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Das Tier in SPÖ und ÖVP

Von Walter Hämmerle

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Rot und Schwarz sind angeschlagen. Das sind sie aber schon lange. Macht mussten sie bisher nur an Brüssel abtreten.


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Österreich wird - keineswegs zu Unrecht - ein ausgesprochenes Talent zugesprochen, den eigenen Niedergang in Szene zu setzen. Die Politik ist davon keineswegs ausgenommen. Das Einzige, was sich hier ändert, ist der Tonfall, in dem dieses Drama auf der Bühne inszeniert, vom Chor der Medien aus dem Off begleitet und von der interessierten Öffentlichkeit mehr oder weniger begierig aufgesogen wird.

Als sich etwa Anfang der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts die ersten Auswirkungen des schleichenden Niedergangs der rot-schwarzen Nachkriegsrepublik abzeichneten, reagierte man noch mit einer Mischung aus Ungläubigkeit und nackter Panik auf die vage Möglichkeit eines Österreich, in dem SPÖ und ÖVP nicht mehr den Ton angeben könnten. Gut zehn Jahre später, Mitte der 90er Jahre, versetzte dann Jörg Haider mit seiner imaginierten "Dritten Republik" dem Establishment wohlige Schauer des temperierten Entsetzens.

Heute, zwanzig Jahre nach Haiders leerer Drohung, ist die Stimmung so, dass man es schon gar nicht mehr erwarten kann, wenn Rot und Schwarz das Spielfeld für etwas Neues freimachen. Wie dieses Neue genau beschaffen sein soll, ist zwar höchst ungewiss, aber das ist auch schon egal. Hauptsache ein neues Spiel mit neuen Akteuren.

Wahrscheinlich ist das der übliche Lauf der Dinge, wenn sich das Alte zwar beständig im Niedergang befindet, aber die neue Zeit nicht und nicht anbrechen will. 35 Jahre des teils lähmenden Übergangs setzen jeder noch so von Haus geduldigen Gesellschaft zu. Und es ist gut möglich, dass die Widerstandskräfte des Ancien Regime noch immer tendenziell unterschätzt werden.

Fast schon rituell wird etwa seit Jahren im Anschluss an Wahlen nach den zuverlässigen Vorboten des politischen Wandels in den Teilergebnissen gefahndet. Der Aufstieg der Grünen zur neuen Volkspartei im urbanen Raum ist da ebenso seit gefühlten zwanzig Jahren ein Klassiker wie die Etablierung der Blauen als neuer Arbeiterpartei. Und jetzt auch noch die dynamisch-modernen Neos!

Verhältnismäßig wenig bis gar keinen Raum erhielt dagegen bei der Nachwahlanalyse der jüngsten EU-Wahl die nüchterne Stimmensumme von Rot und Schwarz: Mit 51,1 Prozent war dieses sogar - geringfügig, aber doch - besser als bei der Nationalratswahl im Herbst vergangenen Jahres, bei der SPÖ und ÖVP gemeinsam nur auf 50,8 Prozent der Stimmen kamen.

Ganz offensichtlich sind Rot und Schwarz also zwei Parteien, die vielleicht nicht mehr die Kraft aufbringen, dieses Land den Anforderungen der Zeit entsprechend grundlegend zu reformieren, aber doch noch ausreichend Überlebensinstinkt besitzen, ihren Machtverlust so lang wie nur irgend möglich hinauszuzögern. Wir reden also gewissermaßen vom ungebändigten Tier in SPÖ und ÖVP.

Österreich befindet sich mittlerweile dreißig Jahren in einer Phase des politischen Umbruchs, in dem Veränderungen mehr herbeigeredet als tatsächlich betrieben werden. SPÖ und ÖVP mögen Stimmenprozente verloren haben, wirklich Macht mussten sie bisher nur an Brüssel, nicht aber an die Opposition abgeben. Wir Bürger schauen gespannt zu.