Opfer zu schützen und Täter nicht zu schonen: Das bleibt eine heikle Gratwanderung.
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Man muss nicht einmal selbst Kinder haben, um im sexuellen Missbrauch Minderjähriger einen der moralisch abstoßendsten Tatbestände zu erkennen. Kinder vor derartigen Übergriffen zu bewahren, ist eine der obersten Pflichten einer Gesellschaft. Ihr Schutz ist unverhandelbar und steht nicht zur Diskussion. Der Fall Florian Teichtmeister löst heftige Debatten um genau diese Schutzmechanismen aus - die rechtlichen, die gesellschaftlichen und die moralischen. Greifen diese zu kurz? Benennen sie die grausamen Handlungen in angemessener Weise? Sind die Konsequenzen für die Täter verhältnismäßig?
Auf der einen Seite steht dabei das Strafrecht: Familienministerin Susanne Raab bezeichnet das Strafmaß für den Besitz sexueller Missbrauchsdarstellungen Minderjähriger als "unangemessen niedrig" und fordert höhere Strafen - in digitalen Zeiten eine schlüssige Forderung.
Auf der anderen Seite kreist die Debatte um nur scheinbar vordergründige Terminologien. Scheinbar, weil auch die Benennung einer Gewalttat Wirklichkeit schafft; weil Sprache immer die Welt prägt, die sie zu benennen, zu beschreiben und damit zu ergründen versucht. Doch wie sprechen über das schier Unaussprechliche? Ist hier von Kinderpornografie zu sprechen - oder verharmlost dieser sexuell aufgeladene Begriff gewaltsame Übergriffe? Trifft es die Formulierung "Bilder sexuellen Missbrauchs" mehr - oder lauert hier eine sekundäre Viktimisierung, eine Re-Traumatisierung der Opfer?
Öffentliche Debatten über Straftaten, vor allem über solche, die wir moralisch als verwerflich einstufen, haben eine wichtige Aufgabe. Sie sind die immer wieder nötige Feineinstellung des gesellschaftlichen Kompasses, unseres viel zitierten Wertekanons. An diesen höchst sensiblen Themen verhandeln wir, wie wir miteinander umgehen, einander beschützen und auch für Fehler Konsequenzen spüren lassen. Viel wichtiger aber als neue Bezeichnungen und veränderte Strafmaße ist ein anderer Effekt der Debatte: Sie bringt im Idealfall Opfer dazu, ihr Schweigen zu brechen und an ihnen begangenes Unrecht auf- und anzuzeigen; und potenzielle Täter dazu, sich Hilfe zu holen, statt straffällig zu werden. Es ist immer eine Gratwanderung, dabei die Opfer zu schützen und die Täter nicht zu verschonen.
Diese Debatte jedoch aus falscher Scham oder vorauseilender Rücksichtnahme gar nicht erst zu führen, ist keine Option. Es kehrt das Leid der Kinder unter den Teppich und hilft einzig und allein den Tätern. Schweigen ist doch nicht immer Gold.