halten Sie von dieser Law-and-Order-Maßnahme?

Im Bereich Sucht und öffentlicher Raum ist der zielführende Weg immer eine Kombination aus repressiven Maßnahmen und Maßnahmen, die im Bereich der Medizin oder der Sozialarbeit angesiedelt sind.

Hat Sie die Entscheidung über das Alkoholverbot verwundert?

Politik ist dazu da, zu entscheiden. Es ist so, wie es ist und es ist damit umzugehen. Wir haben auch zusätzliche Maßnahmen gesetzt. Die Sozialarbeit wurde verstärkt, viele Personen werden an die Wohnungslosenhilfe vermittelt und die medizinische Versorgung wird kontinuierlich verbessert. Wir schauen uns an, wie sich die Situation entwickelt und welche Maßnahmen zukünftig notwendig sein werden.

Gibt es einen Zeitplan?

Wir gehen davon aus, dass wir die Maßnahmen wie beispielsweise eine verbesserte medizinische Versorgung von alkoholkranken Wohnungslosen gegen Ende des Jahres einleiten können.

Stehen weitere Plätze abgesehen vom Praterstern im Fokus?

Bei uns sind, was das Thema Sucht betrifft, immer alle Plätze im Fokus. Wir schauen uns die Beschwerdelage in den Bezirken an.

Wie ist die Situation momentan entlang der U6?

Die Situation ist aus unserer Perspektive gut. Dass es entlang von U-Bahnen, und das betrifft nicht nur die U6, zu Handel von illegalen Substanzen kommt, ist Teil einer Großstadt. Damit muss man umgehen, deswegen arbeiten wir auch eng mit der Polizei zusammen. Wenn Probleme auftreten, wird der Einsatz von Polizisten und von Sozialarbeitern vor Ort verstärkt.

Welche Verbote machen in der Suchtprävention Sinn und wie stehen Sie zur Cannabis-Freigabe?

Ein Faktor bei einer Suchterkrankung ist die Verfügbarkeit der Substanz. Bei vielen Verboten ist es aber nicht mehr ganz so der Fall. Das größte Problem in Österreich haben wir mit Alkohol, gefolgt von Nikotin. Bei Cannabis merken wir einen gesellschaftlichen Wandel und dass immer mehr Menschen zugeben, Cannabis zu konsumieren. Jeder, der ein Medikament zu sich nimmt, weiß, was drinnen ist. Wenn wir das auch für die medizinische Anwendung von Cannabis sicherstellen können, dass jede Person, die das verschrieben bekommt oder konsumiert, die Inhaltsstoffe nachlesen kann, dann ist das ein Weg, den man gehen kann.

Was erwarten Sie von Wiens neuem Bürgermeister Michael Ludwig?

Eine Fortsetzung der Drogen- und Suchtpolitik, die wir bisher gemacht haben, aber auch eine gute psychiatrische Versorgung in Wien zu forcieren.