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Das Testkonzept braucht einen neuen Fokus

Von Simon Rosner

Politik

Warum sich durch Medikamente gegen Covid die Strategie ändern muss.


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Seit Freitag gibt es Gratistests nicht mehr unbegrenzt, sondern maximal zehn pro Monat. Formal zumindest. Wer Symptome hat oder glaubt, welche zu haben, kann sich auch darüber hinaus kostenlos testen lassen. Wer Pflegeheime und Spitäler besucht ebenso. Eine echte Richtungsänderung ist das nicht, aber vielleicht muss man es sich wie beim Autofahren vorstellen. Erst bremst man etwas an - um dann die Kurve zu nehmen. Aber wie?

Dass im dritten Jahr der Pandemie die diversen Anwendungszwecke von Tests neu bewertet werden müssen, ist naheliegend. Das ist auch der Succus der Aussagen der von dieser Zeitung befragten Medizinerinnen und Wissenschafter. Das wichtigste Einsatzgebiet wird in Zukunft wohl in der Diagnostik von Covid-19 liegen, der durch Sars-CoV-2 hervorgerufenen Erkrankung. Das klingt zunächst nach einer No-na-Aussage. Was sonst? Aber so klar ist das nicht, und dieser Zweck spielte bisher tatsächlich eine Nebenrolle.

Ein positives Ergebnis brachte zwar Gewissheit, aber nicht mehr. Eine medikamentöse Therapie gab es nicht. "Wenn man nicht spezifisch behandeln kann, braucht man keinen Test", sagt der Gesundheitsökonom Thomas Czypionka vom Institut für Höhere Studien. Das ist auch der Grund, weshalb bis zum März 2020 nur wenige von der Existenz der Polymerase Kettenreaktion (PCR) wussten. Ob Influenza, Rhino- oder Adenovirus - ausgetestet wird das fast wie nie. Weil sich auch die Behandlung nicht unterscheidet: Bettruhe, viel trinken.

Ein ungewöhnliches Virus

Die Allgemeinmedizin fokussiert auf den Zustand eines Patienten. Geprüft wird, ob die oft mehrdeutigen Symptome akut gefährlich sind. Wenn nicht, wird der weitere Verlauf der Erkrankung beobachtet. Die Allgemeinmediziner nennen das "abwartendes Offenhalten", verschlechtert sich der Zustand eines Patienten, kann die Hausärztin aus ihrer "abwartenden" Position heraus eingreifen.

Beim Coronavirus war dies von Beginn an anders. Doch das Testen diente weniger diagnostischen als epidemiologischen Zwecken. Infizierte wurden gemäß des Epidemiegesetzes abgesondert und über ihre engen Kontaktpersonen Quarantäne verhängt. Als dann ausreichend Testkapazitäten vorhanden waren, wurden auch die Kontakte getestet. Und später auch Gesunde, um unbemerkt Infizierte zu finden. Das ist bis heute der Fall.

Es macht die heimische Teststrategie speziell. "Die breiten Screenings sind international relativ ungewöhnlich", sagt der Molekularbiologe Andreas Bergthaler von der MedUni Wien. Auch er sieht in der Diagnostik künftig ein wichtiges Einsatzgebiet. Denn es hat sich ganz Entscheidendes verändert: Es gibt antivirale Therapien.

Die Impfung schützt nicht alle gleich gut

Seit kurzem ist das Medikament Paxlovid erhältlich und kann von Ärzten verschrieben werden. Schon davor gab es monoklonale Antikörper, die intravenös verabreicht werden. Es handelt sich dabei nicht um die "Superpille", die alles gut macht, doch diese Medikamente stellen eine wichtige Ergänzung dar, um die Zahl schwerer Erkrankungen und Todesfälle zu reduzieren. Nicht alle sind geimpft oder können durch die Impfungen ausreichend geschützt werden, besonders vor bedrohlichen Lungenentzündungen. Dieser Risikogruppe (sehr Alte, Personen mit Vorerkrankungen) können die neuen Therapien entscheidend helfen. Daher ist nun die Diagnose wichtig.

Und sie muss auch zeitnahe erfolgen, da die Medikamente in der Frühphase der Erkrankung, nach drei bis fünf Tagen, eingenommen werden müssen, um wirksam sein zu können. Aber was heißt das nun für die Teststrategie? Die Notwendigkeit einer möglichst raschen Diagnose spricht dafür, Tests sehr niederschwellig anzubieten. Damit schon beim geringsten Anflug eines Symptoms, ohne große Umstände, ein Test durchgeführt werden kann. Wegen einem leichten Halskratzen gehen die wenigsten gleich zum Arzt.

Heim-Tests mit Vor- und Nachteilen

Doch es sprechen auch zwei Aspekte dagegen. Erstens, gerade Selbsttests unterliegen größeren Fehlerquellen als Proben, die von geschultem Personal abgenommen werden. Ein frühes Ergebnis bringt zudem wenig, wenn Betroffene falsch reagieren. "In der ersten Zeit können Patienten gar nicht oder nur wenig symptomatisch sein und deswegen eine optionale Therapie ablehnen. Aufklärung tut hier not", sagt der Infektiologe Florian Thalhammer. Ob Doktor Google diese ausreichend leistet, darf bezweifelt werden.

Zweitens, und das ist das gesamtgesellschaftliche Argument, ist die Niederschwelligkeit des Angebots derzeit womöglich nur oberflächlicher Natur. Denn tatsächlich macht nur eine Minderheit von diesem kostenlosen Angebot Gebrauch. Es gibt ganz offenkundig unsichtbare Hürden. "Es wird zu wenig darauf geachtet, ob wir die Leute, die wir erreichen wollen, auch erreichen", sagt Czypionka. Daten aus Wien zeigen, dass gerade ältere Personen seltener testen, und wenn, dann suchen sie eher stationäre Test-Boxen auf. Darüber hinaus gehende Daten zur Nutzung gibt es nicht. So umfassend das Angebot auf den ersten Blick ist, es steuert aber nicht und verlagert das Testen sowie die Interpretation der Ergebnisse in den Bereich der Eigenverantwortung.

Hausärzte wollen Risikogruppe ansprechen

Susanne Rabady, Präsidentin der Gesellschaft für Allgemeinmedizin (Ögam), empfiehlt der Risikogruppe deshalb den frühen Kontakt zum Hausarzt. "Das ist der allerschnellste Weg", sagt sie. Denn dieser inkludiert nicht nur einen Test, sondern auch eine Diagnose, eine professionelle Risikoabwägung und im Fall der Fälle kann Paxlovid sofort verschrieben werden. Der Arztkontakt, sagt Rabady, sei auch deshalb wichtig, da es bei Paxlovid Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten gibt. Die Ögam hat deshalb einen Leitfaden für Hausärzte erstellt.

Für die Diagnose selbst ist hingegen ein PCR-Test oft nicht erforderlich. "Wenn jemand typische Symptome hat, reicht ein positiver Antigentest", sagt auch Thalhammer. Diese Tests eignen sich auch für die Arztpraxis und sind günstiger. Eine Studie aus dem Vorjahr, an der auch Czypionka mitwirkte, zeigt, dass bei Infizierten mit Symptomen die Schnelltests auch verlässlich anschlagen. Es müssen freilich qualitativ gute Tests sein, die nachweislich auch Omikron detektieren. So lange es das Epidemiegesetz vorschreibt, wird aber ohnehin noch ein PCR-Test angehängt und das Ergebnis ins Epidemiologische Meldesystem eingetragen. Wenn aber die bereits jetzt gelockerten Quarantäneregeln irgendwann komplett aufgehoben werden, ist auch das nicht mehr nötig und die PCR könnte, wie bei anderen Viren, eher zur Ausnahme werden.

Die Schnelltests haben den Nachteil, dass keine Sequenzierung erfolgen kann. Auch das ist ein Einsatzzweck und unter anderem die Arbeit von Andreas Bergthaler. Die Überwachung ist wichtig, um zu wissen, welche Varianten grassieren. "Nur dafür braucht es nicht notwendigerweise ein so breit aufgestelltes PCR-Testkonzept wie bisher", sagt der Forscher. Dafür würde auch ein System von repräsentativen Stichproben reichen. Das gibt es bereits für Influenza (Sentinel-Praxen), müsste für Covid aber ausgeweitet und angepasst werden.

Dazu kommt die Analyse des Abwassers. "Da sind wir in Österreich unter den weltweit führenden Ländern", erklärt Bergthaler. Ein Grund dafür ist übrigens auch das Testprogramm gewesen. "Das viele individuelle Testen hatte den für uns wertvollen Nebeneffekt, dass wir das Abwassermonitoring gut mit epidemiologischen Daten vergleichen und validieren konnten."

Individueller Nutzen, aber auch Risiko

Sehr komplex ist der weitere Umgang mit Screenings, also dem Testen von gesunden Personen ohne Corona-Verdacht. Das diente bisher unterschiedlichen Zwecken. In Betrieben und Schulen sollten sie primär große Cluster verhindern; im Heimgebrauch sichere Kontakte ermöglichen; in der Gesamtheit sollte das viele Testen die Infektionswellen drücken. Letzteres, so viel lässt sich jedenfalls sagen, ist bisher im erhofften Ausmaß nicht gelungen.

Nicht unwesentlich ist, wie sich das Virus weiterentwickelt. Omikron ist schneller geworden, der Zeitraum, in dem ein Infizierter einen anderen ansteckt, beträgt nur mehr zwei bis drei Tage. Mit Tests, die oft 24 Stunden für die Auswertung benötigen, ist das ein Problem. "Der PCR hat eine diagnostische Lücke", sagt Czypionka. Im Labor selbst dauert die Analyse nur etwa eine Stunde, es ginge also viel schneller, aber nicht für alle. Der Epidemiologe Gerald Gartlehner hat deshalb gefordert, bestimmte Gruppen bei der Analyse zu priorisieren.

Auf individueller Ebene können Tests das Übertragungsrisiko natürlich nach wie vor reduzieren. Aber dafür müssen gute Tests richtig angewandt und die Ergebnisse richtig interpretiert werden. Es bedarf auch einer Kombination mit anderen Maßnahmen. Für Auskenner ist das machbar. Im ungünstigen Fall aber können die Tests die Menschen in falscher Sicherheit wiegen und zum Beispiel den Maskengebrauch reduzieren. Ein "Test-Schutzpaket" für Risikogruppen und Angehörige müsste daher jedenfalls mit einer spezifischen Kommunikation sowie qualitativ guten Tests einhergehen. Das fehlt derzeit und wäre mit Blick auf den Herbst und kommende Jahre wichtig. Informationen und Test-Know-how sind derzeit weitgehend eine Holschuld.

Für Thomas Czypionka muss die Politik vor einer neuen Teststrategie aber ohnehin zuerst klären, welche Ziele sie in dieser Übergangsphase zur Endemie verfolgen will. "Was tolerieren wir, worauf zielen wir ab?", fragt er. Eine Strategie könne nur gemeinsam mit anderen Maßnahmen geplant werden, doch all das müsse aus der Zielsetzung heraus entwickelt werden. "Das Testen ist eines von vielen Mitteln", sagt Czypionka. Und es ist ein teures. Die bisherigen Ausgaben belaufen sich auf etwa drei Milliarden Euro.