Man stelle sich vor, die österreichische Polizei stürmte Regierungsgebäude, Ministerien-Abteilungen, verhaftete wichtige Personen und so weiter.
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Die Sensationsmeldung war in allen Medien. Mehr oder weniger ausführlich. Die tschechische Polizei hatte, geleitet von der Olmützer Oberstaatsanwaltschaft, vergangene Woche eine groß angelegte Razzia im Regierungsamtsgebäude, im Verteidigungs- und Landwirtschaftsministerium sowie in zwei Villen von Lobbyisten durchgeführt. Unangekündigt, für alle überraschend. Verhaftet wurden zwei ranghohe ehemalige ODS-Mitglieder, Petr Tluchor und Ivan Fuksa, sowie die Kabinettschefin von Ministerpräsident Petr Necas, Jana Nagyová, der frühere Staatssekretär Roman Bocek und der Unternehmer und Lobbyist Robert Janouek. Die ganze Aktion war minutiös seit zwei Jahren vorbereitet worden.
Seit Necas seinen Rücktritt angekündigt hat, ruft die Opposition, vor allem die Sozialdemokraten, nach Neuwahlen. Das Gerangel hat begonnen und wird noch einige Zeit dauern. Aber Neuwahlen schaffen das Problem und das Geschwür Korruption nicht aus der Welt. Tschechien benötigt eine tiefgehende Aufdeckung der kriminellen Machenschaften eines Teils seiner Elite.
Die bräuchte auch Österreich. Ich wage mir kaum vorzustellen, was hier los gewesen wäre, hätte es eine vergleichbare Aktion gegeben. Angebracht wäre sie. Sie wird vermutlich nie stattfinden, weil es Konsens zu sein scheint, dies paralysierte den Staat, machte ihn vollends unregierbar. Lieber mit der für Österreich typischen Form von Korruption, Nepotismus, Klientelpolitik und Schiebereien weitermachen, als durch eine "tabula rasa" möglicherweise Proteste und Sozialunruhen hervorrufen.
Unsere Justiz scheint gut eingespielt im Zerhandeln der Agenden. Mit wenigen Ausnahmen gibt es kein wirkliches, radikales Reinemachen. Das System erlaubt nur oberflächliche Maßnahmen und Korrekturen.
Man stelle sich vor, die österreichische Polizei stürmte Regierungsgebäude, Ministerien-Abteilungen, sogar Räume des Geheimdienstes, verhaftete wichtige Personen, beschlagnahmte Akten und Computer und so weiter. Das hieße, dahinter stünde eine unabhängige Justiz, die sich nicht ministeriellen Weisungen fügte, dahinter stünden Kräfte, die nicht klein beigäben, die nicht gekauft wären.
Man mag sagen, das alles gab es bei uns bereits im Kleinausmaß. Unsere Justiz ist unabhängig, die Staatsanwälte arbeiten professionell, die Richter sind noch unabhängiger und unerschrocken tüchtig. Alle arbeiten zügig im Rahmen der rechtsstaatlichen Ordnung. Fein. Aber weshalb ist noch so wenig aufgedeckt? Weil die Verdächtigen unschuldig sind? Weshalb folgen oft keine konkreten Aktionen, wo Schuld festgestellt wurde? Weil wir ein Rechtsstaat sind, der im Korruptionswahrnehmungsindex 2012 (CPI) von Transparency International von Platz 10 (2005) auf Platz 25 abrutschte?
Ich wünschte, wir hätten ein Wikileaks für Österreich, eine der "Prism"-Aufdeckung ähnliche Datenbank, aufgrund deren Veröffentlichungen das Vernebeln einfach nicht mehr möglich wäre. So aber sonnen sich die Verantwortlichen im Lichte des Datenschutzes, pfeifen auf die Untersucher, gängeln Ausschüsse und machen Werbung in den Medien. Wie lange noch?