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Das Töten als Berufung

Von WZ-Korrespondent Sebastian Moll

Politik

250 Menschen hat Chris Kyle getötet - in seinen Irak-Memoiren bereut er nichts.


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Washington. Es war das Jahr 2003, die amerikanischen Truppen marschierten in Richtung Bagdad und Chris Kyle lag mit seinem Spezialgewehr auf einem Dach in Nasiriya in Stellung. Die US-Marineinfanteristen marschierten gerade in den Ort ein, als eine Frau mit ihrem Kind an der Hand auf die Straße trat. Als sie in ihr Gewand griff und einen gelben Gegenstand hervorholte, bekam Kyle den Schießbefehl. Kyle fragte noch einmal, ob er wirklich schießen solle. Dann holte er tief Luft und drückte ab. Die Frau brach zusammen, die Handgranate, die sie bei sich trug, explodierte. Amerikanische Soldaten wurden nicht verletzt. Und Chris Kyle war stolz: "Sie war vom Bösen geblendet", schreibt er in seinen Memoiren "American Sniper", die zum Jahresbeginn in den USA erschienen sind. "Ich habe mich großartig gefühlt."

Und nach dem ersten Mal konnte Kyle nicht genug davon bekommen. "Man tut es wieder. Und wieder", schreibt er. "So lange, bis es niemanden mehr zum Töten gibt." 160 offiziell bestätigte "Kills" hatte Kyle als Scharfschütze im Irak - mehr als jeder andere US-Soldat in diesem oder in irgendeinem anderen Krieg. Inoffiziell glaubt man, er habe mehr als 250 Menschen umgebracht. Gewissenskonflikte hat Kyle allerdings keine: "Ich habe es geliebt", schreibt er. "Es hat Spaß gemacht. Ich hatte im Irak die Zeit meines Lebens." Und in der Schlacht von Ramadi, einem der blutigsten Gemetzel des Konflikts, steigerte sich das Mitglied der Navy Seals zur Höchstform. Alleine in den ersten zwölf Stunden töte er zwei Dutzend Irakis. Einer nach dem anderen seien sie auf die Straße gestürmt, genau ins Fadenkreuz seines .300 Winchester Magnum Spezialgewehrs. "Ich habe abgedrückt. Sie sind umgefallen. Und so ging das immer weiter", schreibt er in seiner kargen, nüchternen Prosa.

Unter den Aufständischen trug ihm die Schlacht den Kriegsnamen "Teufel von Ramadi" ein. Ein Titel, auf den er stolz war: "Das hat mir gezeigt, dass ich meinen Job ordentlich erledige." 80.000 Dollar wurden auf seinen Kopf ausgesetzt und auch darauf war er stolz. Das Einzige, was ihn daran störte, war, dass man auf den Scharfschützen der Schwesterkompanie, seinen schärfsten Rivalen, mehr ausgesetzt hatte. Das Morden war unter den US-Spezialtruppen zum Wettkampfsport geworden. Am Ende gewann Kyle. "Natürlich wollte ich der Beste sein", schreibt er. Deshalb wollte er auch sichergehen, dass sein jeweiliges Ziel wirklich tot ist. "Wenn Du ihm nur einen Bauchschuss verpasst und er in irgendeine Hofeinfahrt kriechen kann, dann zählt es nicht." Jeder Schuss musste bestätigt werden.

Mit Orden überhäuft

Nach Maßstäben des Zivillebens ist Chris Kyle ein Monster, ein kaltblütiger Massenmörder. Das Militär sieht das jedoch anders. Kyle wurde mit Orden überhäuft und herumgereicht. Ein amerikanischer Held. Er selbst beschreibt sein Wirken mit soldatischer Bescheidenheit. Das ganze Geklimper, sagt er, bedeute ihm nichts. Das sei es nicht gewesen, weswegen er sich wieder und wieder meldete, um in den Irak zu gehen. Es sei alleine darum gegangen, "die Bösen umzulegen, bevor sie unsere Jungs erwischen". Denn wer im Irak die Guten und wer die Bösen waren, steht für Kyle ohne Zweifel fest. Die Aufständischen waren für ihn "Bestien", fanatisierte "Unmenschen". Nicht einen einzigen Todesschuss bereut er, jeder von "denen" habe es verdient zu sterben.

Solcherlei moralische Klarheit besitzt Chis Kyle schon von klein auf. "Ich kannte noch nie Grautöne", schreibt er. Kyle wuchs auf einer Ranch in Texas auf, wo es nur Gott, das Vaterland, Familie und harte Arbeit gab. Sein Vater legte ihn regelmäßig übers Knie, aber Kyle ist nicht bitter darüber. Es habe ihn gut auf sein Leben als Soldat vorbereitet, schreibt er. Kyle wollte eigentlich Cowboy werden, doch nachdem er sich bei einem Rodeo schwer verletzte, musste er es sich anders überlegen. Er brach die Schule ab und unterschrieb beim Militär, versessen darauf, in die Schlacht zu ziehen. Von seinem ersten Einsatz im Irak 2003 kam er mit Zorn im Bauch zurück, er trug sich gar mit dem Gedanken, aus der Armee auszutreten. Der Grund: Man hatte seine Einheit vorzeitig aus dem Gefecht zurückgezogen. "Ich kam mir wie ein kleiner gottverdammter Feigling vor."

Ein wenig kommt Kyle sich auch heute wieder so vor. 2009 wurde der Scharfschütze vorzeitig aus dem Irak wieder nach Hause geholt. Der Grund: Er hatte Panikattacken, Herzrasen, Schweißausbrüche. Hat der Horror des Krieges den harten Hund aus Texas schließlich doch eingeholt? Nein, so etwas wie post-traumatische Belastungsstörung kenne er nicht, behauptet er. Er habe nur ein wenig Schwierigkeiten mit dem Blutdruck.

Seine Frau sieht das jedoch etwas anders. Häufig wache er nachts plötzlich auf und schlage um sich, berichtet sie und dann habe sie Angst vor ihm. Einmal habe er ihr beinahe den Arm gebrochen, bevor er ganz aufgewacht sei. Ganz konnte Kyle den Killer dann offenbar doch nicht im Irak lassen. "Ich muss nicht töten", behauptete er zwar in einem Interview. Aber nur um anzufügen: "Wenn man mir meine Hirschjagd wegnimmt, kann ich für nichts garantieren."