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Das unterschätzte Kartell aus Wien

Von Michael Schmölzer

Politik

Die OPEC: Seit 40 Jahren gibt es das mächtige Ölkartell, seit 35 Jahren hat sie ihren Sitz in Wien. Gegründet abseits jeden öffentlichen Interesses wurde das Kartell im Zuge der Ölschocks von 1973 und 1979 zu einer bestimmenden wirtschaftlichen und politischen Einflussgröße. Nach einer längeren "Durststrecke" ist die OPEC seit einigen Monaten wieder im Rampenlicht weltweiter Aufmerksamkeit.


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Die OPEC feierte dieser Tage ihr vierzigjähriges Bestandsjubiläum und kann sich gleich über ein nettes "Geburtstagsgeschenk" freuen: Denn Rekordpreise über dreißig Dollar je Barrel (ein Barrel entspricht 159 Litern) hat es seit der Invasion Kuwaits durch den Irak Anfang der 90er Jahre nicht mehr gegeben.

Die Auswirkungen sind bekannt: Enormer Anstieg der Sprit- und Heizölpreise, protestierende Frächter in Frankreich, endlose Schlangen vor britischen Tankstellen, Furcht vieler sozial Schwacher vor einem kalten Winter, nur zögerlich eingreifende europäische Regierungen. Dazu kommt noch, dass ein Hauptschuldiger für die Misere nur schwer auszumachen ist. Am ehesten kann man von einem "Faktorenbündel" sprechen, das für den gestiegenen Ölpreis verantwortlich ist: Eine auf Hochtouren laufende Weltwirtschaft, zu niedere Ölpreise in der Vergangenheit, die die Suche nach alternativen Energieträgern unrentabel erscheinen ließ, eine hohe Steuerbelastung, geringe Erdölreserven in den USA und last but not least die konsequente Ölförderkürzung der OPEC-Staaten seit dem März 1999. Und obwohl die Organisation Erdöl exportierender Staaten ab Anfang dieses Monats ihre tägliche Förderquote um 800.000 Barrel angehoben hat und die USA einen Teil ihrer Reserve lockermacht, ist eine Talfahrt des Ölpreises noch nicht abzusehen.

Neugewonnene Macht

Als Fazit aus dieser Entwicklung lässt sich eines mit Bestimmtheit sagen: So stark wie jetzt ist die OPEC seit der letzten, für Europa traumatisierenden, Ölkrise von 1979 nicht mehr dagestanden. Dass die Mitglieder des Kartells der neugewonnenen Macht nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch politische Bedeutung beimessen, ist aus diversen Äußerungen führender Vertreter der OPEC unschwer entnehmbar: So sieht Hugo Chavez, Präsident Venezuelas und derzeitiger OPEC-Chef den derzeitigen Ölpreis als "Waffe" der Organisation, um die politischen Interessen ihrer Mitglieder zu verteidigen. Saddam Hussein, Diktator und Staatschef einer der erdölreichsten Förderländer hat mit der OPEC noch größeres vor. In der amtlichen irakischen Zeitung "El Dschumhurija" forderte er jüngst, die OPEC solle wieder zu einem mächtigen Wirtschaftsblock werden, um die verhasste US-amerikanische Vorherrschaft in ihren Grundfesten zu erschüttern.

Schlummert hier ein zukünftiges Bedrohungspotential für den Westen? Oder handelt es sich bloß um nostalgisches Beschwören längst vergangener Macht? Eher letzteres ist der Fall, denn die politischen Interessen der OPEC-Mitglieder selbst sind viel zu heterogen. Den oben genannten "Falken" stehen die gemäßigten Länder Saudi-Arabien und Kuwait gegenüber, die es sich schon aus sicherheitspolitischen Überlegungen nicht mit dem Westen verscherzen wollen. Auch in wirtschaftlicher Hinsicht ist die Interessenslage der einzelnen OPEC-Staaten unterschiedlich: Den Saudis kann durchaus geglaubt werden, wenn sie wie dieser Tage versichern, an allzu hohen Ölpreisen nicht interessiert zu sein. Der Wüstenstaat will stabile Preise und kalkulierbare Einnahmen, um seinen Haushalt langfristig planen zu können. Mit ihren Vorräten im Rücken argumentieren die Saudis außerdem, dass zu hohe Preise die Industriestaaten nur nach billigeren Alternativen suchen lassen würden.

Auf der anderen Seite stehen die bevölkerungsreichen Länder wie der Iran oder Irak, die traditionell an schnellen Erlösen interessiert sind: Für den Krieg, den darauffolgenden Wiederaufbau, für Großprojekte und Zinszahlungen, zum Ruhigstellen der Bevölkerung und für die Armee. Diese Staaten und die Förderländer mit versiegenden Vorkommen, die schnell noch zu Einnahmen kommen wollen, drängen auf möglichst hohe Preise.

Kuwait wiederum hat bereits soviel Geld in der westlichen Wirtschaft investiert, dass es sehr daran interessiert ist, diese nicht durch übermäßige Preisforderungen in die Krise zu treiben.

Gründung

Die Gründung der OPEC im Jahr 1960 fällt in eine Zeit, als es Erdöl im Überangebot gab und das Geschäft mit dem "schwarzen Gold" fast ausschließlich in den Händen westlicher Ölmultis lag. Die Förderländer bekamen bestenfalls eine geringfügige "Entschädigung", die politische Elite wurde mit Geldgeschenken zufriedengestellt. Der Beschluss des US-Giganten Exxon, im August 1960, den Preis für Nahost-Öl ohne vorherige Absprache mit den Förderländern einseitig um durchschnittlich zehn Cent zu kürzen, brachte schließlich das Fass zum Überlaufen:

Vier Wochen später trafen sich die Vertreter der fünf wichtigsten Förderländer: Saudi-Arabien, Irak, Iran, Kuwait und Venezuela in Bagdad, um die einzelnen Erdölpolitiken zu koordinieren und zu vereinigen. Hauptquartier war zunächst Genf, ab 1965 Wien.

Hauptsitz in Wien

Im Grunde landete die OPEC aber nur durch Zufall in Wien: Denn während der sechziger Jahre war noch keinesfalls ersichtlich, welche Rolle das Kartell in Zukunft spielen würde. Die Schweizer bezweifelten überhaupt die Ernsthaftigkeit, was Absichten und Bedeutung betraf, und verweigerte den Vertretern den diplomatischen Status. Österreich war zu dieser Zeit bestrebt, Wien als internationalen Tagungsort aufzubauen, und zeigte sich gefälliger.

Die Rolle als wirtschaftspolitischer "Niemand" brauchte die OPEC dann nicht mehr allzu lange spielen. Am 17. Oktober 1973 verkündeten die OPEC-Länder, die Ölausfuhren zu drosseln und die Abgabepreise drastisch zu erhöhen. Ursache für diese Maßnahme war der eben ausgebrochene "Jom-Kippur"-Kriegzwischen Israel und einer ägyptisch-syrischen Koalition. In Staaten, die als Freunde Israels galten, floss bald kein einziger Tropfen Öl mehr. Die OPEC-Staaten wollten damit recht unumwunden erreichen, dass der Westen Position gegen Israel bezog. Die "Ölwaffe" zeigte auch tatsächlich bald Wirkung. Am 5. November 1973 forderten die EG-Außenminister Israel zum Rückzug aus den seit 1967 besetzten Gebieten auf. Noch im gleichen Monat gaben die OPEC-Staaten erste Zeichen der Entspannung, nach und nach lockerte sich der Boykott.

Ein zweiter Preissprung erfolgte 1979/80, als im Iran der prowestlich orientierte Schah immer mehr unter Druck geriet und Streiks die Ölförderung des weltweit zweitgrößten Produzenten zeitweise lahmlegten. Die Märkte reagierten in Erinnerung an 1973 übernervös und ließen den Preis hochschnalzen. Als Waffe zur direkten Durchsetzung politischer Ziele wurde der Ölpreis aber nicht mehr angewandt. Doch die Konsequenzen für die Abnehmerländer sind bis heute spürbar. Nie wieder erreichten die Ölpreise ihr tiefes Niveau der Jahre vor 1973.

Dann, im Dezember 1975 geriet die OPEC und mit ihr Wien auf unglückliche Weise abermals in die internationalen Schlagzeilen. Der als "Carlos" bekannte internationale Terrorist und Marxist aus Venezuela, überfiel mit fünf Komplizen das OPEC-Gebäude am Dr.Karl-Lueger Ring. Drei Menschen wurden sofort getötet, die gerade tagenden Ölminister und ihre Berater als Geiseln genommen und per Flugzeug nach Algier verschleppt. Dort wurden die Geiseln nach einigem hin und her unverletzt freigelassen. Seither ist jedes Treffen der OPEC-Granden von rigorosen Sicherheitsmaßnahmen begleitet.