Der gemeinsame Feind Islamischer Staat bringt eine notgedrungene Annäherung zwischen Washington und Teheran.
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Teheran/Bagdad/Wien. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet die beiden Erzrivalen USA und Iran, die seit 35 Jahren keine offiziellen Beziehungen unterhalten, im Nordirak notgedrungen an einem Strang ziehen.
Der gemeinsame Feind heißt IS (dschihadistische Gruppe "Islamischer Staat", vormals Isis). Weder Teheran noch Washington haben ein Interesse daran, dass die Terrormiliz sich "wie ein Krebsgeschwür in der Region ausbreitet", wie Barack Obama es kürzlich ausdrückte. Angesichts des ermordeten US-Journalisten wies der US-Präsident, gleich wie seine Kollegen aus Frankreich und dem Iran, darauf hin, dass man "schnell handeln müsse, da der Wolf bereits vor der Tür lauert".
Dass der Kampf gegen die Miliz Monate dauern wird, dessen sind sich die amerikanischen wie die iranischen Strategen bewusst. Ohne Teheran werde es aber noch schwieriger, dürften sich mächtige Offizielle im US-Pentagon bewusst sein.
Während Washington damit begonnen hat, die kurdischen Kämpfer im Nordirak mit Waffen und Munition auszustatten, steuert Teheran neben technischem Know-how vor allem die Elitetruppen der Revolutionsgarden bei (offiziell dementiert die iranische Regierung freilich eine Militärbeteiligung im Irak).
Diese Truppen werden von einem der gefürchtetsten Generäle des Nahen Ostens befehligt: Qassem Soleimani. Ganz gleich, ob im Iran-Irak-Krieg 1980 bis 1988, im Libanon-Konflikt 1985 bis 2000, im syrischen Bürgerkrieg oder in der aktuellen Irak-Krise - der Chefkommandant der Elitetruppen aus der Islamischen Republik war immer Irans Joker für Spezialauslandseinsätze. Seine Rolle ist im Ausland nicht unumstritten. Nicht umsonst befindet sich sein Name auf zahlreichen Terroristenlisten.
Iranische Ausbildung
Soleimanis Al-Quds-Brigaden, die über ein großes Know-how und erfahrene Kämpfer verfügen, trugen in den letzten 30 Jahren dazu bei, dass Teheran beim Kampf um die regionale Vorherrschaft mit dem Erzrivalen Saudi-Arabien deutlich an Boden dazugewinnen konnte.
Hätte es die Hilfe des iranischen Generals in Syrien nicht gegeben, wäre der syrische Machthaber Bashar al-Assad wahrscheinlich schon längst gefallen. Auch im Nordirak ist Soleimani derzeit die wichtigste Stütze der Regierung. Vom Militärflughafen Bagdad aus soll er die Koordination seiner Operationen durchführen.
Die Ausbildung der Elite-Bodentruppen der irakischen Armee hat zu einem Gutteil die Mannschaft Soleimanis vollzogen. Neben Ausdauer und Nahkampf sind die Soldaten vor allem darauf trainiert, möglichst lange ohne Nahrungsaufnahme einsatzbereit zu sein. 500 von den Al-Quds-Truppen ausgebildete Soldaten haben sich laut informierten Kreisen erst am Mittwoch auf den Weg in Richtung Mossul und Tikrit gemacht.
So kommt es derzeit über dem irakischen Luftraum zu einem ungewöhnlichen Bild: Die US-amerikanischen Flugzeuge sind nicht die einzigen Transportflieger, die die kurdischen Gebiete im Nordirak ansteuern. Auf dem Flughafen in Erbil landen laut internationalen Medienberichten auch ständig iranische Flieger. Die Jets, die ohne Schriftzüge inkognito unterwegs seien, würden ihre Fracht in einem Hangar etwas abseits des zivilen Flughafens entladen. Waffen, Lebensmittel, Ausrüstungen und Batterien wurden gesichtet.
Damit unterstützen sowohl das Weiße Haus als auch Teheran die Kurden, um die dschihadistischen IS-Kämpfer an einem weiteren Vormarsch zu hindern. Erste Erfolge konnte die Zweckgemeinschaft bereits in dieser Woche erzielen: Die IS-Kämpfer konnten teilweise zurückgedrängt werden und die Kurden mehr und mehr Gebiete zurückgewinnen. Es ist grotesk, dass Teheran den Kurden unter die Arme greift, denn auch sie gelten in der Islamischen Republik als Rebellen.
Hilfe für Atomstreit-Beilegung?
Der gemeinsame Kampf gegen IS könnte auch andere Auswirkungen haben: Durch die indirekte US-iranische Kooperation könnte sich die Irak-Krise im September bei der UN-Generalversammlung als Steigbügel für den Atomstreit zwischen dem Westen und dem Iran entpuppen.
Bewusst hält man sich derzeit mit US-Kritik zurück, wenn es um die Neustrukturierung der politischen Führung im Irak geht. Nach der Entmachtung des Langzeitpremiers Nuri al-Maliki, der Teherans verlängerter Arm im Irak war, findet der neue Premier, Haidar al-Abadi, nicht nur Anerkennung von US-Präsident Barack Obama, sondern auch von Irans Präsident Hassan Rohani. Die Perser pokern hoch und hoffen, dass durch die gemeinsamen Interessen im Irak auch der Nuklearkonflikt nach elf Jahren endlich zu lösen ist.
Bis 24. November, also jenem Tag, an dem das Atom-Interimsabkommen abläuft, will die iranische Führung die fünf UN-Vetomächte plus Deutschland davon überzeugen, dass ihr Atomprogramm nur friedlich ist. Dafür erwartet sich Teheran eine rasche Suspendierung der westlichen Strafmaßnahmen.
So könnten die Angriffe gegen die IS, die Teile des nördlichen Irak erobert hat, eine "neue Freundschaft" zwischen der "Achse des Bösen" und dem "Großen Satan" einleiten. Ex-US-Präsident George W. Bush bezeichnete den Iran als "Teil einer Achse des Bösen", während die USA im Iran als der "Große Satan" bezeichnet werden. Offiziell will eine Annäherung natürlich keiner bestätigen. Dementieren aber auch nicht.
Die moderaten und prowestlichen Kräfte im Iran verfolgen aber mit ihrem Irak-Kurs noch ein weiteres Ziel, denn: Ist der Atomstreit einmal beigelegt, kann Rohani sich anderen Themen wie seinen innenpolitischen Kritiker oder der Positionierung des Landes im Nahen Osten zuwenden. Hierfür ist eine Verbesserung der Beziehungen zu Washington sehr dienlich.