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Das ,tägliche Brot' für Milliarden

Von Brigitte Pilz

Wirtschaft

Reis ist Leben. So lautet das Motto des UNO-Jahr des Reises. Tatsächlich ist dieses Getreide das wichtigste Grundnahrungsmittel der Welt. Mit rasant wachsenden Bevölkerungszahlen nimmt seine Bedeutung stetig zu - aber auch die Probleme rund um den Reis steigen. Für eine Lösung werden die verschiedensten Strategien diskutiert und verfolgt.


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Reis deckt in Asien 80 Prozent des Kalorienbedarfs. Doch auch in Afrika ist Reis auf dem Vormarsch. Und ein Brasilianer fühlt sich ohne einen Teller Reis mit Bohnen nicht wirklich satt. Mehr als eine Milliarde Haushalte lebt von der Arbeit rund um die Reisproduktion.

Warum ein UNO-Jahr des Reises? Tatsache ist, dass rund um dieses Getreide die Probleme zunehmen, und zwar in vielerlei Hinsicht. Einerseits verringern sich die Zuwachsraten der Weltproduktion, natürliche Ressourcen wie Wasser und Land sind erschöpft. Andererseits steigt die Weltbevölkerung. 840 Millionen sind schon jetzt unterernährt, darunter mehr als 200 Millionen Kinder. Die Herausforderung ist groß.

"Es ist an der Zeit", sagte Jacques Diouf, Generaldirektor der FAO, zum Auftakt des Jahr des Reises, "dass die internationale Gemeinschaft zusammenarbeitet, um die Reisproduktion in nachhaltiger Weise zum Wohle von armen Bauern und Bäuerinnen und von Kindern zu erhöhen". Über das ,Wie' gehen die Meinungen auseinander.

Reisanbau seit Jahrtausenden

Reis ist eine der ältesten kultivierten Getreidesorten. In Indien und China wird er etwa seit dem 5. Jahrtausend v. Chr. gezogen. Obwohl an sich eine Wasserpflanze, gedeiht Reis selbst im trockenen Hochland. Er ist extrem anpassungsfähig, weshalb sich unzählige Arten herausgebildet haben. 100.000 soll es weltweit (noch) geben.

Heute wird auf der Hälfte der weltweiten Anbauflächen die künstliche Bewässerung praktiziert. Sie hat im Zuge der Grünen Revolution Verbreitung gefunden, ist zwar sehr ertragreich, aber hochtechnisiert, kostspielig, schädigt wegen des hohen Pestizid- und Kunstdüngereinsatzes die natürliche Umwelt und verbraucht enorm viel Wasser. In den armen Ländern kann diese Methode nur von reichen Grundbesitzern angewendet werden. In den USA und Europa stammt Reis ausschließlich von künstlich bewässerten Feldern.

Gerade die Grüne Revolution hatte Hoffnungen geweckt, den Hunger in der Welt endgültig beseitigen zu können. In Indien hat sie durchaus Erfolge gebracht. Noch wenige Jahre vor der Unabhängigkeit im Jahre 1947 hatte das Land eine verheerende Hungersnot mit an die drei Millionen Toten durchgemacht. 2002 verfügte die Food Corporation of India über Lagerbestände von 60 Millionen Tonnen Reis und anderem Getreide. Man ist für Missernten gerüstet.

Trotzdem gibt es in Indien Hunger. Mehr als ein Drittel der Bevölkerung kann sich eine ausreichende Versorgung mit Nahrungsmitteln nicht leisten. Nach wie vor ist die Ursache von Hunger Armut und nicht der Mangel an Lebensmitteln (außer im Falle einer Katastrophe). Das gilt weltweit. Um den Hunger zu beseitigen, wäre es nötig, die Kaufkraft der ärmsten Bevölkerungsschichten zu heben. Dazu braucht es gesellschaftspolitische Reformen.

Internationale Kleinbauernverbände, allen voran Via Campesina, plädieren für Dezentralisierung und Diversifizierung der Produktion anstelle der Gleichschaltung durch moderne Agrokonzerne und reine Produktivitätssteigerung durch wenige Hochertragssorten. Dadurch (in Thailand werden auf 40 Prozent der Felder nur noch fünf Sorten angebaut) steige das Risiko von Ernteausfällen durch Schädlinge und Krankheiten. Die Biodiversität habe bereits großen Schaden genommen. Via Campesina fordert den Erhalt und die spezielle Förderung lokaler standortgerechter Anbaumethoden und Sorten.

Hybridreis und Genetik

Die FAO betont neben der Wichtigkeit von "Nachhaltigkeit" jene des technischen Fortschritts, um einen zunehmenden Reisbedarf decken zu können. Beispiel China: 1974 entwickelten chinesische Wissenschaftler den ersten Hybrid-Reis. Er bringt um 15 bis 20 Prozent höhere Erträge. Trotz abnehmender Anbauflächen (Erosion, Verstädterung) und steigenden Bevölkerungszahlen kann das Land seine Reisversorgung bewerkstelligen. Entsprechende Programme werden von der FAO unter anderem in Vietnam, Indien und den Philippinen gefördert.

Die neueste Diskussion ist jene um genmanipulierte Reissorten. Dabei geht es (noch) nicht um Ertragssteigerung, Verfechter versprechen vielmehr eine "saubere" Grüne Revolution, da Sorten gezüchtet werden könnten, die weniger Chemikalien benötigen. Kritiker der Gentechnologie glauben, dass die langfristigen gesundheitlichen Folgen von genmanipulierten Nahrungsmitteln zum Großteil noch unbekannt sind. Zudem wäre auch diese Technik für Kleinbauernfamilien kaum nutzbar: hohe Inputs, unerschwingliche Lizenzgebühren, jährliche Saatgutkosten.

2002 kam der "Goldene Reis" in die Medien. Wissenschaftler der Technischen Hochschule in Zürich hatten einen genmanipulierten Reis entwickelt, der Provitamin A und Eisen enthält. Seine Farbe ist goldgelb. Damit erhofft man, arme Menschen vor dem Erblinden zu schützen, das im Vitamin-A-Mangel seine Ursache hat. Gegner merken allerdings an, dass Unterernährte an vielerlei Vitaminen Mangel haben, was allein durch eine ausgewogene Ernährung zu beheben wäre.

Reis auf dem Markt

Vier Fünftel des Reises wird von Kleinbauernfamilien angebaut, vor allem in Asien. Der Großteil dient der Selbstversorgung, Überschüsse und spezielle Reissorten wie Duftreis werden verkauft, aber aus Geldmangel oft auch Lagerbestände für den Eigenbedarf. Die USA und die EU-Länder exportieren die Ernte weitgehend. Insgesamt kommen nur 5 Prozent auf den Weltmarkt.

In vielen Ländern sind staatliche Interventionen im Reissektor zahlreich. Für den Konsum des Grundnahrungsmittels Reis sollen die Preise niedrig sein, sie sollen aber gleichzeitig attraktiv für die Produzenten bleiben. Import und Export sind meist streng geregelt. Mit dem von der WTO (World Trade Organization) verfolgten Freihandel ist Bewegung in den Reishandel gekommen.

Doch nach wie vor schützen die USA und die EU mit Subventionen und Zollschranken ihre Bauern, andere mächtige Industriestaaten wie Japan wissen WTO-Vereinbarungen zu umgehen. Und Organisationen wie Via Campesina weisen auf die enormen Schäden für Kleinbauernfamilien hin, wenn billiger Importreis ein Land überschwemmt. Sie seien gegenüber dieser Konkurrenz machtlos. Die Kritik an einer globalen Wirtschafts- und Handelspolitik nimmt zu, weil sie die Ernährungssouveränität in vielen Gebieten gefährde.

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Reis in Zahlen

- Reis ist für 2,3 Milliarden Menschen Grundnahrungsmittel. Laut FAO (UN Food and Agriculture Organization) werden sich im Jahr 2030 rund vier Milliarden Menschen von Reis ernähren (wollen).

- 90% der Reisfelder befinden sich in Asien. Der Rest verteilt sich auf Afrika, Amerika und Süd- und Südosteuropa (darunter fünf EU-Staaten).

- Größte Reisproduzenten: China, Indien, Indonesien, Bangladesch, Vietnam, Thailand

- Größte Exporteure: Thailand, Vietnam, China (erst jüngst), USA

- Größte Importeure: Indonesien, Irak, Iran, EU, Saudi-Arabien, Nigeria