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Das unglaubliche Glück des Wiener SPÖ-Chefs

Von Werner Schmidt

Gastkommentare
Wiens Bürgermeister und SPÖ-Chef Michael Ludwig mit Gesundheitsstadtrat Peter Hacker vor der "Impfbim".
© reuters/Lisi Niesner

Warum Michael Ludwig für seine Partei letztlich der bessere Nachfolger Michael Häupls ist.


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Als die Delegierten der Wiener SPÖ im Jänner 2018 in einer Kampfabstimmung Michael Ludwig zum Vorsitzenden wählten und nicht Andreas Schieder, konnten sie wohl selbst noch nicht ahnen, wie sehr diese Entscheidung ihre Siegeschancen bei der heurigen Wiener Landtagswahl erhöhen würde. Auf die Gründe dafür hatte Ludwig selbst keinen Einfluss.

Natürlich war er von Anfang an der volksnähere Kandidat. Doch Schieder hätte andererseits den Anti-FPÖ-Kurs, auf den Bürgermeister Michael Häupl seit 2001 so erfolgreich gesetzt hatte, fortgeführt, und dazu bestand damals auch aller Grund: Die SPÖ musste sich auf Bundesebene mit einer türkis-blauen Regierung und einer rechtskonservativen Grundstimmung in der Politik herumschlagen. Auf Landesebene war die FPÖ nach wie vor eine schlagkräftige oppositionelle Kraft, zu der sich nun eine nach rechts driftende ÖVP gesellte. Wortgewaltige, die Zuspitzung suchende und vor allem emotionalisierende Reden sind nicht unbedingt das Markenzeichen Ludwigs. Es war nicht wirklich klar, wie er sich öffentlichkeitswirksam gegen das türkis-blaue Schreckgespenst hätte positionieren können. Sein pragmatischer Kurs schien fehl am Platz.

Doch dieses Problem hat sich nun erübrigt: Nicht nur ist Türkis-Blau Geschichte, auch steckt die FPÖ mittlerweile in einem veritablen Sinkflug und muss sich zu allem Überdruss mit dem Team HC Strache herumschlagen. Die Frage in Wien lautet nicht mehr: Wie sehr bringt die FPÖ die SPÖ in Bedrängnis? Sondern: Wie stark wird sie verlieren? Ihr Zustand ist mehr mitleid- als furchterregend. Der Kampf gegen Rechts, mit dem Häupl zumindest in der Spätphase jedes Wahlkampfs die Wähler noch zu mobilisieren verstand, greift da nicht mehr.

Doch damit nicht genug: Nun kam auch noch das Coronavirus hinzu. Gewiss setzen die hohen Infektionszahlen auch Wien unter Druck, und die langen Wartezeiten bei Corona-Tests lassen zuweilen am Krisenmanagement der Stadt zweifeln. Nur ändert das alles nichts daran, dass sich die Ausgangslage seit dem Ausbruch der Pandemie für die Wiener Wahl komplett gewandelt hat, und zwar zu Ludwigs Gunsten. In der jetzigen Krise will eine Wendestimmung nicht aufkommen. Die ruhige, bodenständige Art des Wiener Bürgermeisters ist genau das, was viele Menschen suchen. Das weiß auch die ÖVP. War noch ihr Wahlkampfauftakt kurz vor Beginn des Lockdowns betont aggressiv - "Wir holen uns den Bürgermeistersessel" -, gibt sich Spitzenkandidat Gernot Blümel nun teilweise fast streichelweich. Auch die ÖVP-Strategie, den Finanzminister mit ausgeglichenem Haushalt nach Wien zu schicken, ist obsolet.

Natürlich: Wir leben in bewegten Zeiten. Corona könnte theoretisch auch noch in Wien außer Kontrolle geraten und in letzter Sekunde alles ändern. Aber allzu wahrscheinlich sind solche Schreckensszenarien nicht. Nicht zum ersten Mal hat die Wiener SPÖ damit das Glück auf ihrer Seite. Auch die vergangene Wien-Wahl im Herbst 2015 fand zu einem für sie ungeahnt günstigen Zeitpunkt statt: Die "Refugees welcome"-Stimmung war noch intakt. Ein paar Monate früher, und der Wien-Wahl hätte dieses emotionalisierende Moment gefehlt, ein paar Monate später, und sie wäre womöglich sogar zur Katastrophe geworden, weil sich die allgemeine Flüchtlingseuphorie in Frust verwandelt hatte und die FPÖ vielleicht gar den Bürgermeistersessel erobert hätte.

Man sieht: Bei Wahlen hängt viel vom Timing ab, allen Wahlkampfstrategien zum Trotz.

Werner Schmidt ist freischaffender Journalist in Berlin.