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Das stille Sterben des Kleingewerbes

Von Gerhard Poschacher

Gastkommentare

Den Strukturwandel in der Landwirtschaft begleitet das Zusperren von Fleischereien, Bäckereien und Mühlen.


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An das "Höfesterben", wie besorgte Agrarfunktionären den fortschreitenden Strukturwandel in der Landwirtschaft bezeichnen, hat sich die Gesellschaft gewöhnt. Der stille Tod von Kleingewerbe (Fleischereien, Bäckereien) und Wirtshäusern löst aber nach wie vor öffentliche Diskussionen aus und bereitet Bürgermeistern große Sorgen. Die Ausdünnung der Ortskerne, die gefährdete Nahversorgung und die zunehmende Bodenversiegelung durch die Errichtung von Supermärkten auf Grünflächen an Ortsrändern wurden zum Prüfstein für die Politik.

Noch in den 1950ern gab es in Österreich rund 430.000 bäuerliche Familienbetriebe; beim EU-Beitritt 1995 waren es 240.000; aktuell sind es keine 150.000. Längst dominiert der Nebenerwerb als Überlebenschance kleinerer Betriebe, insbesondere in Tourismusregionen. In den Gunstlagen werden die Betriebe größer, aber fortlaufend weniger. Den Strukturwandel in der Landwirtschaft begleitet das Aussterben des Kleingewerbes. Die Bauern verlieren wichtige Partner für die Direktvermarktung. Das durch Corona zusätzlich befeuerte Zusperren von Wirtshäusern führt dazu, dass in ländlichen Gemeinden gesellschaftliche Zusammenkünfte oft nur noch in Feuerwehrhäusern, bei Musikvereinen oder Sportplatzkantinen möglich sind.

In Niederösterreich hat das Schließen des letzten Fleischhackers im Bezirk Lilienfeld mit 26.000 Einwohnern die Diskussion über den Preiskampf zwischen Lebensmittelhandel und Kleingewerbe verschärft. In den vergangenen 15 Jahren hat in Österreich jede vierte Fleischerei zugesperrt. Im größten Agrarland Niederösterreich waren nach dem EU-Beitritt 1995 noch mehr als 4.000 Menschen in den Fleischereien beschäftigt; aktuell sind es nur noch 2.600. Die gesamte Wertschöpfungskette von der Schlachtung über die Zerlegung bis zur Fleischverarbeitung unterliegt einem starken Wettbewerb und beschleunigt den strukturellen Anpassungsprozess. Die Umsatzerlöse mit insgesamt 853 (2019: 870) Unternehmen in Österreich liegen bei etwa 4,6 Milliarden Euro pro Jahr. Die Zahl der Beschäftigten ist rückläufig: 2019 waren es etwa 18.000, 2020 nur noch 13.000.

Stabile Molkereibranche

Nach dem EU-Beitritt hat sich vor allem die Verarbeitungsstruktur im Mühlensektor einschneidend geändert. In den 1980ern waren noch rund 300 Mühlen - davon 160 kleine - in Betrieb. Zurzeit vermahlen laut Agrarmarkt Austria (AMA) nur noch 92 Mühlen - davon 35 Kleinmühlen - pro Jahr weniger als 500 Tonnen Getreide. Insgesamt wurden 2020 in Österreich 846.700 Tonnen Brotgetreide (Weizen, Roggen, Dinkel) verarbeitet, wobei auf 29 Großmühlen fast 95 Prozent der Vermahlung entfallen. Die zehn größten Mühlen vermahlen jährlich jeweils mehr als 65.000 Tonnen.

Die Pandemie hat die Liebe zum Backen vergrößert. Im Frühjahr 2020 wurde laut AMA um 25 Prozent mehr Getreide vermahlen als ein Jahr zuvor. Nun ist aber ein deutlicher Einbruch der Nachfrage zu spüren, was auch auf die Schließung von Gastronomie und Hotellerie zurückzuführen ist. Etwa 1.450 Bäckereien mit 21.000 Mitarbeitern erwirtschafteten 2020 einen Umsatz von 1,74 Milliarden Euro. Ökonomisch geraten sie aber immer mehr durch Backeinrichtungen in den Lebensmittelketten in Bedrängnis.

Die Molkereiwirtschaft bleibt hinsichtlich ihrer Struktur in den vergangenen Jahren relativ stabil. Fusionen sind vorerst nicht aktuell, eher schon Kooperationen. Die beiden größten Molkereien, Bergland und NÖM, sind die dominanten Unternehmen mit zusammen rund 1,4 Milliarden Euro Umsatz. Insgesamt beschäftigt die Branche mit 103 Betriebsstätten (2019: 109) rund 5.000 Arbeitnehmer. Jährlich werden mehr als 3 Millionen Tonnen Milch verarbeitet.

Die Molkereien haben aber mit Kostensteigerungen zu kämpfen und sind in einer ökonomischen Zwickmühle: Einerseits ist der Druck der Bauern auf die Anhebung der Erzeugerpreise groß, anderseits hält sich die Bereitschaft der Lebensmittelketten, den Molkereien nachweisbare Kostensteigerungen abzugelten, in Grenzen. Besonders stark gestiegen sind die Kosten bei Verpackungskartons, Bechern, Energie und Aludeckeln, während sich für die Bauern die Kraftfutterpreise verteuert haben. Obwohl der Lebensmittelhandel zu den Krisengewinnern zählt, ist die Gesprächsbereitschaft nicht sehr ausgeprägt, beklagen Funktionäre der Landwirtschaftskammern und Molkereiwirtschaft.

Nahversorgung sichern

Die Sicherung der Nahversorgung, die in kleineren Orten oft nur noch mit Dorfläden, von Ehrenamtlichen betreut, insbesondere für ältere Menschen möglich ist, sowie fehlende Jobs und Ärzte, sind große Herausforderungen für die Kommunalpolitik. Die Ausgaben für die Pflege, fehlende Bildungseinrichtungen und die Auflösung der Pfarren und deren Eingliederung in größere Verbände beeinträchtigen neben dem Verschwinden des Kleingewerbes das soziale Zusammenleben auf dem Land. Ortschefs fühlen sich mit ihren Problemen oft allein gelassen, sind mit ihrer sozialen Absicherung unzufrieden und haben mit großen Mehrfachbelastungen neben politischer Arbeit, beruflicher Tätigkeit und Verantwortung für die Familie zu kämpfen.