Jüngst wurde bekannt, dass Oskar Pastior, gepriesener rumänisch-deutscher Autor, der 2006 (kurz vor der Verleihung des Büchner-Preises an ihn) verstarb, ein Informant der rumänischen Securitate war. Die Nachricht schlug wie eine Bombe ein. Herta Müller, Nobelpreisträgerin für Literatur 2009, war eng mit ihm befreundet. Sie arbeiteten sogar gemeinsam am Buch "Atemschaukel", das Müller nach Pastiors Tod alleine fertigstellte und das den Ausschlag für den Nobelpreis gab. Ernst Wichner, Leiter des Berliner Literaturhauses und Herausgeber der Werke Pastiors, wirkte als Co-Kurator mit dem Literaturhaus München an der just tags zuvor in München eröffneten Ausstellung "Herta Müller - Der kalte Schmuck des Lebens" mit, in der allerdings die neue Tatsache nicht mitgeteilt wird. Offensichtlich wollte man erst etwas später ausführlich auf die Entdeckung verweisen.
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Die Betroffenen zeigen besonnene, einfühlsame, verständige Reaktionen. Es gibt keine nachträgliche Hexenjagd. Es wird differenziert betrachtet, abgewogen, interpretiert. Man erfährt viel über den barbarischen Polizeistaat Rumänien, brutale Praktiken des berüchtigten Geheimdienstes, das breit gefächerte Unwesen der Securitate. Das meiste aus Pastiors Biografie ist bekannt, jetzt folgen kleine Details. Sie widersprechen nicht dem Bild, sie komplettieren es: Pastior schuldlos schuldig, Rumänien ein linksfaschistischer Kerker, inhuman, despotisch, böse.
Müller sagt, sie sei zuerst voller Wut gewesen, dann aber traurig. Natürlich würde sie Pastior, wenn er noch lebte, damit konfrontieren und Auskunft verlangen, aber nicht verurteilend, sondern in Anteilnahme. Ähnlich äußern sich andere, die Pastior schätzen. Der allgemeine Befund: Es gibt eine Verstörung - aber es ändert sich nicht die Wertschätzung der Person und des gepriesenen Werks.
Das ist gut so. Bisher gab es noch keinen Fall solch besonnener Reaktion. Das macht Hoffnung. Es geht nicht darum, reflexartig abzuurteilen. Es geht um ein differenziertes Urteil, soweit es möglich ist. Dieses humane, differenzierende Verhalten sollte kein Einzelfall bleiben, gleiches Maß für alle gelten. Das ist aber, gerade in Österreich, zu bezweifeln. Pastiors Geschichte lehrt, dass es Umstände gibt, die das (Fehl-)Verhalten einer Person verstehbar machen, wenn schon nicht entschuldigen. Die Schuld wird nicht aus dem Kontext gerissen, isoliert fokussiert.
Dass Günter Grass sich mit 17 Jahren zur Waffen-SS beriefen ließ, wurde ihm angekreidet. Für viele Gutmenschler war er ein Nazi-Mitläufer, ein Lügner, ein Verräter, ein Schwein. Vielen anderen prominenten Autoren aus seiner Generation widerfuhr die gleiche rigide Pauschalverdächtigung und -verurteilung. Keine Rede von Fairness.
Vielleicht führt der Fall Pastior auch zu einer Neubewertung des Terrors der Tugendwächter. So, wie es nicht um einen Generalverdacht, eine Pauschalverurteilung gehen darf, soll umgekehrt nicht bagatellisiert oder entschuldigt werden. Aber zwischen diesen beiden Extremen gibt es das Feld einer besonnenen Bewertung.
Haimo L. Handl ist Politik- und Kommunikationswissenschafter.