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Das Ur-Kilo hat ausgedient

Von Alexandra Grass

Wissen

Neudefinition zum Weltmetrologietag: Naturkonstanten sind künftig der Garant für stabile physikalische Messgrößen.


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Wien. Was sich viele wünschen, hat das Ur-Kilo seit Jahrzehnten praktiziert: Es hat stetig abgenommen. Nämlich um 50 millionstel Gramm in den vergangenen 100 Jahren. Das scheint nicht viel, doch für die moderne Messwelt ist es das allemal. Schwankungen sind in einer Zeit, die weder beim Nanometer (millionstel Millimeter) noch bei der Femtosekunde (Millionstel einer milliardstel Sekunde) endet, mehr als verpönt. Und am Kilogramm orientieren sich auch andere Maße.

Physiker drängten daher schon lange auf eine Neudefinition der physikalischen Einheiten, um eine verlässliche Basis zu schaffen. So gab es schon seit längerem das Bestreben, gleich alle sieben Einheiten - nämlich Sekunde (Zeit), Meter (Länge), Kilogramm (Masse), Ampere (Stromstärke), Kelvin (Temperatur), Mol (Stoffmenge) und Candela (Lichtstärke) - mittels Naturkonstanten zu definieren. Sie gelten als die stabilste nur denkbare Basis und sollen es auch sein, an denen sich das Internationale Einheitensystem künftig orientiert.

Gewichtige Veränderung

Lichtgeschwindigkeit, die Ladung des Elektrons oder das Plancksche Wirkungsquantum bestimmen damit schon in Kürze alle physikalischen Messgrößen. Am Montag, dem 20. Mai, dem weltweiten Metrologietag, tritt die im November bei der Generalkonferenz für Maß und Gewicht beschlossene Neudefinition in Kraft. Sie biete eine stabile Grundlage für die Entwicklung neuer Technologien, heißt es.

Die gewichtigste Veränderung wird dem Kilogramm zuteilwerden. Es ist im Moment die einzige Einheit, die noch auf einen Massekörper rückgeführt wird. Knapp 130 Jahre lang hat das Ur-Kilo - jener kleine Platinzylinder in einem Safe im Pariser Vorort Sèvres - die Welt der Maßeinheiten schwergewichtig mitbestimmt. Nun hat es ausgedient. Zwar ist das Metallstück unter mehreren Glashauben unter Quarantäne gestellt, dennoch muss es von Zeit zu Zeit gereinigt werden. Dabei würden sich dünne Schichten von Kohlenwasserstoffen auf der Oberfläche absetzen. Für den Gewichtsverlust wiederum können Gaseinschlüsse im Metall sorgen, die nach und nach entweichen, erklären Experten die Vorgänge.

Dieses Schicksal teilt das Pariser Original mit rund 100 Kopien in rund 100 Staaten. Auch Österreich besitzt im Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen in Wien ein solches nationales Kilo. Und auch dort kam es im Laufe der Jahre zu gewichtigen Veränderungen.

Silicium-Kugel und Watt-Waage

Silicium-Kugel und Watt-Waage werden dieses und die vielen anderen Zylinder nun ersetzen. Damit wird künftig eine bestimmte Zahl von Siliziumatomen das Kilogramm festlegen. Dazu dienen Kugeln aus reinem Silizium, deren Masse und Volumen möglichst genau bestimmbar sein müssen. Die Atome sitzen im Kristallgitter in exakt gleichem Abstand voneinander. Dieser muss genau gemessen werden, um herauszufinden, wie viele Atome ein Kilogramm ergeben.

Die Watt-Waage macht es möglich, das Kilogramm über elektrische Einheiten mit einer Naturkonstante, nämlich der Planck-Konstante h, in Beziehung zu setzen. Sie bildet die Grundlage der Quantenphysik und zählt zu den wichtigsten Naturgesetzen im Universum. Damit lässt sich bestimmen, wie viel elektrische Kraft nötig ist, um eine bestimmte Masse aufzuwiegen.

Auf der Waage im Supermarkt oder im Badezimmer - also im Alltag - werden die Änderungen unbemerkt bleiben. Und auch das Kleine Blutbild im medizinischen Labor oder das große Koordinatenmessgerät in der Industrie werden keine neuen Werte liefern, hießt es seitens der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig. Der Stromrechnung kann der Wechsel ebenso nichts anhaben. Der große Nutzen der Neudefinition liege vor allem im Bereich wissenschaftlicher Messungen und in der Hochtechnologie, schreibt das Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen (BEV) in Wien in einer Aussendung.

Neue Welt der Physik

Dort sollen im Rahmen eines "Tags der offenen Tür" künftige Messmethoden demonstriert werden. Etwa die Funktion einer Watt-Waage am Beispiel einer Lego-Watt-Waage. Auch werden Messungen im Bereich der Kraft demonstriert, etwa, um die Belastungsgrenzen von Seilen für Seilbahnen und die Festigkeit von Beton zu messen. Zudem soll dargestellt werden, wie ein Meter in einem sogenannten "optischen Femtosekunden-Kammgenerator" gemessen wird. Seit 1983 wird er als jene Streckenlänge definiert, die Licht im leeren Raum während einer Dauer von ungefähr einer dreimillionstel Sekunde durchläuft.

Die Welt der Physik wird ab Montag umgeschrieben - und damit auch die Lehrbücher. Schülerfragen wie "Was ist ein Kilogramm?" werden nicht mehr so einfach zu beantworten sein. Die bisherigen Antworten "Ur-Kilo" und "Paris" gehören der Vergangenheit an. Die Naturkonstanten sind der bessere Garant - und das im gesamten Universum.

Tag der offenen Tür im Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen, 1160 Wien, Arltgasse 35, am 20. Mai 2019 von 9 bis 18 Uhr

www.bev.gv.at