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Das süße Brot der Mönche

Von Uschi Schleich

Reflexionen

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Im blauen Jugendstilhaus am Mariazeller Hauptplatz herrscht adventlicher Hochbetrieb. Direkt gegenüber der mächtigen Basilika befindet sich die Lebzelterei Pirker und produziert auf Hochtouren: Elisenlebkuchen, Honiggebäck und herrliches Früchtebrot. Wer im vorderen Teil des Gebäudes, in der dazugehörigen Kaffeekonditorei, gemütlich seine Melange schlürft, dazu eine der köstlichen Torten nascht und die dicken Schneeflocken beobachtet, die draußen vom Himmel fallen, ahnt nichts von der Hektik, die sich hinten in der Backstube abspielt. Denn was nach vorne ins Kaffeehaus dringt, riecht nicht nach Arbeit, sondern sehr heimelig: Es ist der einzigartige Duft der unzähligen Gewürze und der Geruch von heißem Honig.

70 Tonnen Honig werden in der Lebzelterei Pirker Jahr für Jahr zu Lebkuchen verarbeitet. Und zwar händisch. Rund fünf Dutzend Mitarbeiter sind mit der Herstellung des begehrten Honigkuchens beschäftigt. Sie kneten den herrlich duftenden Teig, rollen ihn aus, stechen in atemberaubender Geschwindigkeit Lebkuchenformen aus und verzieren die fertig gebackenen Kuchen mit der Präzision von Schweizer Uhrmachern. Trotzdem sieht jeder Lebkuchen ein bisschen anders aus. Das ist eben das Markenzeichen von Handarbeit.

"Eine ruhige Hand brauchst schon", schmunzelt die junge Bäckerin, während sie einen fertig gebackenen Lebkuchenstern nach dem anderen mit Girlanden aus Zuckerguss verziert. In einer anderen Ecke der Backstube werden gerade die mit Marzipan und Fruchtgelee gefüllten Lebkuchenwürfel in belgische Schokolade getunkt. Und gleich daneben verteilt eine andere Bäckerin mit Windeseile fünf auffallend große Mandelstücke auf die vor ihr liegenden Lebkuchenfladen. Der sogenannte Fünfmandler ist der Klassiker unter den Mariazeller Lebkuchen.

Auch im Vorraum geht es rund

Die mit Marzipan geschmückten Lebkuchenbäume werden in hübsche handgefertigte Tannenbaumboxen aus Karton geschlichtet und mit roten Schleifen zugebunden, die Fünfmandler in Zellophan verpackt und runde Elisenlebkuchen in traditionelle Dosen mit handgemalten Motiven von anno dazumal gesteckt.

Apropos anno dazumal: Die Geschichte des Lebkuchens ist alt. Sehr alt sogar. Woher er genau stammt, ist nicht ganz eindeutig zu erkunden. Die fantastische Mischung aus Honig, Eiern, Mehl und Gewürzen scheint an vielen Orten der Welt unabhängig voneinander erfunden worden zu sein. Einige Forscher sehen den Ursprung des Lebkuchens in der T'ang-Dynastie im alten China. Dort wurde im 10. Jahrhundert ein Lebkuchen aus Weizenmehl und Honig als mi-king bezeichnet. Von China soll die Lebkuchentradition, so jedenfalls die Theorien, in der Folge über die Turkvölker an die Araber weitergegeben worden sein. Die Kreuzfahrer sollen das Backwerk später nach Europa gebracht haben. Der Lebkuchen ist aber wohl noch viel älter und fast so eng mit der Kulturgeschichte des Menschen verbunden wie unser tägliches Brot. Die ältesten Honigkuchen, die wir kennen, hat man aus einem 4000 Jahre alten ägyptischen Felsengrab geborgen, der letzten Ruhestätte von Pepionkh dem Mittleren. Die alten Ägypter haben die Grabbeigabe in einer Art Konservendose verpackt, so dass sie auch nach Jahrtausenden erhalten geblieben ist.

Spuren in die graue Vorzeit

Vor wenigen Jahrzehnten wurden in einem mesopotamischen Königspalast Backformen aus der Zeit um 2000 v. Chr. ausgegraben. Man ist sicher, dass das Backwerk, das in ihnen geformt wurde, unserem heutigen Lebkuchen sehr ähnlich war. Und im alten Griechenland gab man den Soldaten Honigkuchen mit, mit denen sie sich für den Kampf stärken sollten. Man opferte sogar den Göttern Honigkuchen. Auch der Höllenhund Zerberus soll mit ihnen besänftigt worden sein.

Doch nicht nur über seinen definitiven Ursprungsort, sondern auch darüber, woher der Lebkuchen seinen Namen hat, sind sich die Forscher nicht einig: Von Leben leitet sich Lebkuchen jedenfalls nicht ab. Als Ursprung wird eher das lateinische libum für Fladen bzw. Opferkuchen oder das deutsche Wort Laib angenommen. Nicht einfacher gestaltetet sich die Spurensuche beim berühmten Elisenlebkuchen: Der trägt seinen Namen zwar erst seit rund 100 Jahren, doch auch hier ist unklar, woher dieser stammt.

Da gibt es zum einen die Geschichte von der schönen Lebzelterstochter Elisa, die 1864 im Alter von nur 17 Jahren starb und deren Vater seine zartesten Lebkuchen zum Andenken an seine Tochter Elisenlebkuchen benannte. Zum anderen existiert aber auch eine Fama, die besagt, dass sich der Name auf eine Burggräfin Elisa aus Brandenburg bezieht, die immer nur den besten Nürnberger Lebkuchen zugeschickt bekam. Als die wahrscheinlichste Variante gilt allerdings, dass die köstliche Spezialität zu Ehren der Heiligen Elisabeth, der Schutzpatronin der Bäcker und Lebzelter, Elisenlebkuchen genannt wurde.

Mit geistlichem Leben haben die Lebkuchen aber auch noch eine andere Verbindung. Zumindest berichtet das eine andere der vielen Geschichten, die sich um den feinen Honigfladen ranken. Im 11. Jahrhundert soll infolge der immer größer werdenden Zahl von Kirchen, Klöstern und Burgen der Bedarf an Kerzen sehr stark zugenommen haben - immer mehr dunkles Gemäuer musste erleuchtet werden. Die Hausbienenzucht war in dieser Zeit manchen Berichten zufolge derart intensiv, dass Honig, das universelle Süßungsmittel, in Klöstern bisweilen als Abfallprodukt der Wachskerzen-Erzeugung galt. Zu Ende gedacht, wäre Lebkuchen demnach nichts Anderes als ein mittelalterliches Recycling-Produkt. Zu den für viele Lebkuchensorten unverzichtbaren Oblaten ist der Lebkuchen ebenfalls hinter dicken Klostermauern gekommen: Sie wurden von den Mönchen unter den klebrigen Teig gelegt, damit er nicht am Blech festklebt.

Beliebt bei Wallfahrern

Dass Lebkuchen in der Folge besonders häufig an Wallfahrtsorten hergestellt wurden, hat ebenfalls einen praktischen Grund. Als besonders lang haltbares Produkt war Lebkuchen ideal als Wegzehrung für den langen Weg zurück nach Hause. Und weil der Lebkuchen fast nur an Wallfahrtsorten verkauft wurde, war er letztendlich auch ein unumstößlicher Beweis dafür, dass man die Wallfahrt tatsächlich vollendet hatte.

Doch nicht nur Glaubensriten, auch reichlich Aberglaube wird mit Lebkuchen verbunden. So streichelten früher die Bäuerinnen mit ihren vom Lebkuchenteig verschmierten Händen die Obstbäume, damit sie im folgenden Jahr reichlich Früchte tragen. Ist der Lebkuchenteig hingegen einmal misslungen, so wurde das als Omen für den nahenden Tod gedeutet. In Mariazell gelingt der Teig allerdings immer. Dementsprechend weltumfassend ist auch die Kundschaft. Sogar der Scheich von Dubai zählt mittlerweile zu den Stammkunden: Jeden Monat bestellt er große Mengen von Diabetikerlebkuchen.

Wachskerzen werden bei Lebkuchen Pirker übrigens auch erzeugt. Alle aus reinem Bienenwachs, von Hand gerollt oder gezogen. Wer sich an einer der im Advent sehr beliebten Führungen beteiligt, kann unter Anleitung des Wachsziehermeisters selbst eine eigene duftende Bienenwachskerze rollen und sie, hübsch verziert mit Steckbiene, mit nach Hause nehmen.

Im ersten Stock des Hauses Pirker befindet sich ein weiteres Schaustück der Lebzelterei: das berühmte Mariazeller Lebkuchenhaus. Das beinahe einen Meter hohe Häuschen sieht zum Anbeißen aus. Kein Wunder, bestehen doch die 600 Einzelteile aus feinstem Lebkuchen, verziert mit Mandeln, Kirschen, Zuckerguss und Marzipan.

Über die Ingredenzien ihrer Lebkuchen schweigen die Lebzelter wie ein Grab. Das war immer schon so. Auch in der Lebzelterei Pirker in Mariazell geht man auf Nummer sicher, dass das Rezept nicht ausspioniert werden kann. Pirker-Geschäftsführer Georg Rippel verrät nur so viel: "Unsere Lebkuchen bestehen zu 50 Prozent aus reinstem Bienenhonig. Wir haben nur die besten Zutaten und eine Mischung aus rund 20 Gewürzen in unserem Lebkuchen."

Die genaue Zusammensetzung bleibt ein Geheimnis. Zur Sicherheit hat Rippel seine Lebkuchen einmal in einem Lebensmittellabor analysieren lassen. Das Ergebnis war für ihn höchst erfreulich: Wie viel von jedem der exotischen Gewürze beigemengt wird, konnten auch die erfahrenen Chemiker im Labor nicht herausfinden.