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Das Unternehmen "Zitadelle"

Von Rolf Steininger

Wissen

Es war die letzte Offensive der Wehrmacht im Osten: Im Juli 1943 kam es in Kursk zur Panzerschlacht gegen eine übermächtige Rote Armee.


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Vorrückende Panzer im Zuge der Entscheidungsschlacht bei Kursk Anfang Juli 1943.
© ullstein bild

"Soldaten! Die Stunde des Angriffs ist gekommen. Ich weiß, dass jeder von Euch seine Pflicht bis zum Letzten erfüllen wird. Ihr werdet an die siegreichen Fahnen der Division, die in Polen, Frankreich und bis vor die Tore Moskaus den Feind vor sich hergejagt und die auch in zwei Jahren der Verteidigung auf russischer Erde allen Angriffen standgehalten hat, neuen Ruhm heften. Unsere Gefallenen schauen auf Euch herab. Unser Gruß und unsere Hingabe gilt Deutschland und seinem geliebten Führer."

Mit diesen pathetischen Worten bereitete der Kommandeur der 7. Infanterie-Division, Generalleutnant Fritz-Georg von Rappard, seine Truppe am 4. Juli 1943 auf das vor, was am nächsten Tag begann: der Angriff auf Kursk, die letzte Offensive der Wehrmacht im Osten. 625.000 Soldaten traten gegen eine dreifache Übermacht der Roten Armee an. Der Name der Stadt Kursk steht dabei für die größte Panzerschlacht des Zweiten Weltkrieges, an der 2700 deutsche und mehr als 8000 sowjetische Panzer beteiligt waren.

Mit dem Untergang der 6. Armee bei Stalingrad Anfang 1943 geriet Hitler in eine schwierige Lage. Wollte er nicht bei seinen Verbündeten wie auch beim deutschen Volk an Prestige einbüßen, so musste er einen deutlichen Beweis seiner Stärke liefern, wobei auch ihm klar war, dass die Wehrmacht nicht mehr in der Lage war, weit ausgreifende Panzervorstöße zu führen und wie in der Vergangenheit vernichtende Kesselschlachten zu schlagen.

Überraschungsmoment und Geheimhaltung

Möglich waren nur noch begrenzte Offensiven. Dafür bot sich ein sowjetischer, etwa 110 Kilometer breiter Vorsprung an, der wie ein Keil etwa 145 Kilometer nach Westen in die Front der Heeresgruppe Mitte hineinragte. Innerhalb dieses Bogens lag eine wenig bekannte und relativ unbedeutende Stadt: Kursk, von der später nur noch im Zusammenhang mit der größten Panzerschlacht der Geschichte die Rede war. Würde man diesen Kursker Bogen durch eine Zangenoperation abschnüren, würde man der Roten Armee ein Sprungbrett für neue Offensiven nehmen, die das sowjetische Oberkommando in der Tat bereits vorbereitete.

Einen entsprechenden Plan legte der Chef des Generalstabes des Heeres, General der Infanterie Kurt Zeitzler, Hitler am 11. April vor. Vier Tage später erließ Hitler den Operationsbefehl Nr. 6. Er habe sich entschlossen, so hieß es da, "sobald die Wetterlage es zulässt, als ersten der diesjährigen Angriffsschläge den Angriff ‚ Zitadelle‘ zu führen", mit dem Ziel, "die im Gebiet Kursk befindlichen Feindkräfte einzukesseln und durch konzentrischen Angriff zu vernichten". Und weiter:

"Diesem Angriff kommt ausschlaggebende Bedeutung zu. Er muss schnell und durchschlagend gelingen. Er muss uns die Initiative für das Frühjahr und den Sommer in die Hand geben. Deshalb sind alle Vorbereitungen mit größter Umsicht und Tatkraft durchzuführen. Die besten Verbände, die besten Waffen, die besten Führer, große Munitionsmengen sind an dem Schwerpunkt einzusetzen. Jeder Führer, jeder Mann muss von der entscheidenden Bedeutung dieses Angebots durchdrungen sein. Der Sieg von Kursk muss für die Welt wie ein Fanal wirken."

Dann folgten detaillierte Anweisungen für die Durchführung des Angriffs. Zum Angriffsdatum hieß es, "dass vom 28. 4. ab am 6. Tag nach Befehlserteilung durch OKH (Oberkommando des Heeres, Anm.) zum Angriff angetreten werden kann. Frühester Angriffstermin demnach 3. 5." Besonderer Nachdruck wurde auf das Überraschungsmoment und die Geheimhaltung gelegt.

Der Spion "Lucy" und die Briten

Dazu hieß es: "Es kommt darauf an, das Überraschungsmoment weitgehend zu wahren und den Gegner vor allem über den Zeitpunkt des Angriffs im Unklaren zu lassen. ( . . .) Die Feindspionage ist dauernd zu bekämpfen."

Bei der Feindspionage musste die deutsche Führung eine schwere, möglicherweise entscheidende Niederlage einstecken. Die Sowjets erhielten nämlich präzise und detaillierte Informationen über das Unternehmen durch ihren Meisterspion "Lucy". Das war der Deckname von Rudolf Rössler, der in der Schweiz operierte. Er erhielt diese Informationen vom britischen Geheimdienst. Die Briten hatten den deutschen militärischen Code geknackt und konnten daher den Funkverkehr der deutschen Führung entschlüsseln. Das Ganze lief unter dem Decknamen "Ultra" und wurde erst 30 Jahre nach Kriegsende bekannt.

Die Briten benutzten Rössler, um diese Tatsache vor den Sowjets zu verheimlichen. Im Übrigen lieferten sie nur einmal während des ganzen Krieges Informationen an die Sowjets, und zwar beim Unternehmen "Zitadelle". Der Grund hierfür ist nicht ganz einsichtig. Tatsache ist, dass die britischen Militärs keine besonderen Freunde der Roten Armee waren. Möglicherweise wollten sie eine sowjetische Niederlage vermeiden - die dann Stalin vielleicht zu Geheimverhandlungen mit Hitler gezwungen hätte.

Wie dem auch sei: diese Informationen ließen den Schluss zu, dass die Deutschen eine Großoffensive nördlich und südlich des Kursker Bogens vorbereiteten. Die Sowjets bauten diesen Bogen jetzt zur größten Feldbefestigung des Weltkrieges aus: acht Panzergräben mit 17.000 Bunkern und 84.000 Schützen- und Maschinengewehrstellungen; dazu 1500 Panzer- und 1700 Schützenminen pro Kilometer, mit zwei Millionen Soldaten mit 5000 Panzern und mehreren Tausend Kampfwagen als strategische Reserve. Unterstützung gab es durch 6000 Flugzeuge. Da, wo der deutsche Angriff erwartet wurde, stand alle acht Meter ein Geschütz.

Dem konnte die Wehrmacht entgegenstellen: etwa 600.000 Mann, 2500 Panzer und Sturmgeschütze sowie 7500 Kanonen. Das entsprach einem Kräfteverhältnis von eins zu drei beim Personal, eins zu zwei bei den Panzern und eins zu vier bei den Geschützen.

"Der Russe erwartet unseren Angriff"

Die zahlenmäßige Unterlegenheit war bei früheren Operationen durch den Überraschungseffekt ausgeglichen worden. Das war diesmal nicht der Fall: Immer wieder verschob Hitler den Angriffstermin, schließlich bis auf den 5. Juli. Für die Verzögerung wurde später Hitler verantwortlich gemacht, der auf die neuen Panzermodelle "Panther" und "Tiger" gewartet habe.

Die sowjetischen Abwehrmaßnahmen blieben der deutschen Aufklärung nicht verborgen. So meldete der Chef der Nachrichtenabteilung Fremde Heere Ost: "Der Russe erwartet unseren Angriff seit Wochen und hat alles getan, um unseren Stoß frühzeitig einzufangen. Es ist also wenig wahrscheinlich, dass der deutsche Angriff durchschlägt . . . Ich halte die beabsichtigte Operation für einen ganz entscheidenden Fehler, der sich schwer rächen wird."

Dagegen argumentierte Generalfeldmarschall Günther von Kluge, der Angriff sei "immer noch die beste" aller denkbaren Lösungen: "Sie zwingt den Feind in unseren Zangenangriff hinein . . . Er muss bei seinem Gelingen den größten Erfolg bringen."

Am 5. Juli 1943 stießen 6000 Panzer, 4000 Flugzeuge und mehr als zwei Millionen Soldaten in einem gigantischen Zusammenstoß zweier Heere aufeinander. Die Rote Armee erlitt zwar horrende Verluste, aber es gab keinen Sieg für die Wehrmacht, lediglich "ein verlustreiches Durchfressen durch ein ungeheures Stellungssystem", wie es in einem Lagebericht hieß.

Am 13. Juli befahl Hitler die Einstellung der Offensive. Durch die Landung der Alliierten auf Sizilien gab es eine neue strategische Gesamtlage. Schon bald machten sowjetische Legenden die Runde. Nikita Chruschtschow, der als Politkommissar an der Schlacht teilnahm, schrieb etwa in seinen Erinnerungen von einem "Wendepunkt" im "Großen Vaterländischen Krieg"; der sowjetische Marschall Konew bezeichnete die Schlacht als "Schwanengesang der deutschen Panzerwaffe" und großen Sieg der Roten Armee.

Dabei wurden gleichzeitig die sowjetischen Verluste unter- sowie die deutschen Verluste übertrieben. Für die russische Geschichtsschreibung änderte sich dadurch aber nichts: Kursk bleibt einer der Mythen, der bis heute von russischen Historikern verteidigt wird.

Rolf Steininger, O. Univ.-Prof., war von 1984 bis zu seiner Emeritierung 2010 Leiter des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck.
www.rolfsteininger.at