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Das Urteil zu Seselj hat für Serbien mehr als nur innenpolitisches Gewicht

Von Martyna Czarnowska

Analysen

Chauvinist wäre kein unpassender Ausdruck für ihn. Denn Vojislav Seselj, der sich vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag verantworten muss, träumte tatsächlich von einem Großserbien. Einem Reich, das am besten ohne Kroaten, Bosniaken und andere Nicht-Serben auskommen sollte.


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Dass der Vorsitzende der Serbischen Radikalen Partei (SRS) mit seinen Hetzreden Menschen dazu veranlasste, während der Jugoslawien-Kriege in den 1990er Jahren Kriegsverbrechen zu begehen, werfen ihm die Richter in Den Haag vor. Seselj, der sich 2003 dem Tribunal selbst gestellt hatte, hat wegen mangelnder Beweise auf seine Freilassung plädiert. Der Prozess wird aber fortgesetzt - was einen Freispruch zu einem späteren Zeitpunkt nicht ausschließt.

Die Entscheidung der Richter hat gleich für mehrere Länder Bedeutung. Hätte das Tribunal das Verfahren eingestellt, hätte es Unmut in Kroatien, Bosnien-Herzegowina und dem Kosovo geerntet. Und Serbien hätte es auch keinen großen Gefallen getan.

Zwar hat Seselj in Serbien noch immer etliche Anhänger - auch wenn seine SRS durch Abspaltungen und die Gründung der Serbischen Fortschrittspartei (SNS) geschwächt wurde. Dennoch findet seine oft aggressive Rhetorik immer weniger Anklang.

Denn auch wenn nationalistische Töne in Serbien weiterhin immer wieder zum politischen Alltag gehören, gibt es etwas, was attraktiver als die rein serbische Perspektive ist: die Aussicht auf eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Einen EU-Beitritt unterstützen so viele Serben, dass sich mittlerweile selbst Nationalisten wie SNS-Vorsitzender Tomislav Nikolic als EU-Anhänger präsentieren. Andernfalls würden Umfragen der SNS wohl kaum einen Sieg voraussagen, stünden jetzt Parlamentswahlen an. Und Seselj würde heute wohl kaum 23 Prozent der Stimmen bekommen, wie es 2002 bei der Präsidentenwahl der Fall war.

Auch wenn das UN-Tribunal in Den Haag unabhängig von Brüssel agiert, ist es eines der größten Druckmittel der EU, mit denen die Union Serbien zu den nötigen Reformen bewegen will. Die Zusammenarbeit mit dem Gericht war eine der Voraussetzungen dafür, dass das Land ein Annäherungsabkommen mit der EU unterzeichnen konnte. Es wird auch eine Bedingung für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen zwischen Belgrad und Brüssel sein. Sollte die EU nicht darauf pochen, würde sie sich selbst des Druckmittels auf Serbien berauben, meint etwa der Chefankläger des Tribunals, Serge Brammertz.

Mit ihrem Urteil zu Seselj haben die Richter in Den Haag aber auch dazu beigetragen, die innenpolitische Situation in Serbien zumindest nicht weiter zu verschärfen. Eine Rückkehr Seseljs nach Belgrad hätte es getan.