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Warum Angela Merkels Raute inzwischen fast schon überstrapaziert ist und sich im deutschen Wahlkampf rächen könnte.
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Berlin/Wien. Kaum ein Politiker der Gegenwart wird so stark mit einer bestimmten Geste assoziiert wie die deutsche Kanzlerin. Was steckt aber hinter Angela Merkels berühmter Raute? "Die ist ein krasser Gegensatz zur Körpersprache der Populisten - wie auch Merkel als Ganze ein Gegensatz zu den Populisten ist", meint Körpersprache-Experte Stefan Verra: Unbewegte Augenbrauen, nach unten gezogene Mundwinkel, kaum sichtbare Mimik, herunterhängende Schultern stehen in krassem Gegensatz etwa zu Donald Trumps gespannten Gesichtszügen, nach oben gezogenen Augenbrauen, weit geöffnetem Mund, viel größerem Bewegungsradius der Hände.
"Die Raute ist der Zenit ihrer Körpersprache", sagt Verra. Von diversen Zuschreibungen wie jener als Machtdreieck oder gar als Freimaurer-Symbol hält er wenig: "Das ist wissenschaftlich nicht lückenlos belegbar." Für ihn ist die Raute vielmehr "ein Synonym für die Stabilität und Unbewegtheit, die Kanzlerin Angela Merkel insgesamt vermittelt: Da können die Herren Putin, Erdogan oder Trump noch so toben - in Deutschland bleibt alles stabil." Dennoch liegen bei der Raute die Hände im sogenannten aktiven Bereich, der über der Gürtellinie liegt. "Schon in der Steinzeit war das eine wichtige Haltung, um Angriffe abzuwehren", erklärt Verra. Und auch wenn gegen die CDU-Chefin selbst ihr relativ ruhiger SPD-Herausforderer Martin Schulz fast schon wild wirke, sei Merkel im Vergleich zu den 1980er Jahren heute förmlich dynamisch, meint Verra: "Damals hing ja sogar ihre Frisur nach unten."
Die Hände immer im Griff
Was den Körpersprache-Experten am meisten an der Merkel-Raute beeindruckt: "Sie schafft es immer und überall, ihre Fingerspitzen ganz sanft aneinanderzulegen. Jeder andere würde irgendwann beginnen, die Finger zu verschränken, sich die Hände zu reiben, damit zu spielen. Und das ist insofern interessant, weil es darauf schließen lässt, dass sie zumindest scheinbar in sich ruht und nicht so leicht oder zumindest später in eine Stressreaktion kommt als das Volk - und genau das suchen wir bei einem Alphatier. Egal ob Mann oder Frau: In einer Notsituation will ich jemanden an der Spitze haben, der noch immer cool ist, wenn ich schon längst in Panik verfalle."
Allerdings mache die Kanzlerin damit auch einen Fehler: "Sie pflegt diese Handhaltung in der Öffentlichkeit jetzt schon ein Jahrzehnt oder länger, und zwar fast ausschließlich. Hätte sie da zwischendurch einmal Abwechslung hineingebracht, wäre diese Raute nie so eklatant aufgefallen und so zum Thema geworden. So ist es zu eindimensional. Das müssten ihre Berater eigentlich wissen, die ihr diese Handhaltung offensichtlich empfohlen haben, weil sie selbst bisher keine schlüssige Erklärung dazu gegeben hat."
Überhaupt könnte sich Merkels unbewegte Körperhaltung allmählich rächen, warnt Verra: "Opel wird verkauft, die AfD wird stärker, die EU macht Sorgen, es kommt eine Stimmung auf, wie wir sie in Österreich vor zwei Jahrzehnten hatten, als Jörg Haider groß wurde. Und plötzlich gehen Merkels Zustimmungsraten nach unten. Denn in so einer Situation wollen die Wähler Politiker, die auch einmal auf den Tisch hauen. Das war ja auch Trumps Erfolgsgeheimnis im Wahlkampf, dass er genau die Wut offen gezeigt hat, die seine Wähler in sich hatten." Aufgrund ihrer unbewegten Mimik und Körpersprache wisse man hingegen bei Merkel oft nicht, woran man bei ihr sei. "Man fragt sich da: Bewegt sie das überhaupt, wenn sie beschimpft wird? Diejenigen, die sich alleine gelassen glauben, fühlen sich von ihr nicht emotional aufgefangen, wie es bei den Populisten der Fall ist. Und das könnte noch ein großes Problem werden."