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Das tödliche Spiel ist nicht zu Ende

Von Michael Schmölzer und Ines Scholz

Politik
So wie diese Familie aus Beit Hanoun kehrten nun tausende Palästinenser in ihre Häuser - oder besser Ruinen - zurück.
© reu/O’Reilly

Hamas stimmt einer dreitägigen Waffenruhe zu - doch der Gaza-Konflikt bleibt ungelöst.


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Tel Aviv/Gaza/Kairo. Israels Armee ist aus dem Gazastreifen abgezogen, der von Ägypten vermittelte Waffenstillstand scheint zumindest vorerst zu halten, die vertriebenen Palästinenser beginnen mit der Rückkehr in ihre Wohnhäuser. Ein Aufatmen ist spürbar, doch die Folgen des Feldzuges sind schrecklich. Vor allem für die Palästinenser: Der Großteil der Häuser liegt in Schutt und Asche. 1860 Tote gibt es im Gazastreifen zu beklagen, nach Schätzungen der UNO sind 80 Prozent davon Zivilisten. Sie sind die wahren Verlierer der Auseinandersetzung. Israel hat 64 Soldaten und drei Zivilisten verloren. Das internationale Ansehen des Staates hat schweren Schaden genommen, die UNO spricht von israelischen Verbrechen.

Die politisch-strategische Bilanz nach vier Wochen Trommelfeuer auf Gaza lautet: Israel hat die Schlacht gewonnen, nicht aber den Krieg. Mit der Zerstörung aller 32 im Grenzgebiet gefundenen Tunnel hat die Armee zwar eines der Kriegsziele erreicht - nicht jedoch das Hauptziel, die Raketenangriffe auf Israel zu unterbinden. Wenn tatsächlich keine politische Einigung mit der Hamas zustande kommt, dann - so meinen zahlreiche Beobachter - steht Israel vor einem langen, blutigen und zermürbenden Krieg, und das tödliche Spiel nimmt weiter seinen Lauf.

Kritische israelische Kommentatoren sprechen nach dem Feldzug von einem Unentschieden. Es ist nicht gelungen, die Hamas-Führungsriege auszuschalten und die Organisation verfügt nach Schätzungen weiterhin über rund 3000 Raketen, etwa ein Drittel ihres ursprünglichen Arsenals. Dass man Israel Widerstand geleistet und Raketen so weit wie nie in das feindliche Gebiet geschossen hat, wird die Hamas wohl als Basis für eine feierliche Siegeserklärung nutzen. Knapp vor dem Abzug der Israelis hat die Hamas noch einmal 20 Raketen abgefeuert: Das Signal ist klar, man wollte der zurückgehenden Armee noch einmal "nachtreten".

Die Hamas wird weiter im Gazastreifen politisch den Ton angeben. Israelische Forderungen nach einer Entmilitarisierung des Gebiets, einer Entwaffnung der radikalen Gruppierungen sind nicht realistisch. Einen Sturz der Hamas, wie von der israelischen Chefunterhändlerin für die Friedensgespräche, Zipi Livni, gefordert, wird es nicht geben - zu groß ist das Risiko, dass noch radikalere Kräfte das Vakuum füllen. Eine Wiedereroberung des von Israel geräumten Gebiets und die Zerschlagung der Hamas käme Israel außerdem zu teuer zu stehen. Eine derartige Operation, so schätzen Militärs, würde zudem ein bis zwei Jahre dauern, die Zahl der Opfer unter den israelischen Soldaten wäre enorm.

Deshalb gibt es auch in Israel Stimmen, die eine Einbindung der Hamas befürworten. Dies könnte mit Hilfe der Anfang Juni gebildeten Einheitsregierung der Hamas mit der gemäßigteren Fatah geschehen - die Israel jedoch bislang boykottiert. Einige Vertreter aus dem linken Lager fordern darüber hinaus eine grundlegende Änderung der Politik gegenüber der Hamas. Ohne diese, heißt es, werde der Gaza-Konflikt immer wieder in Gewalt umschlagen.

Auch der bekannte Nahost-Analyst Nathan Thrall, der derzeit für die International Crisis Group tätig ist, warnt davor, die Hamas politisch zu sehr in die Enge zu treiben. Genau diese Taktik habe die Angriffe aus Gaza provoziert, meint er. Dass Israel nach dem Waffengang im Herbst 2012 sein Versprechen, die Gaza-Blockade zu lockern, gebrochen hat und die Verwaltungsstrukturen in Gaza finanziell total aushungern ließ, nennt er als einen der Hauptgründe für den jüngsten Aggressionsakt gegen Israel. Die mit dem Rücken zur Wand stehende Hamas-Führung habe mit ihm erreichen wollen, dass die auch von der EU kritisierte Blockadepolitik wieder aufs Verhandlungstapet kommt. Denn solange der Gazastreifen von der Außenwelt völligabgeschottet ist, werden sich auch die tristen Lebensbedingungen der 1,8 Millionen dort eingeschlossenen Palästinenser nicht bessern. Es gilt allerdings als unrealistisch, dass die derzeitige Rechtsregierung ihren Kurs ändert und Zugeständnisse macht. Ein neuer Gaza-Konflikt ist damit vorprogrammiert.