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Das Strukturproblem der ÖVP

Von Martin Tschiderer

Politik

Die gesammelten Vorwürfe um versteckte Parteifinanzierung und Postenschacher in der ÖVP zeigen: Das Problem ist auch ein strukturell-österreichisches.


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Die ÖVP kommt nicht zur Ruhe. Seit dem Losbrechen der Ibiza-Affäre, die sich zunächst vor allem auf die FPÖ auswirkte, ging es mit etwas Zeitverzögerung Schlag auf Schlag für die Volkspartei. Besonders die aufgetauchten Handy-Chats von Ex-Öbag-Chef Thomas Schmid und dem einstigen Kabinettschef mehrerer ÖVP-Innenminister, Michael Kloibmüller, trugen dazu bei. Und dann gab es da noch unabhängig davon aufgepoppte Angelegenheiten. Wie verworren - und umfangreich - die zahlreichen Affären und Ermittlungsstränge sind, illustrierte diese Woche besonders plastisch.

Da war die Selbstanzeige des Vorarlberger Wirtschaftsbunds, einer ÖVP-Teilorganisation, die große Geldsummen an die Mutterpartei weitergeleitet haben soll, ohne sie zu versteuern. Die beiden Chefs – einer davon ist auch Präsident der Vorarlberger Wirtschaftsakammer – gaben am Freitag ihre Rücktritte bekannt. Funktioniert haben soll das System über Inserate im hauseigenen Magazin, zu denen Kammer-Mitglieder und auch einzelne Unternehmen mit informellem Druck gedrängt worden seien. Neben einer erheblichen Steuerfrage geht es also um den Vorwurf der versteckten Parteienfinanzierung über eine Art von Inseraten-Korruption – oder wie die "Kleine Zeitung" es in einem Leitartikel nannte: ein "Schutzgeld-Schema".

Dann war da der Paukenschlag über Ermittlungen wegen Amtsmissbrauchs gegen Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP), pikanterweise auch Vorsitzender im ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss. Der Aufforderung aller anderen Parlamentsparteien, inklusive des grünen Koalitionspartners, den Vorsitz niederzulegen, wollte Sobotka weiterhin nicht nachkommen. Hintergrund ist eine Postenbesetzung: Andrea Jelinek soll von der ÖVP als Vize-Landespolizeidirektorin Wiens verhindert worden sein, weil man sie als SPÖ-nahe einstufte - Sobotka bestreitet das. Es geht also um den Vorwurf von Postenschacher und Parteibuchwirtschaft.

Und dann war da noch die Suspendierung und Anklage gegen den Chef der Oberstaatsanwaltschaft Wien, Johann Fuchs. Hier wird wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses ermittelt. Demnach könnte Fuchs dem inzwischen suspendierten Sektionschef im Innenministerium, Christian Pilnacek, Infos über die Lage in Verfahren, etwa in der Causa von Ex-Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP), zugetragen haben.

Machtmissbrauch zum Vorteil einer Partei

Am Donnerstag wurde auch noch Ex-Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) im U-Ausschuss befragt. Ihm wird vorgeworfen, dem befreundeten Unternehmer Michael Tojner eine Hausdurchsuchung verraten zu haben. Belastet wird er dabei ebenfalls durch Chats - mit Pilnacek. Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung. In den Causen Fuchs/Pilnacek/Brandstätter geht es im Kern also um parteinahe Beamte und ihren mutmaßlichen Nutzen für die ÖVP. Wobei sich von selbst versteht, dass die Beamten nicht zufällig an den Stellen saßen, an denen sie eben saßen.

Die gesammelten türkisen Affären schaden der Partei nicht nur massiv in den Umfragen, wo die ÖVP seit den Höchstwerten zu Pandemiebeginn mehr als 20 Prozentpunkte verlor. Sie zeigen auch deutlich: Die ÖVP hat ein strukturelles Problem in den Bereichen versteckte Parteifinanzierung, Parteibuchwirtschaft und Postenschacher, das nicht zuletzt auch eines ist: sehr strukturell österreichisch. Gibt es also eine verbindende Klammer über all die Fälle?

"In allen Causen wurden partikulare Interessen auf dem Rücken der breiten Öffentlichkeit vorangetrieben", sagt der Transparenz- und Anti-Korruptionsexperte Mathias Huter vom Forum Informationsfreiheit. Es gehe um den Missbrauch von anvertrauter Macht und öffentlichen Ressourcen zum Vorteil einer Partei. "Es ist der Vorwurf der Korruption im weitesten Sinne."

Im Hintergrund steht für Huter auch ein Problem mangelnder Transparenz. Das zeige sich etwa daran, dass die meisten Causen durch Zufälle - wie ein ins Wasser gefallenes Handy Kloibmüllers - oder Medienrecherchen ans Tageslicht kamen. Und nicht etwa, weil die institutionelle Kontrolle, die "Checks and Balances" der politischen Systeme, so gut funktionieren würden.

Versteckte Parteienfinanzierung soll das jüngst auf den Weg gebrachte neue Parteiengesetz mit schärferen Transparenzregeln erschweren. So soll der Rechnungshof künftig Einblick in Parteifinanzen bekommen, Spenden sollen besser nachvollziehbar werden. Geldflüsse an Parteien über Inserate wie im Fall des Vorarlberger Wirtschaftsbunds wären aber auch mit der Gesetzesnovelle kaum besser erkennbar. In den Parteibilanzen stehe dann "vielleicht so etwas wie ‚Einnahmen aus wirtschaftlicher Tätigkeit‘", sagt Huter. Aber nicht, um welche wirtschaftliche Tätigkeit es genau geht.

Kein Straftatbestand für illegale Parteienfinanzierung

Gesetzlich zu unterbinden, dass Firmen im öffentlichen Eigentum über Inserate und Sponsoring Gelder an Parteien "verschieben" können, wäre daher sinnvoll, sagt der Experte. Was zudem nach wie vor fehle, sei ein Straftatbestand der illegalen Parteienfinanzierung. Der würde abschrecken, meint Hutter.

Eine österreichische Besonderheit ist, dass Parteien hierzulande sehr breit aufgestellt sind - inklusive oft üppiger wirtschaftlicher Tätigkeiten. Im Bündesystem der ÖVP bildet sich das besonders exemplarisch ab. Das mache anfällig für illegale Parteienfinanzierung und Korruption, sagt Hutter.

Und auch die sprichwörtliche heimische Packelei und Freunderlwirtschaft bei Postenbesetzungen hat strukturelle Hintergründe, wie ein am Donnerstag veröffentlichter Rechnungshofbericht offenlegt: Die Bestellung von Aufsichtsräten durch den Bund sei "unzureichend". In den drei überprüften Ressorts - Wirtschafts-, Finanz- und Verkehrsministerium - gab es "keine objektiven, transparenten, definierten und nachvollziehbaren Prozesse" für die Auswahl von Aufsichtsräten, so der Bericht. Viele Aufsichtsräte seien Mitarbeiter der Ministerien gewesen. Daraus entstehende Interessenskonflikte seien aber nicht geprüft worden.