Erhöhungen von Pensionen begleiten die demokratischen Prozesse seit Jahrzehnten.
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Wenn in der politischen Debatte wieder das Pensionsthema in den Vordergrund rückt, weiß der gelernte Österreicher: Die nächste Wahl kann nicht weit sein. Seit einigen Wochen zieht die SPÖ gegen die derzeitige Regelung für die erste Pensionsanpassung zu Felde, die sogenannte Aliquotierung. Ganz vorne an der Spitze: nicht die Parteichefin, sondern Peter Kaiser, Landeshauptmann von Kärnten und roter Spitzenkandidat bei der Landtagswahl am Sonntag.
Kaiser treibt das Thema besonders stark an, er spricht von einer "himmelschreienden Ungerechtigkeit", die Bundesregierung würde den "Kärntner Pensionisten 60.000 Euro wegnehmen", wie es in einer Aussendung heißt. Am Sonntag legten die Sozialdemokraten nun ein Gutachten des Sozialrechtsexperten und früheren Höchstrichter Rudolf Müller vor, wonach die Aliquotierung verfassungswidrig sei. Wieder war Kaiser ganz vorne dabei. Sollte die Bundesregierung die Regelung nicht noch im März von sich aus aufheben, kündigte das Land Kärnten Verfassungsbeschwerde an. Das Sozialministerium prüft übrigens eine Änderung, obwohl die Regelung noch nicht alt ist.
Erst seit dem Vorjahr wird die allererste Pensionserhöhung anteilig vorgenommen, je nach Pensionsbeginn. Wer im Jänner ging, erhielt heuer die volle Erhöhung, wer im Sommer ging die halbe. Laut Jurist Müller sei das eine unsachliche Differenzierung, die noch dazu Frauen ab dem kommenden Jahr benachteiligen werde. Da ab 2024 das Frauenpensionsalter schrittweise angehoben wird, werden die für das erste Halbjahr vorgesehenen regulären Antritte um sechs Monate und damit in die finanziell unattraktivere zweite Jahreshälfte verschoben.
Obwohl die Regelung erst 2021 beschlossen wurde, war sie bisher kein großer Aufreger. Die SPÖ hatte die Aliquotierung zwar unmittelbar nach dem Beschluss kritisiert, doch Ingrid Korosec, Präsidentin des schwarzen Seniorenbundes, verwies darauf, dass es im Seniorenrat gemeinsame Position mit den roten Vertretern gewesen sei. Wegen der damals niedrigen Inflationsrate fielen die möglichen Folgen kaum ins Gewicht.
Pensionistenbriefe und lange Nächte der Milliarden
Bis zur Übernahme der ÖVP durch Sebastian Kurz war das Thema meist ein Heimspiel der SPÖ, das vor allem vor Nationalratswahlen ausgetragen wurde. Vor jener 1995 schrieb der damalige SPÖ-Kanzler Franz Vranitzky einen Brief an Senioren, in dem er warnte: "Die ÖVP wollte bestehende Pensionen kürzen und das gesetzliche Pensionsalter überfallsartig erhöhen!" Elf Jahre später ließ die SPÖ auf Plakaten einen Eurofighter starten und schrieb darüber: "Hier fliegt Ihre Pensionserhöhung."
Unter Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, der die Wahl 2006 überraschend verlor, war im Rahmen der Pensionsreform auch eine Wartefrist auf die erste Pensionserhöhung eingeführt worden. Im Fokus der Proteste gegen das Vorhaben standen damals aber andere Aspekte der Reform. Die Wartefrist (bis zu 23 Monate) war eine Randnotiz. Gusenbauer schaffte sie schnell wieder ab.
Als seine Koalition auseinanderbrach und 2008 der Nationalrat neu gewählt wurde, wurde in einer langen Nacht der Milliarden im Nationalrat auch der Pensionstopf geöffnet. Es gab unter anderem eine kräftige Erhöhung plus Einmalzahlung, zudem wurde die "Hacklerregelung" verlängert, die unter Schüssel, nicht ganz freiwillig, eingeführt worden war.
Unter SPÖ-Kanzler Werner Faymann wurde die Hacklerregelung ab 2014 dann aber selbst in die Altersteilzeit geschickt (ehe sie 2019 erneut im "freien Spiel der Kräfte" ihr Comeback erlebte).
Unter Faymann wurde auch wieder die Wartefrist bei der ersten Pensionserhöhung eingeführt. Nur die FPÖ protestierte damals dagegen, aber auch nicht sehr. Es gab drei Presseaussendungen, das war’s. Gemeinsam mit der ÖVP ließen die Freiheitlichen 2018 die Wartefrist wieder streichen. Der rote Pensionistenverband zeigte sich damals "positiv überrascht".
Es war wohl nicht nur ein blauer Wunsch. In seinem jüngst erschienen Buch über politische PR erwähnt Ex-Kurz-Sprecher Gerald Fleischmann, der nun ÖVP-Kommunikationschef ist, die Kehrtwende der Volkspartei. Generell die ÖVP, speziell aber die JVP sei immer damit aufgefallen, dass "sie gegen Pensionserhöhungen und für Pensionsreformen" eingetreten sei. Das habe sich unter Kurz als JVP-Chef geändert. In einem Gespräch mit dem damaligen ÖVP-Obmann Josef Pröll soll Kurz gesagt haben: "Ich will nicht, dass meine Oma, die von einer kleinen Pension leben muss, keine Pensionserhöhung bekommt." So zitiert es Fleischmann. Und weiter: "Die Position der Partei sollte sich fortan in dieser Frage ändern, wenn auch nur sehr langsam."
Geändert hat sich mittlerweile auch die Sichtweise des Seniorenbundes zur Aliquotierung. 2019 noch Befürworterin, will Korosec nun die ersatzlose Abschaffung. Das will auch der rote Pensionistenverband, der Seniorenrat spricht also wieder mit einer Zunge. Wie vor der Einführung.