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Istanbul - Von einer "Truppeninspektion" ganz besonderer Art ist der türkische Top-General Tuncer Kilinc unlängst nach Ankara zurückgekehrt: Der Generalsekretär des mächtigen Nationalen Sicherheitsrates musterte die "politischen Truppen" der Türkei in Westeuropa auf einer eigens organisierten Tournee durch mehrere westeuropäische Staaten. Eines der Zielländer war auch Österreich. Zahllose Vereine von Auslandstürken besuchte der Generalleutnant - meist unbemerkt von den Gastländern - um sie auf Linie zu bringen.
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Der Nationale Sicherheitsrat will die Türken in Westeuropa in einem Dachverband organisieren, der die Interessen des Vaterlandes vertreten soll. Während die Gastländer sich um eine Integration der türkischen Zuwanderer in ihre Gesellschaften bemühen, zieht Ankara in die andere Richtung: Statt als Mitglieder etwa der österreichischen Gesellschaft sollen sich die Türken als Lobbyisten der Türkei im Ausland verstehen.
"Wie eine Faust"
Nicht nur Parteien und politische Vereine der Auslandstürken besuchte Generalleutnant Kilinc auf seinen bisherigen Reisen durch Österreich, Deutschland, Frankreich, Belgien und die Niederlande. Auch bei Moscheen, religiösen Vereinigungen, Sportvereinen, Frauenzirkeln und Wirtschaftsverbänden der Türken predigte der Spitzenoffizier die Botschaft des türkischen Militärs: Das wichtigste Interesse derAuslandstürken müsse es sein, ihre Einheit und ihren Zusammenhalt zu bewahren - und die nationalen Anliegen und Ziele ihres Vaterlandes zu vertreten und zu schützen. Wie "eine einzige Faust" müssten die Türken in der Fremde zusammenhalten und ihr Land verteidigen, zitierten Teilnehmer der Gespräche mit den Vereinsvorständen den Generalleutnant.
Um diese Faust zu bilden, will der Nationale Sicherheitsrat einen Dachverband der Auslandstürken in Westeuropa gründen lassen. Der Plan sei schon seit zwei Jahren in Arbeit, berichtete der mit dem mächtigen Gremium gut verbundene Leitartikler Fikret Bila in der Tageszeitung "Milliyet". Dem Sicherheitsrat schwebe dabei die Schaffung einer pro-türkischen Lobby in Europa nach dem Muster der ethnischen Lobbygruppen in Washington vor. Ziel dieser Lobby solle es sein, den Einfluss der Türkei im europäischen Ausland zu steigern und ihre nationalen Interessen in Europa zu verteidigen. Mit einem Rundschreiben an die türkischen Botschaften und Konsulate in Westeuropa wies Außenminister Abdullah Gül die Vertretungen der Türkei in der vergangenen Woche an, künftig stärkeren Kontakt zu der islamisch-türkischen Vereinigung "Milli Görüs" zu halten und mit ihr zusammenzuarbeiten. Die in der türkischen Diaspora in Westeuropa stark verwurzelte Organisation führt zwar das Wort "national" (milli) im Namen, ist den strikt laizistischen Militärs in der Türkei aber ebenso suspekt wie dem deutschen Verfassungsschutz, der die Gruppierung wegen fundamentalistischer Tendenzen beobachtet. "Milli Görüs" zählt deshalb ausdrücklich nicht zu den Verbänden, mit denen der Nationale Sicherheitsrat über eine türkische Lobby in Europa verhandelt.
Glaubensfrage
Umso erboster reagierte das Militär deshalb auf die parallele Initiative der Regierung in Ankara, die religiöse Vereinigung durch die offizielle Unterstützung der türkischen Diplomaten aufzuwerten. Wegen ihrer islamischen Wurzeln wird die Regierungspartei AKP vom Militär ohnehin misstrauisch beobachtet. Die letzte religiös gesinnte Regierung des Landes hatten die Generäle vor sechs Jahren aus dem Amt gedrängt, als ihnen deren Frömmelei zu weit ging; der Coup wurde damals im Sicherheitsrat vollzogen.
Kein Glück bei "Frömmlern"
Zusätzlich angespannt wird die Stimmung dadurch, dass Kilinc bei seiner Europa-Reise bereits mit Anhängern von "Milli Görüs" aneinandergeriet. "Sie wollen uns nur unseren Glauben ausreden", warfen ihm Mitglieder der Vereinigung bei einer Versammlung in Brüssel vor. "Sie sind Frömmler und Fanatiker, ich habe Ihnen nichts zu sagen", gab der General zurück, bevor er aus dem Saal stürmte. Weitgehend ahnungslos von diesem Tauziehen um ihre türkischen Einwohner sind offenbar noch die um Integration bemühten Regierungen der Gastländer.