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Das unbekannte Treibhausgas

Von Eva Stanzl

Wissen

Stickoxide tragen als gefährliche Treibhausgase maßgeblich zur Erderwärmung bei.


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Wien. Er ist ein Bestandteil des Naturkreislaufs, stinkt nicht, schmeckt nicht und hat keine Farbe. Bei minus 196 Grad Celsius wird er vom Gas zur Flüssigkeit. Wer ihn dann mit Fruchtsaft mischt, erhält Speiseeis. Stickstoff (Nitrogenium) ist ein chemisches Element, das Flammen löschen und in seiner reinen Form Lebewesen ersticken kann. Und was mehr ist: Seine gasförmigen Oxide, die Stickoxide, zählen neben Kohlendioxid (CO2) und Methan zu den gefährlichsten Treibhausgasen, die den Klimawandel beschleunigen. Das natürliche Element wird gefährlich, wenn zu viel davon in die Atmosphäre gelangt, warnten Experten diese Woche bei einem Symposion der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien.

"Stickoxide stehen als Klimagase selten in der öffentlichen Wahrnehmung", sagte der schottische Klimaexperte David Fowler von der Universität Edinburgh am Rande der Veranstaltung zur "Wiener Zeitung": "Das liegt vermutlich daran, dass der Stickstoff schon existierte, bevor es Menschen gab. Organismen benötigen ihn als Nahrung."

Zentraler Bestandteil des Lebens

Stickstoff ist ein zentraler Baustein des Lebens und Teil der Nahrung aller Lebewesen. Bei der Umwandlung von Stickstoff in seine verschiedenen Erscheinungsformen in der Biosphäre spielen Mikroorganismen eine Schlüsselrolle. Ein wesentlicher Teilschritt im Stickstoffkreislauf ist die Nitrifikation, die von "Nitrifikanten" genannten Mikroben durchgeführt wird. Ausgangsstoff in diesem Prozess ist Ammonium. Dieses wird beim Zerfall abgestorbener Biomasse frei oder auf landwirtschaftlich genutzten Böden auch häufig als Dünger zugesetzt. Ammonium wird im ersten Schritt der Nitrifikation zu Nitrit und dieses im zweiten Schritt schließlich zu Nitrat oxidiert.

Seit mehr als 100 Jahren geht man davon aus, dass diese beiden Schritte arbeitsteilig von zwei verschiedenen Gruppen von Mikroorganismen durchgeführt werden - den Ammoniak-Oxidierern und den Nitrit-Oxidierern. Erst durch die Zusammenarbeit der beiden Spezialisten laufe die Nitrifikation vollständig ab, dachte man. Wiener Forscher haben nun aber Allrounder-Mikroorganismen entdeckt, die den kompletten Prozess durchführen können, berichten sie im Fachjournal "Nature".

"Dieser gesamte Kreislauf funktionierte perfekt und war ausgeglichen, bevor der Mensch aktiv wurde", betont Fowler: "Im Ersten Weltkrieg lernten jedoch Ingenieure, dass Stickstoff für Sprengstoff verwendet werden kann, später kam er als künstlicher Dünger in der Landwirtschaft zum Einsatz." Die künstliche Herstellung von Ammoniak erfolgt fast ausschließlich über das Haber-Bosch-Verfahren aus Wasserstoff und Stickstoff.

"Durch solche Verfahren ist die Stickstoff-Konzentration in der Atmosphäre über die Jahrzehnte gestiegen. Heute erzeugen Menschen so viel Stickstoff wie die Natur selbst", sagt der Klimaexperte. "Wir haben den Stickstoff-Kreislauf und damit die natürliche Chemie durcheinandergebracht." Zwar ernähre das zusätzliche Tierfutter, das durch Düngemittel gedeiht, heute die halbe Weltbevölkerung mit Fleisch. Doch der Gewinn hat einen Preis, weil die Nahrungskette auf künstlichem Dünger beruht. Er versickert in den Boden und rinnt in die Flüsse. Und da manche Pflanzen Stickstoff effizienter verwerten als andere, überlebt nicht jede Art in der natürlichen Pflanzenwelt. "Wenn man eine Sommerwiese mit künstlichem Dünger füttert, erdrücken manche Blumen die anderen", nennt der Klimatologe ein Beispiel.

Treibhausgase von Stickstoff halten sich 100 Jahre

Doch das ist nicht alles. Das Verbrennungsprodukt von Stickstoff, sei es aus der Industrie oder in Form von Abgasen, geht als Stickoxide zurück in die Atmosphäre. "Diese Treibhausgase von Stickstoff halten sich 100 Jahre in der Atmosphäre. Pro Molekül sind sie ein paar 100 Mal gefährlicher als CO2", warnt Fowler. Stickoxide - insbesondere Stickstoffdioxid - reizen und schädigen die Atmungsorgane. Erhöhte Konzentrationen in der Atemluft beeinträchtigen die Lungenfunktion. Sie waren für die Entstehung von Saurem Regen mitverantwortlich, sind klimawirksam und verstärken die Erderwärmung. Insbesondere Lachgas ist ein Treibhausgas, dessen Wirksamkeit in 100 Jahren 298 Mal so groß wie jene von CO2 ist. Lachgas trägt außerdem auch zum Ozonabbau in der Stratosphäre bei.

Laut einem Bericht des Deutschen Sachverständigenrats für Umweltfragen ist das "Umweltproblem Stickstoff" mittlerweile so groß, dass es die globalen Grenzwerte der Stabilität bereits überschritten hat. "Der Klimawandel insgesamt ist weniger weit vorangeschritten als die Auswirkungen der Stickoxide", sagt Heidi Foth, Direktorin des Instituts für Umwelttoxikologie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. "Und wir füttern immer nach, wir führen immer mehr Stickstoff der Biomasse und der Luft zu."

Energie, Landwirtschaft, Transport und Verkehr: Wer muss wie auf Trab gebracht werden, damit der Kreislauf gesundet? Foth zufolge müsste die Politik die Landwirtschaft anspornen und der Konsument dann die klügeren Produkte kaufen. "Die Rolle der Politik ist sehr groß. Sie müsste Umweltmaßnahmen in der Landwirtschaft noch viel stärker fördern. Es herrscht immer noch das alte Bild, dass der Bauer die Welt ernährt. Das müsste sich ändern: Landwirte sind die Umweltexperten", empfiehlt die Expertin.

Wenn sich also 190 Länder ab Montag zum Klimagipfel in Paris treffen, werden sie alle Hände voll zu tun haben, um ein Abkommen zur Begrenzung der Erderwärmung zu finden. Foth betont: "Ziele zur Senkung von Emissionen werden nicht genug sein, wenn sie von den ebenfalls richtigen Zielen der Wirtschaft zerrieben werden. Wirtschaftliche Interessensvertreter können nur Pyrrhussiege erringen, wenn die Umwelt nicht mehr mitmacht."