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Das System Evo

Von WZ-Korrespondent Tobias Käufer

Politik

Er hat die Armut um ein Drittel reduziert und den Ureinwohnern zu mehr Rechten verholfen - eine Wiederwahl am Sonntag ist dem bolivianischen Präsidenten so gut wie sicher.Evo Morales hat großen Rückhalt in der Bevölkerung, ist omnipräsent.


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La Paz. Boliviens Metropole La Paz erstickt in diesen Tagen geradezu in handgemalten sozialistischen Propagandabotschaften, die den großen Favoriten der anstehenden Präsidentschaftswahl hochleben lassen. Häuserwände, Autobahnmauern, Brückenpfeiler - kaum ein Quadratzentimeter ist frei von politischen Graffiti, die den mittlerweile 54 Jahre alten Koka-Bauern hochleben lassen.

Evo Morales, seit 2006 erster indigener Präsident Lateinamerikas, schwebt nicht nur hier auf 4000 Meter Höhe in den Anden über den Dingen. "Evo", wie sie ihn hier in La Paz rufen, ist der ungekrönte König der Indios. Volksnah, sympathisch und dazu ausgestattet mit einer gehörigen Portion politischer Skrupellosigkeit, die ihn immer mal wieder demokratische Grundrechte aushebeln lässt, wenn es der eigenen Sache dient.

Es sind die einfachen Botschaften, handgemalt und leicht verständlich, die in diesen Tagen auf das bolivianische Wahlvolk einprasseln: "Mit Evo leben wir gut", "Evo sorgt für die Grundsicherung". Morales ist der omnipräsente Problemlöser, der obendrein die Klaviatur der Selbstinszenierung beherrscht.

Chancenlos ist dagegen eine zerstrittene konservative Opposition. Herausforderer Samuel Doria Medina grüßt jovial von den Plakaten mit offenem Hemd, als komme er gerade von einer Millionärsparty in Miami Beach. Im ärmsten Land Südamerikas steht er auf verlorenem Posten. Selbst viele Konservative werfen ihm vor, keine Vision, kein Konzept und kein Fingerspitzengefühl zu haben. Für Morales ist Doria Medina jedenfalls kein Gegner - trotz aller Korruptionsskandale in den Reihen der sozialistischen Regierungspartei MAS, deren Funktionäre sich an den Fleischtöpfen des rohstoffreichen Landes bedienen. Das allerdings hat auch die konservative Opposition in den Jahrzehnten vor Morales getan, deswegen verpufft diese Kritik wirkungslos.

Spürbare Verbesserungen

Morales kann dagegen auch handfeste Erfolge vorweisen. In seiner ersten Amtsperiode von 2005 und 2011 hat sich das Bruttoinlandsprodukt verdoppelt und für 2014 prophezeit die Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (Cepal) Bolivien mit 5,5 Prozent die höchste Wachstumsrate Südamerikas. Das Land profitierte wirtschaftlich vor allem von der unter Morales verstaatlichten Erdgasindustrie, die rund 40 Prozent der Wirtschaftsleistung ausmacht.

Ein erster eigener Satellit sorgt zudem in Bolivien für eine spürbare Verbesserung der Telekommunikation, eine beeindruckende Seilbahn befördert die Menschen aus La Paz künftig einfacher in das noch höher gelegene El Alto. Ohne mühsamen Aufstieg oder auch bisweilen gefährliche Klettertour mit den klapprigen Bussen. Gegen solche sichtbaren und greifbaren Verbesserungen hat die bürgerlich-konservative Opposition nichts zu bieten.

Wahlpflicht für alle

Dabei bietet Morales jede Menge Angriffsflächen, denn mit der eigenen Verfassung und den demokratischen Grundrechten nimmt es der machtbewusste Koka-Gewerkschaftler nicht so genau. Er weigert sich, mit der Opposition öffentlich zu diskutieren. Ein vom Staat gezahltes Sondergehalt sollten Angestellte im öffentlichen Dienst doch bitte dem Wahlkampf spenden und für die eigenen Wahlkampfauftritte greift das Morales-Lager hemmungslos in die Staatskasse. Aus einigen Dörfern ist überliefert, dass die Bürgermeister am Wahltag durch die Gassen ziehen und die Mitbürger unmissverständlich auffordern, ihre Stimme Evo zu geben. Wer dies trotzdem nicht tut, erlebt sehr unangenehme Zeiten. Linke Befürworter bejubeln die hohe Wahlbeteiligung als Zeichen einer neuen demokratischen Kultur, doch dahinter steckt eine Wahlpflicht. Wer sein Kreuz am Sonntag nicht macht, bekommt erhebliche Probleme mit den Behörden.

Zum eigenen Machterhalt überschreitet Morales gesetzliche Grenzen, doch die überwiegend indigene Bevölkerung Boliviens, die jahrelang unter der Vorherrschaft der europäisch-stämmigen weißen Ober- und Mittelschicht litt, interessiert das nicht. Jetzt sind es eben mal die anderen, die ungerecht behandelt werden.

Morales hat ein Gespür dafür, wie er seine Landsleute ködern kann. Mal unterschreibt er publikumswirksam einen Profi-Vertrag als Fußballer, dann verhängt er auf dem Höhepunkt der Krise auf dem Gaza-Streifen eine Visums-Pflicht für Israelis. Morales Lieblingsgegner sind die USA, die er als Kern allen Übels ausgemacht hat. Wo immer es geht, greift er Washington an, wirft US-Funktionäre aus dem Land und attackiert den Imperialismus. Er trifft damit den Zeitgeist, denn erstmals fühlen sich die Bolivianer nicht mehr fremdgesteuert, sondern selbstbestimmt und unabhängig. So erklärt es ihnen zumindest Evo.

Ob sie das tatsächlich angesichts des großen Einflusses der befreundeten Nationen Venezuela und Kuba sind, steht auf einem anderen Blatt. Gleichzeitig verhandelt der Pragmatiker Morales hinter verschlossenen Türen mit dem Erzfeind über Verbesserungen in den Handelsbeziehungen. Morales kann es auch mit den USA, nur darüber reden will er nicht so gerne.

Der Mann aus Orinoco scheut auch keine Kurswechsel. Nach der Katastrophe im japanischen Atomkraftwerk Fukushima als Folge einer Naturkatastrophe erklärte Morales noch unter dem Eindruck der Bilder aus Japan die bolivianischen Atompläne für beendet. Das Beispiel Japan habe ihn eines Besseren belehrt. Davon will Morales nun nichts mehr wissen: Bolivien soll eine friedliche Atommacht werden, am liebsten mit Unterstützung des Iran. Damit wäre Washington wieder einmal gepiesackt. Es gibt allerdings noch keine Lösung, wie Bolivien mit den Abfällen der schmutzigen Energie umgehen will.

Bolivien wird auch in den kommenden fünf Jahren von Evo Morales regiert. Er steigt damit zu einem der einflussreichsten Politiker Lateinamerikas auf und dürfte damit mehr und mehr in die nach dem Tod von Venezuelas Revolutionsführer Hugo Chavez verwaiste Führungsrolle auf dem überwiegend links regierten Kontinent hineinwachsen.